Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


106. Kapitel: Eudokias Verlangen nach Licht über das Kind. Marias Mahnung zur Geduld. Das Jesuskind auf den Armen der Eudokia und im Gespräch mit ihr. (02.01.1844)

01] Es fragte aber die Eudokia die Maria, woher es denn komme, daß dies Kindlein so voll Wunderkraft und so höchst göttlicher Natur sei.

02] Und wie es denn gekommen wäre, daß nun der Cyrenius gar so sehr von den Worten des Kindleins abhänge.

03] Maria aber sprach zur Eudokia gar holdseligst: »Liebe Eudokia Siehe, es läßt sich nicht jeder Prügel übers Knie brechen!

04] Jedes Ding braucht seine Zeit und seine Weile; mit der lieben Geduld kommen wir am weitesten!

05] Wirst du erst eine Zeitlang bei mir sein, da wirst du schon alles erfahren; vorderhand aber glaube, daß dies Kind größer ist als alle Helden und Götter Roms!

06] Hast du vorgestern nicht verspürt die große Macht des Sturmes?!

07] Siehe, dieser kam aus der mächtigen Hand Dessen, den noch die Tullia lockt!

08] Siehe, was aber die Gewalt dieses Sturmes mit den Tempeln in der Stadt tat, das könnte sie auch tun mit der ganzen Erde!

09] Nun weißt du vorderhand genug und darfst nicht mehr wissen deines Heiles willen;

10] wenn du aber reifer wirst, dann wirst du auch mehr erfahren!

11] Darum bitte ich dich auch um deines Heiles willen, daß du davon schweigst vor jedermann; redest du aber davon, so wirst du gerichtet werden!«

12] Diese Worte Marias brachten die Eudokia zur Ruhe, und sie fing an, bei sich gar sehr darüber nachzudenken, was sie von der Maria vernommen hatte.

13] Maria aber ging hin zur Tullia und nahm ihr das Kindlein wieder von den Armen, und sprach zu ihr:

14] »Siehe, dich hat dies mein Söhnchen schon gesegnet, und du wirst darum glücklich sein für immer!

15] Dort aber ist die arme Eudokia; diese hat bis jetzt noch nicht die endlos große Wohltat des Kindleinssegens empfunden! Daher will ich das Kindlein auch auf die Arme der Eudokia legen, auf daß sie empfinde, welche Macht aus dem Kindlein geht!«

16] Darauf trug die Maria das Kindlein zur Eudokia hin und sprach zu ihr:

17] »Hier, Eudokia, ist mein und dein Heil! Nimm es für eine kurze Zeit auf deine Arme und empfinde wie süß es ist, die Mutter solch eines Kindes zu sein!«

18] Mit großer Ehrfurcht nahm die Eudokia das Kindlein auf ihre Arme;

19] aber sie fürchtete dies geheimnisvolle Kind und getraute sich dabei kaum, sich zu rühren.

20] Das Kindlein aber lächelte und sprach: »O Eudokia, fürchte dich nicht vor Mir; denn Ich bin nicht dein Verderber, sondern dein Heiland!

21] In der Kürze der Zeit aber wirst du Mich schon besser kennenlernen, als du Mich jetzt kennst!

22] Dann wirst du Mich nicht mehr fürchten, sondern lieben, wie Ich dich liebe!« - Diese Worte benahmen der Eudokia die Furcht, und sie fing an, das Kindlein zu herzen und zu kosen.



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