Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 2


03] Solche Menschen haben zwar einesteils wohl recht. Denn auf dem ewigen Schnee und Eise des Großglockner läßt sich durchaus kein Weinberg anlegen; ja nicht einmal die allerletzte Pflanze, wie z. B. das harte Steinmoos, kommt da fort.

04] Ich frage aber: Ist denn ein Berg nur nach seiner vegetabilen Fruchtbarkeit zu taxieren? - Wenn es auf die Fruchtbarkeit ankommt, da ist ein jeder Berg überflüssig. Denn in der Ebene arbeitet sich's ja doch offenbar leichter als auf was immer für einem Berge. Und die Erfahrung wird euch schon gar wohl belehrt haben, daß in der Ebene alles recht gut fortkommt.

05] Sonach ist es doch sicher eine Albernheit, einen Berg nach seiner Fruchtbarkeit zu taxieren. Denn die Fruchtbarkeit der Berge ist nicht die Bedingung ihres Daseins, sondern diese dreht sich um eine ganz andere Achse. Sonach werden diejenigen wohl ihr Wort zurücknehmen müssen, welche einen fruchtbaren Hügel höher schätzen als einen unfruchtbaren hohen Gletscher. Und sie werden es sich gefallen lassen müssen, wenn Ich sage: Ein Quadratklafter vom Eise des Großglockner ist an und für sich mehr wert als eine Quadratmeile voll der fruchtbarsten Hügel!

06] Hier werdet ihr schon wieder fragen: »Wieso denn? Wie ist das möglich?«

07] Ich aber sage euch: Wenn es nur auf den gewissen Gewerbsertrag ankommt, da könnt ihr euch mit den Augen eures Kopfes, für sich allein genommen, sicher nicht einen Heller verdienen, wohl aber mit euren Händen und Füßen! Ist aber darum das Auge nicht mehr wert als die Hände und die Füße, welche ihr ohne das Licht des Auges schwerlich gebrauchen würdet?! Und doch ist die Pupille des Auges gar klein im Verhältnis zu dem Maße der Hände und Füße! Und müßt ihr nicht zuvor ein jedes Ding, das ihr mit der Hand ergreifen wollt, mit dem Auge ergreifen, und so auch mit dem Auge den Füßen allzeit vortreten?!

08] Wenn ihr nun dieses beachtet, so wird euch wohl ersichtlich werden, warum Ich eine Quadratklafter des eisigen Großglocknergrundes höher ansetzte als eine ganze Quadratmeile des fruchtbarsten Hügellandes. Denn so wie ihr ohne das Auge wenig Früchte tragen würdet an den Händen und Füßen, so auch würden die Ebenen und Kleinhügelländereien gar spottwenig Früchte tragen ohne den ewigen Schnee und das Eis der Gletscher. Und in dieser Hinsicht dürfte dann wohl so mancher wohlhabende und gesegnete Landmann eine Reise nach dem Großglockner machen und daselbst in Meinem Namen sein Eis küssen. Denn es hängt von der kußgroßen Fläche des Eises am Großglockner die ganze Fruchtbarkeit seines Grundes ab.



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