Leopold Engel (1858-1931): 'Das große Evangelium Johannes', angeblicher 'Band 11', Achtung! krit. Anmerkungen


Kapitelinhalt 043. Kapitel

01] Als wir die Straße längere Zeit schweigend beschritten hatten, näherte sich Mir Johannes und sagte: »Herr, Du weißt, wie sehr ich stets aufgemerkt habe auf alles, was Du getan und gesprochen hast! Ich habe mir auch manche Anmerkungen gemacht, vorzüglich über Deine Lehre, und mir alle Deine Worte getreu ins Herz und dadurch auch ins Gedächtnis geprägt, so daß es mir nun jederzeit leicht sein würde, schriftlich niederzulegen, was hauptsächlich in unseren Herzen leben soll. Bis jetzt ist das aber nur teilweise geschehen. Diese Begebenheit mit Lazarus, von der wir alle nun die aufmerksamsten Zeugen gewesen sind, möchte ich denn aber doch ganz besonders aufzeichnen; denn sie scheint mir von einer besonderen Bedeutung, die doch wohl noch einen anderen Ursprung hat, als nur den, einen toten Körper wieder zu beleben.«

02] Sagte Ich: »Was für eine Bedeutung scheint dir denn noch dieser Begebenheit innezuwohnen?«

03] Antwortete Johannes: »Herr, Lazarus war Dir ganz besonders teuer wegen seines gerechten Lebenswandels vor Dir und mußte doch sterben an einer Krankheit, die er sich selbst durch sein Verschulden zugezogen hatte. Ist das nicht ein deutliches Zeichen, daß der Mensch, sobald er nicht vor Deinen Augen bewußt wandelt, das heißt sich beobachtet glaubt von Deinen doch allwissenden Augen, trotz aller Gerechtigkeit dennoch nur zu leicht in allerhand Fehler verfallen kann, durch die er in einen geistigen Todesschlummer verfällt, aus dem nur Du allein ihn wieder erretten kannst?

04] Und wenn dann die leidtragenden Schwestern des Menschen - das sind seine werktätige Liebe und sein guter Wille - zu Dir kommen und sagen: 'Siehe, Herr, den Du lieb hattest, aber der da dennoch fehlte, ist jetzt tot! Er wäre nicht gestorben, so Du hier gewesen wärest!' das heißt also: wenn er unter Deinem Auge sich wandelnd gefühlt hätte, so hätte er nicht gesündigt -, wirst Du dann nicht aus Erbarmen ihn aus der Todesnacht befreien, die Binden ihm abnehmen lassen und ihn mit dem Lebenswasser wieder erquicken und so herstellen, als wäre er nie gestorben?

05] Siehe, Herr, diese und noch viele andere Gedanken sind mir gekommen, und ich glaube daher auch, daß noch vieles mehr in dieser Begebenheit verborgen ist, als die Zeugen derselben vermeinen!«

06] Sagte Ich: »Johannes, wohl dir, daß du im Geiste erkennst, was dieser allein dir offenbaren kann, und durch die äußere Begebenheit den inneren Sinn liest! Ich sage dir daher auch, daß noch unendlich viel mehr in dieser Begebenheit verborgen liegt.

07] Dann, wenn erst der große Lazarus, um dessentwillen Ich ins Fleisch gekommen bin, wird auferweckt werden durch Meine Liebe, dann erst ist der Augenblick gekommen, wo vor jedweder Kreatur die Liebe des Vaters so offenbar wird, daß die innere Liebe eurer Herzen euch zersprengen würde, wenn nicht eure Seelen durch viele Schulungen gefestet genug wären, diese ungeheure Liebeerkenntnis zu ertragen.

08] Jetzt allerdings sehen die Menschen nur eine gewöhnliche, wenn auch außerordentliche Totenerweckung in ihr, die sie mit Staunen wohl, aber noch nicht mit Liebe zu Gott erfüllt. Und auch spätere Geschlechter werden wenig von dem inneren Sinne spüren. Du aber, als der erste, der davon spürte, sollst auch darum Zeugnis darüber geben und in deinen Berichten diese wichtigste aller Begebenheiten nicht vergessen!

09] Nun aber schweige hiervon; denn was wir sprachen, ist nur für dich allein und noch nicht für die übrigen!«

10] Wir gingen nun wieder schweigend unseres Weges weiter. Nach einiger Zeit fiel es nun doch dem Judas auf, daß Ich so gar keine Anstalten machte, Mich über die Richtung des einzuschlagenden Weges zu äußern, und da es ihn juckte, womöglich in Jericho zu bleiben, das bekanntlich zu Meiner Zeit eine sehr blühende Stadt war, voll aller damaligen Vergnügungen eines Wohnsitzes der Reichen, weswegen sich auch dort leichter als irgendwo sonst ein kleines Geschäft als eine Art Wundertäter machen ließ, so fragte er Mich geradezu, ob Ich in Jericho längere Zeit zu bleiben gedächte.

11] Ich antwortete ihm: »Wer sagt dir, daß Ich überhaupt nach Jericho ziehen will?«

12] Judas, etwas verdutzt und enttäuscht über diese Gegenfrage, die ihm die Vereitelung seines Wunsches anzudeuten schien, beeilte sich, sich zu entschuldigen, daß er dieses nur vermutet hätte, da die Straße dahin führe.

13] Ich antwortete ihm: »Ein jeder geht die Straße, die ihn der Geist führt! Zieht es dich nach Jericho, so gehe dorthin! Ich halte dich nicht. Frage aber nicht, wohin Mein Weg geht; denn dieser ist nicht der deine!«

14] Meinte Judas, dem es doch allzu verlockend war, die Palmenstadt aufzusuchen, ob Ich zürnen würde, wenn er kurze Zeit dahin gehen würde.

15] Sagte Ich: »Habe Ich doch die andern alle ohne Unmut, ja mit Meinem Segen entlassen, warum sollte Ich dir zürnen? Jeder gehe, wohin der Geist ihn führt! So gehe auch du nach Jericho; denn deine Seele ist schon dorten!«

16] Daraufhin dankte Mir Judas für diese Erlaubnis und verschwand auch unbemerkt am nächsten Herbergshause, deren es auf der Straße nach Jericho viele gab, aus unseren Reihen. Er verbrachte die ganze Zeit, von der jetzt berichtet werden soll, in jener Stadt und machte dort als Erzähler und Augenzeuge der Auferweckung des Lazarus bei den wundersüchtigen Römern und Fremden, von denen Jericho angefüllt war, recht gute Geschäfte.

17] Nebenbei sei aber auch gesagt, daß er zur Kenntnisnahme Meiner Lehre nicht wenig beitrug, dieser oftmals mit großem Feuer und viel Rednergabe vortrug, - immer aber mit einer gewissen Absicht, auf sich selbst auch einen Teil der Bewunderung zu ziehen, der Meiner Weisheit galt. So wurde er dennoch gerade für diese Art Leute in Jericho ein ganz gutes Werkzeug, trotz aller seiner Nebenabsichten, - wie denn auch nicht oft genug betont werden kann, daß Judas keineswegs ein schlechter Mensch gewesen ist, sondern nur ein solcher, der gleichzeitig sich selbst und damit der Welt und dem Geiste dienen wollte, dadurch aber in gar argen Zwiespalt geriet, den dann andere, weit schlechtere Menschen später auszunutzen verstanden.

Krit. Anmerkungen zur Person und den Werken von Leopold Engel



Home  |    Index Band 11  |   Werke Lorbers