Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8


Kapitelinhalt 95. Kapitel: Von der Kraft des Kleinen.

01] Als Markus Mich darob sehr lobte, weil Ich ihm diese Erklärung machte, sagte Ich zu ihm: »Du hast nun ganz wohl geredet und hast mit deinem Lobe Meinem Herzen eine rechte und wahre Freude gemacht; denn wer eine geringer scheinende Gabe nicht ehrt, ist auch keiner größeren wert. Ich sage es euch aber, daß Ich es stets also tue, wie ihr das in aller Natur der Erde sehen könnet: Sowie Ich etwas Übergroßes zu tun scheine, da ist die Wirkung aus wohlweisen Gründen eine mindere; wo Ich aber kaum merkbar etwas zu tun scheine, da ist die Wirkung stets eine endlos große und unverwüstliche. Daher könntet ihr sagen: Ich bin im Großen klein, aber im Kleinsten endlos groß!

02] Wenn Ich einen gewaltigsten Gewittersturm verheerend über Länder und Meere ziehen lasse, so sagen die Menschen: "Wie furchtbar groß und mächtig bist Du, o Herr!" So Ich aber ein unscheinbares Samenkörnlein in die Erde lege, das dann keimt, wächst und einen starken und mächtigen Baum aus seiner Unscheinbarkeit ins Dasein stellt, so wird dabei kein Mensch voll Staunens ausrufen: "Wie groß und mächtig bist Du, o Herr!", sondern er betrachtet dies viel größere Wunder mit ganz gleichgültigem Gemüte und sagt höchstens: "Ja, ja, es muß das schon alles so sein, daß nach dem Willen des Herrn aus kleinen Samen große Bäume und Wälder entstehen.

03] So staunen die Menschen auch über sehr hohe Berge, breite Ströme, große Seen und Meere und achten eines fruchtbaren Hügels und einer reinen, ihren Durst stillenden Quelle kaum; aber bei Mir steht der fruchtreiche Hügel bei weitem über dem unfruchtbaren hohen Ararat und die reine Quelle bei weitem über dem Ozean. Denn diese sind schon mit dem Leben aus Mir wunderbar sehr nahe verwandt; aber der Ararat und der Ozean stehen noch sehr tief im Gerichte und stehen vom Leben noch ferne.

04] Darum achtet auch ihr auf Meine oft gering scheinenden Worte; denn eben in diesen Worten gebe Ich euch mehr des Liebelebens aus Mir, als so Ich euch eine ganze Hülsenglobe ordentlich in Atome vor euren Augen und Ohren zerlegte! Denn von Meiner endlosesten Weisheit und Macht könnt ihr nur einzelne Tröpflein einschlürfen, aber aus dem Lebensborne Meiner Vaterliebe könnt ihr allzeit Ströme in euch schlürfen.

05] Und seht, also ist es auch der Fall, so Mich die Menschen lieben, ehren und preisen! Wer Mich liebend im stillen ehrt und preist und erkennt dabei in aller Demut seine Geringheit und Mein Alles, der ehrt Mich wahrhaft im Geiste und in der Wahrheit vollkommen, und Ich habe ein großes Wohlgefallen an ihm, und es erzeugt das etwas ganz gering Scheinende eine große Wirkung. Wer Mich aber mit großem Weltgepränge, mit allerlei nichtiger Zeremonie und langen Gebeten und Gesängen ehrt und preist und dabei glaubt, daß Mir das wohlgefällt, der ist in einer großen Irre; denn derlei Preisung ist vor Mir ein Greuel, so sie von den Priestern ausgeht; und so das unwissende Volk Mich dadurch zu ehren wähnt und dadurch sich von Mir eine Gnade erbitten will, so wird es von Mir nicht erhört werden in einem großen Maße, auf daß es zur Einsicht komme, daß Ich an solchen großen und prunkvollen Gebeten und Verehrungen gar kein Wohlgefallen habe.

06] So viele Nährfrüchte auf den hohen Bergspitzen wachsen, so viele Gnadenfrüchte sollen auch den Menschen werden, die Mich mit den großen Geprängen anbeten, preisen und verehren! Denn wer zu Mir nicht im Herzen, im Geiste und in aller Wahrheit betet, der wird auch nicht erhört werden; denn würde Ich solche Gebete erhören, so würde Ich Selbst der Lüge und dem Heidentume den begünstigenden Vorschub leisten, was von Mir wohl nie jemand, der nur einen helleren Verstand besitzt, erwarten wird. Denn Ich Selbst bin das Licht, der Weg, die Wahrheit und das Leben, wie möglich könnte Ich dann der Finsternis, den Irrpfaden, der Lüge und dem Tode hold sein?

07] Darum sage Ich euch auch, daß Ich weder im Sturmgebraus noch in dem Wüten des Feuers, sondern im sanften Gesäusel der wehenden Morgenluft einhergehe. Wer Mir dann in solcher Stille seines Gemütes entgegengehen wird, der wird Mir auch begegnen.«

08] Sagte nun Markus: »O Herr und Meister, wie groß und herrlich und wie voll Liebe und ewiger Wahrheit sind Deine Worte, und wie glücklich ist der, welcher sie begreift und nach ihrem Sinne handelt! Aber wie wenige gibt es nun derer, die das vernehmen und wohl beherzigen möchten! Doch wir werden das wohl tun, was Du uns angeraten hast; denn wir wissen und glauben nun lebendig, daß Du allein der Herr und Meister, der allein eine und wahrste Gott von Ewigkeit bist, und daß alles, was die Unendlichkeit faßt, von Dir erschaffen ist und fort und fort erhalten wird. Darum auch sei Dir allein alles Lob, aller Preis und alle unsere Liebe und Anbetung in der Tat!

09] Aber da wir nun hier schon einmal das nie beschreibbare Glück haben, Dich als den ewigen Meister aller Dinge leibhaftig unter uns zu haben, so wäre es von uns wissensgierigen Römern wahrlich unverzeihlich, so wir uns nicht noch mit allerlei Fragen an Dich wendeten - denn Du allein kannst uns ja nur sagen, wie sich diese und jene Dinge verhalten, und so hätte ich nun bei dieser Gelegenheit noch eine kleine Frage.«



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