Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 92


Unterschied der Schönheit der Gottes- und der Weltkinder.

01] Er (Mathael) ging darum sehr ernsten Schrittes zum Ouran und zu der schönsten Helena hin und fragte beide, ob sie nun wohl schon so recht reiflich über seine ihnen gegebenen Erklärungen nachgedacht hätten.

02] Darauf sagt die Helena gar freundlichen Angesichtes: ”Aber sieh, man sagt, dass ich auch ein schönes Mädchen sei, ja man nannte mich schon oft eine zweite Venus; meinst du, dass dieser Name auch für mich ein nach deiner Erklärung bezeichnender ist? Sag es mir, du lieber, weiser Freund!“

03] Diese Frage machte unsern Mathael anfangs ein wenig verlegen, weil er darin gleich auf den ersten Blick eine kleine Beleidigung des Herzens Helenas entdeckte; aber er faßte sich bald und sagte: ”Liebste Schwester in Gott! Was ich dir sagte, das gilt nur von den Kindern der Welt; die wahren Kinder Gottes aber können noch so schön sein auch dem Außen nach, so sind sie aber dennoch weise in ihren Herzen.

04] Bei diesen ist die äußere Schönheit nur Aushängeschild von ihrer geistigen Schönheit; aber bei den Kindern der Welt ist sie eine trügerische Tünche der Gräber, die dann, wenn sie übertüncht werden, recht schön und einladend aussehen, aber von innen sind sie voll Moders und Ekelgeruches.

05] Du aber suchest Gott, - darum bist du auch ein Gotteskind. Die Kinder der Welt aber suchen nur die Welt und sind darum auch deren Kinder. Sie fliehen das Göttliche und suchen nur die Ehre und das Ansehen der Welt.

06] Wenn sie die Welt groß, herrlich und schön nennen, so ist ihre Glückseligkeit auch schon beisammen; so man aber anfinge, über göttliche Dinge mit ihnen zu reden, da wissen sie nichts, und damit sie ihre Schande verbergen, umhüllen sie sich mit allerlei Flitter der Welt, mit Hoffart und mit Hochmut und verfolgen mit Zorn, Haß und Hohn alle Weisheit, die aus Gott in die Herzen der Gotteskinder gegossen wird.

07] Es ist darum ein großer Unterschied zwischen der Schönheit der Kinder Gottes und der Kinder der Welt. Die erste ist, wie gesagt, ein Aushängeschild der inneren Seelenschönheit, und die zweite ist eine Tünche des Grabes, und diese stellt die Venuz dar, - aber nicht die deine, die du Gott suchst und Ihn auch bereits gefunden hast; daher hast du meine frühere Venus-Erklärung auch durchaus nicht auf dich zu beziehen. - Hast du mich nun wohl verstanden?“

08] Sagt die Helena: ”O ja, aber dass ich ein Gotteskind wäre, das kommt mir wohl als etwas sehr Gewagtes vor! Wir sind wohl alle sicher Geschöpfe eines und desselben Gottes; aber von der sicher endlosesten Erhabenheit der wahren Gotteskinder kann ja doch bei uns keine Rede sein, die wir als grobe und schwerfällige Materiemenschen doch ersichtlich mit allerlei Schwächen und daraus hervorgehenden zahllosen Unvollkommenheiten behaftet sind! Da wirst du, liebster und sonst weisester Freund, dich wohl ein wenig zu hoch verstiegen haben!“

09] Sagt Mathael: ”Oh, mitnichten; denn siehe, das, was ich dir gesagt habe, habe ich von dem großen Einen! Was aber Er mich gelehret, ist und bleibt ewige Wahrheit!

10] Siehe, du habest eine Taube, die da wohl fliegen kann; damit sie dir aber nicht in einem fort davonfliege und schön zahm und traulich werde, so stutzest du ihr die Flügel. Da kann die Taube dann nicht mehr auf- und davonfliegen nach ihrem Flattersinne, sondern muß dir bleiben und sich von dir zähmen lassen.

11] Sage, ob die Taube in der flügelgestutzten Zeit weniger Taube ist denn zuvor, da ihr die Flügel noch nicht gestutzt waren! Würden der lieben Taube die Flügel etwa nicht wieder in kurzer Zeit wachsen? Ja, in kurzer Zeit wird die Taube ihre Flügel wiederhaben und so gut wie zuvor fliegen können; aber sie wird gezähmt sein und gerne bei dir bleiben. Und wird sie auch von Zeit zu Zeit einen Ausflug machen, so wirst du sie nur zu rufen brauchen, und sie wird dich in hoher Luft hören und zu dir ihren Schnellflug nehmen und sich von dir liebkosen lassen.

12] Wohl haben auch die Kinder Gottes auf dieser Welt so manche Schwächen, die sie sehr daran hindern, sich zu Gott, ihrem Vater, zu erheben; allein, diese Schwächen hat der heilige Vater den Kindern für die Lebensdauer in dieser Welt nur darum zukommen lassen, als (darum) du deine Taube auch flugschwach gemacht hast.

13] Die Kinder sollen aber eben in solcher ihrer Schwäche ihren Vater erkennen, sie sollen sanftmütig und demütig werden und den Vater um die rechte Kräftigung und Stärkung bitten; und Er wird ihnen dann diese schon geben, wenn es für sie an der rechten Zeit sein wird.

14] Aber wegen (trotz) der Schwächen, die auch den Kindern Gottes innewohnen, sind sie nicht minder Seine Kinder, als die Taube darum gleichfort eine Taube ist und bleibt, wenn ihr auch auf eine kurze Zeit die Flügel gestutzt werden der Zähmung wegen. - Verstehst du, holdeste Helena, nun dieses?“



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