Kurt Eggenstein: 'Der Prophet Jakob Lorber verkündet bevorstehende Katastrophen und das wahre Christentum', II. Teil
Zusammenfassung: Neuoffenbarungen durch Prophet Jakob Lorber (1800-64) zu den Evangelien, ihren Verfassern, Entstehungsort und -Zeit, den daran erfolgten Änderungen, Verfälschungen und Fehlauslegungen. War Petrus je in Rom? Wo starb er? Vergl. mit Aussagen von Irenäus, Origines, Eusebius, Hieronymus, Papias, Euseb, Clemens von Rom, E. Hirsch, Paillard, D. Fr. Strauß Wrede, F. Ch. Baur, Arthur Drews.
Die Neuoffenbarung bestätigt zwar manche Forschungsergebnisse der
bibelkritischen Wissenschaft, wie insbesondere die Änderung der Evangelien
durch die Kirchenmänner, was die Forschung als "Gemeindegut" bezeichnet.
Diese schoß aber oft weit über das Ziel hinaus und verlor sich in haltlosen
Spekulationen.
Übereinstimmung besteht z. B., wenn E. Hirsch feststellt, daß das Lukas-Evangelium "laufend Besserungen, Streichungen und Ergänzungen erlebt"
hat. 30 Wenn Lukas schreibt (Lk.01,03), er sei "allen Ereignissen von ihren ersten Anfängen an sorgfältig nachgegangen", so wird dieser Eifer durch die NO
bestätigt. Die Prüfung der Glaubwürdigkeit seiner Gewährsleute konnte ihm
aber kaum gelingen. Die NO läßt uns denn auch wissen, daß "vom Prüfen . . .
keine Rede war" (jl.ev11.277,06).
Auch katholische Theologen lassen heute
keinen Zweifel offen, daß Lukas manche Vorgänge hewußt beschönigt oder
gemildert hat. Paillard wirft Lukas eigenmächtig chronologische Änderungen
und den Mangel an Ortsangaben vor. 31
Irenäus, Origenes, Eusebius und Hieronymus berichten in den ersten
Jahrhunderten, daß "Matthäus sein Evangelium in Judäa für Hebräer.. . für
die vom Judentume übergetretenen Gläubigen schrieb . . . ehe er fortreiste und
sie verließ" 32. Dies entspricht - wie oben berichtet - dem tatsächlichen
Sachverhalt.
Im Brief an die Kolosser (4, 14) schreibt Paulus: "Der geliebte Lukas, der
Arzt". Daraus wurde ohne weiteres geschlossen, es handle sich um den
Evangelisten Lukas. Aus der Neuoffenbarung ersehen wir, daß diese Annahme
eine Fehlinterpretation darstellt. Bestätigt wird vielmehr durch die NO die
Legende, er sei Maler gewesen. 33
Wie stark die Meinungen der Forscher
zuweilen von der Phantasie beflügelt worden sind, zeigen die folgenden
divergierenden Ansichten. Paillard versteigt sich zu der jeder Grundlage entbehrenden Behauptung:
"Sein (Lukas) Wortschatz zeugt von gründlichen medizinischen Kenntnissen,
die sich auf Hippokrates, Dioskorides und andere Autoritäten stützen." 34
Andere Theologen bestreiten diese brüchige Hypothese kategorisch. "Nach
altkirchlicher Überlieferung aus dem 2. Jahrhundert", heißt es in der Schrift
Sachkunde Religion, "soll der Verfasser, der Arzt, ein Reisebegleiter des Paulus
sein. Der Verfasser ist jedoch weder medizinisch gebildet, noch kennt er die
Theologie des Paulus gut." 35
Aus der Sicht der NO ist den Ausführungen des katholischen Bibelwerkes
Stuttgart zuzustimmen: "Erst die kirchliche Überlieferung des 2. Jahrhunderts
(Irenäus, Kanon Muratori) nennt den Namen des Lukas, bezeichnet ihn als
Arzt und identifiziert ihn mit dem Paulusbegleiter gleichen Namens. Doch wir
dürfen solchen Hinweisen nicht allzuviel historische Beweislast aufbürden."36
Über die Rolle, die der Evangelist Markus im Verhältnis zu den anderen
Synoptikern gespielt hat, werden schon seit mehr als 200 Jahren die verschiedensten Vermutungen angestellt. Da die Evangelien des Matthäus und
Lukas zahlreiche Perikopen enthalten, die auch Markus bringt, nehmen viele
Wissenschaftler an, das Markus-Evangelium bilde die Grundlage und die
anderen Evangelisten hätten bei ihm abgeschrieben. Gegen diese These
wendeten sich bereits D. Fr. Strauß, Wrede und F. Ch. Baur im vorigen
Jahrhundert; sie behaupten, nicht Lukas und Matthäus seien von Markus
abhängig, sondern es sei genau umgekehrt. 37
Wieder andere sehen in Markus einen "unbekannten Heidenchristen, der
Palästina nur sehr schlecht kennt, also kein Augen- oder Ohrenzeuge" 38.
Arthur Drews vertritt die radikale Hypothese: "Markus hat seine sämtlichen
Geschichten ganz einfach aus dem Alten Testament herausgesponnen und mit
Hilfe des Sternenhimmels zusammenphantasiert." Da Drews die Existenz Jesu
leugnet, kann er zu keiner anderen Schlußfolgerung kommen.
Wenden wir uns den alten christlichen Quellen zu, so finden wir bei Papias,
dem Bischof von Hierapolis (gest. nach 120 n. Chr.), die Mitteilung, Markus sei
der Dolmetscher des Petrus gewesen. Er selbst habe dies von dem Presbyter
Johannes erfahren.39
Der älteste Kirchenschriftsteller Euseb berichtet, Clemens von Rom habe
gewußt, daß Markus zu Lebzeiten des Petrus geschrieben habe. Irenäus und
Papias (2. Jh.) dagegen behaupten, er habe erst nach dem Tod des Petrus sein
Evangelium verfaßt.
Aus den zahlreichen sich widersprechenden Meinungen
wird klargestellt, daß auf die Tradition kein Verlaß ist. Wir wissen aus den
obigen Zitaten aus der NO, daß Markus der Sohn des Petrus war und
unabhängig von anderen ein eigenes Evangelium geschrieben hat. Er hatte es
nicht nötig abzuschreiben. Mit Recht fragt ein Forscher: "Wie kann er so
lebendig wirken?" 40
Markus gibt bestimmte Einzelheiten sachlich richtig wieder, die zeigen, daß
er in Galiläa gewohnt hat. So schreibt er, daß wegen des Gedränges bei den
Wunderheilungen ein Lahmer nicht in das Haus, in dem Jesus war, hineingetragen werden konnte: "Da deckten sie das Dach auf und schufen dadurch eine Öffnung und ließen die Bahre hinab." (Mk.02,04)
Die NO berichtet, daß in
Galiläa die Dächer der Hütten (von Häusern im heutigen Sinne kann nicht
gesprochen werden) aus Schilf bestanden, das mit wenigen Handgriffen
beseitigt werden konnte.
Bibelkritiker des 20. Jahrhunderts wollen es besser
wissen und betrachten die betreffende Stelle als einen Übersetzungsfehler. Ihre
Denkkategorien zielen offenbar auf Eisenbetondecken und deshalb meint ein
Autor, es müsse heißen: "Sie brachten ihn zum Dach hinauf." 41
Bei der Betrachtung des Markus-Evangeliums müssen wir noch einmal
kurz zurückblenden auf den Evangelisten Matthäus, weil zu dem im folgenden
Gesagten ein Zusammenhang besteht. Es wurde ausgeführt, daß der Evangelist
Matthäus nach Indien ging. Auf seiner Reise kam er in eine Stadt, "die damals
Babylon hieß, obschon das alte Babylon ziemlich weit weg von dieser Stadt
einen großen Schutthaufen bildete." (jl.ev10.161,02).
Zu dem König dieses Landes hatte Matthäus ein gutes Verhältnis gefunden,
durfte aber wegen des Einflusses der Priesterkaste das Evangelium nicht
verkündigen. "Sieben Jahre später", heißt es dann wörtlich in der NO, "kam
ohnehin Petrus mit seinem Sohn Markus zu diesem König und wurde ebenfalls
gut aufgenommen." (jl.ev10.161,05) Auch Petrus wurde von diesem König vor der Wut der Baalspriester nachdrücklich gewarnt. "Petrus", heißt es dann weiter,
"ließ sich zwar längere Zeit nicht dazu verleiten (die Lehre Jesu zu verkünden,
d. Vf.), besonders da ihn auch sein Sohn und Gehilfe Markus ernstlich warnte."
"Petrus ging nach ein paar Jahren dennoch einmal hinaus außerhalb der
Stadt" und heilte Kranke. (jl.ev10.161,09-10) Er wurde daraufhin in einen
kleinen Wald gelockt, und "in diesem Wald ergriffen die Priester Petrus, zogen
ihm seine Kleider aus, erschlugen ihn und hängten ihn dann bei den Füßen an
einem dürren Myrthenbaum auf." (jl.ev10.161,15).
Es folgt dann eine bemerkenswerte Mitteilung. "Ich gebe euch hiermit das
Wissen von dem, wo und wie der erste Apostel für diese Welt geendet hat. Also
nicht in Rom, noch weniger in Jerusalem, sondern in der neuen Stadt Babylon,
die später den sarazenischen Namen Bagdad erhielt." (jl.ev10.161,21)
An
anderer Stelle ist nochmals die obige Mitteilung bekräftigt, daß Petrus die Stadt
Rom nie in seinem Leben gesehen hat (jl.ev11.246,04).
Das stimmt überein mit dem 1. Petrusbrief 5, 13, wo es heißt: "Es grüßt euch
die mit euch erwählte Gemeinde in Babylon und Markus mein Sohn."
Obwohl die katholische Kirche strengstens den Glauben an den Buchstaben der Heiligen Schrift forderte, hat sie in diesem Fall, aus naheliegenden Gründen, die Ortsangabe "Babylon" in Rom umgedeutet.
Die unabhängigen Wissenschaftler, die sich speziell mit der Untersuchung
dieser Frage befaßt haben, sind in Übereinstimmung mit der NO zu dem
Ergebnis gekommen, daß Petrus nie in Rom war.42