Jakob Lorber: 'Die Haushaltung Gottes', Band 3


Kapitelinhalt 4. Kapitel: Gespräch der bekümmerten Mira mit Henoch.

01] Die junge Rednerin aber, welche Mira hieß, bemerkte gar bald, welche Sensation ihre wenigen Worte bei den Weibern erregt hatten, und dachte sich: »Was soll nun aus dieser Erscheinung werden? Die Mütter und Schwestern sind nun auf einmal ganz verstummt; aus einer jeden Angesichte starrt große Angst und ein namenloser Schreck!

02] Es muß denn doch etwas geschehen; in solch einem beklagenswerten Zustande kann man die sonst würdigen Mütter und lieben Schwestern denn doch nicht belassen?!

03] Ich weiß schon, was ich tun werde! Ich werde gerade allein zum Henoch hingehen, da die Mütter und Schwestern sich nun nicht weiter hingetrauen, und will da eine Fürsprecherin machen; der wird die nun gar stark erschrockenen Mütter schon wieder zurechtbringen! Ja, das ist ein recht gescheiter Gedanke von mir; daher ihn nur auch geschwind in die Ausführung gebracht!«

04] Gedacht und getan, war bei der Mira schon von jeher die gute Art; daher ging sie denn auch alsogleich hin und zeigte solches alles dem Henoch an.

05] Der Henoch aber sagte zu ihr, sie gleichsam zur Rede stellend: »Ja, warum aber hast du also vorlaut geredet und hast dadurch die Mütter und Schwestern in eine solche Angst versetzt?!

06] Siehe, wie du jetzt allein zu mir den Weg gefunden hast, also hättest du ihn ehedem finden sollen und mir im Namen des Herrn kundgeben die irrung der Mütter und Schwestern, so hätte sich die Sache auf dem Wege der Liebe allein beilegen lassen; jetzt aber, da du auf deine etwas zu rasche Art den Müttern und Schwestern förmlich ein Gericht bereitet hast, geht es nicht so leicht, wie du etwa meinen möchtest!«

07] Als die Mira solches vom Henoch vernommen hatte, erwiderte sie ihm ohne Furcht: »Vater Henoch, du bist freilich wohl ein Weiser, und dazu noch der alleinige und vom Herrn Selbst fest bestellte Hohepriester, aber da meine ich gerade nicht gefehlt zu haben; denn man muß ja doch die Rechte Gottes mehr achten als die Rechte der Menschen, so diese nicht mit den göttlichen übereinstimmen!

08] Die Mütter und die Schwestern aber haben sich in einem blinden Eifer vergessen, wie es bei den Weibern schon öfter so der Fall ist, und haben dem göttlichen Rechte entgegen unter sich falsche Behauptungen aufgestellt; und da mir das doch notwendig zuwider sein mußte und ich es zufolge meines inneren Rechtsgefühles nicht länger habe ertragen können, daß der allerheiligste, beste Vater in Seinen männlichen vollkommensten Ebenmaßen noch länger soll also geschmäht werden, so trat ich denn auch auf und sagte ihnen bloß nur meine Meinung. Für das aber, daß meine wenigen Worte die Mütter und Schwestern gar so betrüben sollten, kann ich ja nicht dafür und dagegen und darum!

09] Daher mußt du, lieber Vater Henoch, mir nicht gram werden; denn ich habe es ja nur gut, aber nicht im geringsten etwa böse gemeint!

10] Siehe, daß ich den Müttern und Schwestern gewiß von ganzem Herzen gut bin, kannst du daraus ja schon ersehen, daß ich - trotz dem, daß auch mir der herrliche Mann gewinkt hatte, gleich den andern vieren mich zu ihm zu begeben, und ich auch sogleich einen nahezu unwiderstehlichen Drang, solches zu tun, in mir empfand - dennoch aus Furcht und Achtung bei den Müttern und Schwestern verblieb!

11] Doch aber sage ich dir, lieber Vater Henoch, jetzt auch ganz bestimmt: Wenn jener Mann noch einmal mir winkte, zu ihm zu kommen, so ließe ich nicht nur alle Mütter und Schwestern augenblicklich sitzen, sondern die ganze Welt, und eilete schnurgerade zu ihm hin; denn hinter dem Mann ist mehr als nur allein ein Mann! - Das weiß ich ganz bestimmt!«

12] Hier sagte der Henoch zur Mira: »Höre, du bist ja ganz entsetzlich gescheit, wie nicht leichtlich irgendeine deines Geschlechts! Daher sollte es dir so du die Mütter und Schwestern so recht vom ganzen Herzen liebhast, ja auch gar nicht schwer werden, ihnen mit deiner Gescheitheit zu helfen?!«

13] Und die Mira erwiderte dem Henoch: »Ja, lieber Vater Henoch, nach deiner stets ausweichenden Rede zu urteilen, so wird mir am Ende ohnehin nichts anderes übrigbleiben! Hab' mir's auch schon unterwegs gedacht, daß bei Euch eben der Erbarmung höchste Stufe nicht zu treffen sein dürfte! - Wenn ich nur zu jenem Manne kommen könnte; der würde mich sicher eher erhören als Ihr!«

14] Und der Henoch entgegnete ihr: »Nun gut; siehe, der Mann ist in der Hütte, und die Tür ist offen! Ich will es dir nicht vorenthalten, bei Ihm Hilfe zu suchen; du magst daher schon zu Ihm gehen, so du glaubst, daß Er dich eher erhören wird denn ich!«

15] Und die Mira sagte: »O wenn ich das nur darf, da ist es mir nicht im geringsten bange!

16] Freuet euch, ihr armen Mütter und Schwestern, es soll euch ohne Henoch geholfen werden!

17] Daher nur Mut; der herrliche Mann hat sicher ein besseres Herz als Ihr, lieber Vater Henoch, und wird mich nicht so ausfehnen (durchhecheln), so ich ihm meine Not klagen werde, sondern helfen!«

18] Hier ging sie ernstlich in die Hütte.



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