Jakob Lorber: 'Die Haushaltung Gottes', Band 2


Kapitelinhalt 111. Kapitel: Rettungstat des Eilboten Lamel. Bericht des geretteten Mädchens über die Greuel in Hanoch.

01] Nach diesen Worten dankte abermals der Horadal dem hohen Abedam und wandte sich, nachdem er gedankt hatte, zu den zehn Anführern, zu ihnen sagend:

02] »Gehet denn hin im Namen des Herrn und heißet das Volk danken dem Herrn und sich dann reisefertig halten, damit wir noch vor dem Untergange der Sonne von der Stelle kommen im Namen unseres Herrn und großen Gottes, der da ist ein wahrer, heiliger, liebevollster Vater! Amen.«

03] Und alsogleich gingen die zehn Anführer hin zum Volke und taten daselbst, wie es ihnen der Horadal geboten hatte nach dem Willen des Herrn.

04] In der Zeit von einer Minute war schon alles reisefertig; als aber der Abedam den Kisehel und den Sethlahem berief, daß sie nun führen möchten das Volk in das besagte Land, siehe, da eilte auch schon gleich einem schnell fliegenden Vogel der Lamel mit einem Mädchen, dasselbe auf seinen starken Armen tragend, daher!

05] Als er aber beim Abedam anlangte, da fiel er vor Ihm alsbald auf seine Knie nieder, stellte das Mädchen auf die Erde nieder und begann dann in aller Liebe und Demut zu reden, nachdem er zuvor dem Abedam für die glückliche Ausführung des überschweren Werkes mit dem zerknirschtesten Herzen gedankt hatte.

06] Also lauteten aber seine Worte: »Überheiliger, allerliebevollster Vater! Mit Deiner allmächtigen, heiligen Hilfe habe ich glücklich das von Dir mir in meinem Herzen aufgetragene Werk vollbracht.

07] Auch nicht ein Haupt blieb zurück von allen denen, die Du mir im Herzen angezeigt hast, auf daß ich sie erretten solle in Deinem allerheiligsten Namen.

08] Aber, o heiliger, liebevollster Vater, siehe, dieses Mädchen fand ich zwar in meinem Herzen nicht, sondern habe sie nur einsam weinend an einem breiten Bache angetroffen!

09] Als ich sie in solcher ihrer traurigen Lage aber fragte: ,Armes Kind, was fehlt dir, darum du also bitterlich weinst und dir wie verzweifelnd die Haare ausraufst?'

10] Da seufzte dies arme Wesen tief auf und begann, mir nach einer kurzen Zeit, die es zu seiner Fassung bedurfte, folgendes zu erzählen:

11] »Großer Mann, ich, das allerärmste Kind der Erde, bitte dich um des großen Gottes willen, den noch die hohen erschlagenen Brüder des aller grausamsten Lamech meinen Eltern verkündeten, daß du mich anhörest!

12] Hast du meine allerentsetzlichste Not aber einmal völlig in aller Kürze vernommen, dann erbarme dich meines noch jungen Lebens, und töte mich!

13] Höre nun; solches ist die Geschichte meines traurigsten Lebens: Meine Eltern waren trotz des schrecklichsten Verbotes des größten aller Tyrannen heimlich dennoch stets getreue Anhänger des großen Farak und glaubten an den von ihm verkündeten großen, allmächtigen Gott.

14] Ein böser Geist aber muß solches dem Lamech entdeckt haben! Dieser ließ alsbald meine lieben Eltern durch grausame Schergen holen; nur mich als das einzige Kind ließ er im Hause.

15] Es dauerte nicht lange, da brachten diese Schergen meine armen Eltern wieder ins Haus. Hier mußten sie sich sogleich entkleiden. Als nun beide ganz nackt dastanden, blaß und zitternd am ganzen Leibe, da nahmen die Schergen zuerst die arme Mutter her und legten sie auf den Boden nieder; sodann ergriffen sie ihre zarten Hände, streckten dieselben straff am Boden aus und trieben starke spitzige Nägel durch die Flächen der Hände.

16] Desgleichen taten sie auch mit den Füßen. Das große Schmerzgeschrei glitt an den Ohren der Unmenschen unerhört vorüber!

17] Was sie aber taten der armen, armen Mutter, dasselbe auch taten sie alsogleich dem Vater, wie sie mit der Mutter fertig waren.

18] Nach dieser schaudervollsten Handlung stillte sich dann noch ein jeder der Schergen, nachdem sie ihr (der Mutter nämlich) zuvor einen groben Stein unter den Rücken schoben, daß sie darob ausgespannt ward wie eine Saite über ein Tonbrett, seine wahrhaft satanisch sinnliche Lust!

19] Nach solch verübtem Greuel schlitzten sie erst beiden die Bäuche auf, nahmen mich dann in ihre Mitte und zwangen mich, daß ich den Eltern die Augen ausstechen solle unter beständigem Lobe des Gottes Lamech.

20] Hier sank ich bewußtlos zusammen und wurde hierher gebracht und, wie du siehst, an diesen Pfahl angebunden, um zugrunde zu gehen vor Hunger.

21] Was ferner aber noch mit meinen armen, allerunglücklichsten Eltern geschehen ist, weiß ich nicht mehr; aber so viel ist gewiß, daß sie noch ferner sind gemartert worden und am Ende samt ihrem Hause verbrannt!

22] Jetzt weißt du alles, und so kannst du mit mir nun machen, was du willst; aber nur hier lasse mich nicht am Leben!

23] Siehe, Du heiliger Vater, diese Erzählung war die Ursache, warum ich ein Kind mehr, als sie da gezählt waren in meinem Herzen, hierher gebracht habe!

24] Denn noch nie habe ich in mir ein so großes Mitleid gegen jemanden empfunden denn gegen dieses arme Kind!

25] Daher wirst Du mir ja wohl vergeben, so ich dadurch über Dein Gebot hinaus gehandelt habe; denn was ich dadurch dem sicheren Untergange entrissen habe, habe ich ja auch getreust hier Dir zum Opfer gebracht.

26] O Vater, nimm es gnädigst an!« - Der Abedam aber bog sich sogleich zum Lamel nieder, hob ihn von der Erde und sagte zu ihm:

27] »Lamel, Ich sage dir, daß du solches tatest, siehe, da hast du mehr getan, als du je getan hast durch dein ganzes Leben!

28] Doch lassen wir zuvor das gesamte Volk abziehen in sein bestimmtes Land, dann erst will Ich Mich an dies arme Kind wenden! Daher soll es sich nur zuvor ein wenig sammeln; Ich aber werde sodann schon das Beste tun für es und für dich! Amen.«



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