Jakob Lorber: 'Die Haushaltung Gottes' (Band 1)


Kapitelinhalt 176. Kapitel: Vorwitz und Demütigung des scharfzüngigen Kisehel.

01] Und also gingen die sieben und kamen natürlicherweise auch alsbald beim Altare an. Als sie dort nun anlangten, da trat alsogleich der sehr beherzte Kisehel vor den hohen Abedam hin und betrachtete Ihn zuerst vom Kopfe bis zur Fußsohle haarklein und fand nichts an Ihm, das ihm hätte auffallen können, außer einem ernstfreundlichen Charakter, weshalb er dann alsbald Mut genug besaß, um fürs zweite sich mit dem für ihn noch Fremden in ein prüfend-fragendes Gespräch einzulassen, welches also lautete:

02] »Lieber Fremdling, siehe, wir alle haben unsern Bruder Sethlahem lieb; denn es liegt viel Weisheit in ihm, und schon gar oft hat er uns allen genützt mit seines Herzens Güte, und seine Weisheit - abgerechnet manche gar zu feinen Wahrnehmungen - hat uns zu allen Zeiten zu einer Vorleuchte gedient! Nur diesmal scheint er zu unser aller Bedauern auf einem gewaltigen Sprunge zu stehen, wobei es zu besorgen ist, daß er bei seiner angestammten Leichtgläubigkeit, welche ein Fehler seiner zu lebhaften Einbildung zu sein scheint, dich selbst, da er an dir, was ich ihm auch in gar keine Abrede stellen möchte und könnte, hohe Weisheit bemerkt hat, für Jehova hält!

03] Siehe, so du wahrhaft weise bist, so etwas ist denn doch ein wenig zuviel!

04] So du bei deiner unbezweifelten Weisheit auch nur ein wenig Liebe besitzest, so rede dem armen Sethlahem solche Torheit seines Herzens und Verstandes doch wieder aus.

05] Denn Jehova und du werden doch ziemlich ebenso voneinander unterscheidbar sein, wie ein Punkt sich unterscheiden dürfte von der ewigen Unendlichkeit?!

06] Ich bitte dich somit im Namen aller meiner Brüder: Tue uns allen aus Bruderliebe - an der zufolge deines Aussehens dein Herz sicher keinen Mangel haben wird - den guten Gefallen und setze unserm Bruder Sethlahem den Kopf und das Herz wieder zurecht! Amen.«

07] Und der hohe Abedam, dem Kisehel erwidernd, sagte: »Kisehel, Ich habe dein Herz haarklein durchschaut und habe gefunden, daß dasselbe nur zur Hälfte mit Bruderliebe, zur andern Hälfte aber mit sich selbst liebender Schadenfreude angefüllt ist!

08] Du hast neben deiner halbseitigen guten Meinung für den Bruder dir anderseits aber ja auch vorgenommen, falls sich seine Aussage nicht bestätigen sollte, ihn mit deiner spitzigen Zunge so recht durchzuarbeiten und ihn allerweidlichst auszulachen!

09] Da du nun Meine Bruderliebe in Anspruch nahmst, so möchte Ich denn von dir aus doch erfahren, vor welchem Nachteil - für sein Herz oder für seinen Kopf- Ich ihn zuerst verwahren soll!

10] Ich Meines Teils bin mehr fürs Herz eingenommen, - du deines Teiles wieder mehr für den Kopf! So Ich ihn aber retten soll, da möchte Ich ihn lieber ganz retten, nicht nur bis zur Hälfte; daher gib Mir kund, wie solches anzustellen sein wird!«

11] Und der Kisehel besann sich nicht lange und antwortete dem Abedam: »O Freund, deine Weisheit ist wahrhaft groß und übersteigt alle meine Begriffe von ihr! Aber daß du mich bei aller deiner Weisheit noch fragen kannst, siehe, das ist mir neu; denn Weise deiner Art, vor denen sogar die Herzen der Brüder nicht sicher sind, pflegen gewöhnlich nicht mehr zu fragen, sondern allein zu lehren!

12] Und so wirst du dich für diesmal schon auch begnügen müssen, so ich dir die Antwort schuldig bleibe!

13] Was wird's denn sein, so du ihm den Kopf wieder zurechtgebracht hast?! Die Welt wird darum etwa doch nicht zugrunde gehen, so ich mit meiner leichten, ihm nur gutgemeinten Drohung zurückbleibe?!

14] Es liegt ja ohnehin nicht mehr daran als nur ein leichter Scherz!

15] Ich habe es dir aber ja im voraus doch deutlich genug zu verstehen gegeben, daß wir alle den Bruder Sethlahem liebhaben; wie fragst du denn hernach um solches, das deiner die Herzen selbst durchschaueuden Weisheit keine große Ehre macht?! Oder muß sich der Weise nicht folgerecht bleiben?!

16] Eine Weisheit mit Blößen ist von der wahren, folgerechten Weisheit noch ferne!

17] Daher wetze dir zuvor diese Scharte aus, und ich werde dir antworten!

18] (Sich zum Sethlahem kehrend:) »Bruder Sethlahem, siehe, da schaut noch lange kein Jehova heraus! - Ich hoffe, wir werden bald ins klare kommen!«

19] Und der hohe Abedam blickte den Kisehel ernst an und sagte zu ihm: »Wahrlich, wenn du so fortfährst, so wird wohl Jehova müssen zu dir in die Schule gehen und ungeblößte Weisheit von dir lernen!

20] Damit du aber siehst - und im Geiste auf lange stirbst -, daß Jehovas Weisheit keine Blößen hat, so siehe dahin gegen Morgen! Siehst du genau den großen, zerstreuten Steinhaufen daselbst, den diese Nacht dir zum Zeugnisse der blößenlosen Weisheit Jehovas durch die Zerstörung der Grotte Adams bereitet hat?

21] Begreifst du solche Weisheit? Kannst du mit deiner folgerechten Weisheit diese Grotte wieder aufbauen auf ein Haar also, wie sie ehedem war?

22] Siehe, du verneinst solches von dir und fragst im Herzen Mich darum, ob Ich solches imstande wäre!

23] Aber auch Ich bleibe die Antwort schuldig und sage allein zur Grotte: ,Erstehe!'

24] Siehe, die Grotte steht schon fertig da!

25] Willst du hingehen, so dein Glaube etwa zu schwach ist, um dich handgreiflich von außen und von innen zu überzeugen, daß die Grotte ganz vollkommen in allem bis auf das kleinste Sandkörnchen in ihrem vorigen, alten Zustande sich befindet?

26] Allein du antwortest Mir gläubig im Herzen, solches sei unnötig; wem das Äußere möglich, dem werde das Innere doch auch gleich leicht möglich sein!

27] Da du folgerechterweise solches bestätigst, so sage Mir nun, wieviel Blößen deine Weisheit an der Meinigen nun noch entdeckt!«

28] Und der Kisehel samt all den übrigen mit der Ausnahme Henochs, der die Macht des Herrn wohl kannte und Ihn lobte und pries, standen da, als wenn sie zu Stein geworden wären. Eine große Furcht ergriff sie alle, und keiner wagte sich, auch nur ein Wort über seine Lippen zu bringen.

29] Und der Abedam fragte nun wieder den Kisehel: »Kisehel, warum bleibst denn du Mir jetzt die Antwort schuldig?

30] Siehe, Ich habe dich schon wieder gefragt und dir vielleicht eine neue Blöße Meiner Weisheit enthüllt! So Ich Mich aber dir zum Schüler verdingte, was schweigst du nun und verweisest Mir Meine Blöße nicht?«

31] Und der Kisehel fiel vor dem Abedam auf sein Angesicht nieder und sagte weinend: »O Herr des Himmels und der Erde, strafe den Wurm im Staube vor Dir nicht zu hart! Ich erkenne nun meine ewige Schuld vor Dir. Der Du aber die zerstörte Grotte Adams so leicht wieder zu erbauen vermochtest, wirst ja auch dereinst des Wurmes im Staube dich erbarmen und wirst nicht zu gewaltig zürnen meiner Blindheit, die die Sonne verkannte! Dein ewig heiliger Wille! Amen.«

32] Und der Abedam sprach zu ihnen: »Stehet auf und gehet auf euren vorigen Platz, und suchet Mich in euren Herzen zu erkennen! Denn diese Erkenntnis ist euch nur ein Gericht zum Tode; wenn ihr Mich aber werdet in der Liebe eures Herzens erkannt haben, dann erst wird euch Meine Erkenntnis zum Leben gereichen!

33] Wenn euch aber euer Herz Meinen Namen nennen wird, dann kommt wieder zu Mir, damit Ich euch dann völlig erstehen mache aus der Erde, die euch mit Ausnahme des Sethlahem nun verschlungen hat!

34] Und nun gehet und tuet, wie euch geboten! - Du, Sethlahem, aber bleibe hier! Amen.«


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