Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 2)


Kapitelinhalt 87. Kapitel:

(Am 17. Oktober 1843 von 4 3/4 - 7 Uhr Abends.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1976 Lorber-Verlag

01] Wir sind bereits im neunten Saale, und erschauen allda wieder unsere Rundtafel, auf welcher es geschrieben steht:

02] „Du sollst nicht nach Dem verlangen, Was deines Nächsten ist, weder nach seinem Hause, nach seinem Ochsen, nach seinem Esel und nach seinem Grunde, noch nach allen Dem, was auf demselben wächst."

03] Wenn wir dieses Gebot hier betrachten, so müssen wir offenbar uns in die nämlichen Urtheile verlieren und die nämliche Kritik durchmachen, die wir schon bereits im siebenten Gebote haben kennen gelernt; denn auch hier ist abermals vom Eigenthum die Rede, wo man nach Dem kein Verlangen haben soll, was da, versteht sich von selbst, sich Einer oder der Andere nach Außen hin rechtlich zueignet.

04] Wer sollte da nicht sogleich wieder auf die Frage kommen und sagen: Wie konnte wohl dieses Gebot dem israelitischen Volke in der Wüste gegeben werden, indem daselbst doch Niemand weder ein Haus, noch einen Ochsen, noch einen Esel, noch einen Grund und eine Saat aus demselben hatte? Man müßte sich nur dieses Eigenthum bei dem israelitischen Volke gegenseitig eingebildet haben, und da könnte es allenfalls so viel heißen: Wenn sich dein Nächster irgend etwas Aehnliches zu besitzen einbildet, so sollst du dir nicht auch einbilden, etwas Aehnliches oder gar die Einbildung deines Nächsten selbst dir also eigenthümlich einzubilden, als wäre sie im Ernste dein Eigenthum, oder als möchtest du sie wenigstens als eigenthümlich besitzen.

05] Ich meine, es werden hier nicht eben zuviel kritischer Urtheile vonnöthen sein, um das überaus Lustige solch' eines Gebotes auf den ersten Blick einzusehen. - Ein Gebot muß ja nur allzeit zu irgend einer Sicherung einer festen wirklichen Realität da sein, an deren Verluste einem Jeden etwas gelegen sein muß. Was aber ein Luftschlösserarchitekt gegen einen andern Luftschlösserarchitekten verliert, so dieser sich im Ernste die gesetzwidrige Dreistigkeit nehmen sollte, seinem Gefährten ähnliche Luftschlösser zu bauen, - ich meine, solch' einen enormen Schaden abzuwägen, würde wohl eine ganz entsetzlich fühlbare überaus ätherisch fein geisterhafte Haarwage vonnöthen sein. Sollte nach der Meinung einer gewissen Secte auf der Erde der Erzengel Michael mit dergleichen Instrumenten im Ernste zum Ueberflusse versehen sein, so bin ich aber doch fest überzeugt, ein so überaus zartfühlendes Gewicht-Maßinstrument fehlt ihm sicher.

06] Ich zeigte aber hier Solches nur an, um dadurch das völlig Nichtige eines rein eingebildeten Besitzthumes so klar als möglich vor die Augen zu stellen. - Wenn sich die Sache aber also verhält, wozu dann ein solches Gebot, welches durchaus keine Sicherung des Eigenthums eines Anderen im Schilde führen kann, wo Niemand ein ähnliches Eigenthum besitzt, nach dem man zufolge dieses Gebotes kein Verlangen tragen soll?

07] Man wird aber hier einwenden und sagen: Der Herr hat das vorausgesehen, daß sich die Menschen mit der Zeit untereinander ein Eigenthumsrecht kreiren werden, und in dieser Hinsicht bei dieser Gelegenheit schon im Voraus ein Gebot erlassen, durch welches ein künftiges Eigenthum der Menschen gesichert sein und Niemand ein gegenseitiges Recht haben sollte, sich das Eigenthum seines Nächsten auf was immer für eine Art zueignen zu dürfen. - Das wäre ein schöner Schluß! - Ich meine, man könnte der göttlichen Liebe und Weisheit nicht leichtlich eine größere Entehrung zufügen, als durch ein solches Judicium.

08] Der Herr, der es doch sicher vor Allem einem jeden Menschen abrathen wird, sich auf der Erde Etwas anzueignen; - der Herr, vor dem jeder irdische Reichthum ein Gräuel ist, sollte ein Gebot erlassen haben zum Behufe und zur Begünstigung der Habsucht, der Eigenliebe, des Wuchers und des Geizes, - ein Gebot zur sicheren Erweckung des gegenseitigen Neides?!

09] Ich glaube, es wird hier nicht vonnöthen sein, noch mehrere Worte zu verlieren; denn das Widersinnige solch' einer Exegese liegt zu offen vor Jedermanns Augen, als daß es nöthig wäre, ihn durch ein Langes und Breites darauf zu führen.

10] Um aber die Sache doch auch für den Blindesten handgreiflich zu machen, frage ich einen jeden grundgelehrten Juristen: Worauf gründet sich denn das Eigenthumsrecht ursprünglich? - Wer hat denn dem ersten Menschen das Eigenthumsrecht einer Sache eingeräumt? - Nehmen wir an ein Dutzend Auswanderer in einem noch unbewohnten Erdstriche. Sie finden ihn und siedeln sich dort an; laut welcher Eigenthums- und Besitzrechts-Urkunde können sie sich denn eines solchen Landes als Eigenthümer bemächtigen und sich als rechtmäßige Besitzer im selben seßhaft machen?

11] Ich weiß schon, was man hier sagen wird; nichts Anderes, als "Primo occupanti jus." - Gut, sage ich; wer aber hat demnach von den zwölf Auswanderern mehr oder weniger Recht auf das neuaufgefundene Land! - Man wird sagen: Streng genommen hat der erste Veranlaßgeber zu der Auswanderung, oder Der, der allenfalls vom Verdeck eines Schiffes dieses Land zuerst erschaut hatte, mehr Recht. - Gut; was hat aber der Veranlaßgeber vor den Andern? Wären sie nicht mit ihm gezogen, so wäre er sicher auch daheim geblieben. Was hat denn der erste Erschauer vor den Uebrigen? Daß er vielleicht schärfere Augen, als die Anderen hat? Sollen dann dieses nur ihm zu gute kommenden Vorzuges wegen die Anderen benachtheiliget sein? - das wäre hoffentlich doch etwas zu unbillig judicirt! - Also müssen doch sicher alle Zwölf ein gleiches Eigenthumsrecht auf dieses vorgefundene Land haben.

12] Was werden sie denn aber thun müssen, um ihr gleiches Besitzthumsrecht auf dieses Land zu realisiren? Sie werden es theilen müssen in zwölf gleiche Theile; wer aber sieht bei dieser Theilung nicht auf den ersten Wurf die Zwistigkeit ein? - Denn sicher wird der A zum B sagen: Warum muß denn gerade ich diesen Theil des Landes in Besitz nehmen, der nach meiner Beurtheilung offenbar schlechter, als der deinige ist? - Und der B wird aus demselben Grunde erwiedern: Ich sehe aber nicht ein, warum ich meinen Landtheil gegen den deinigen vertauschen solle? Und so können wir unsere zwölf Colonisten zehn Jahre lang das Land theilen lassen, und wir werden es nicht erleben, daß da die Theilung Allen vollkommen recht sein wird.

13] Aber die Zwölf werden etwa untereinander übereinkommen und das Land zu einem Gemeingute machen; ist das der Fall, kann da unter den Zwölfen ein das Eigenthum sicherndes Gebot erlassen werden? Kann Jemand dem Andern Etwas wegnehmen, wenn das ganze Land Allen gleich gehört, und somit auch dessen Producte, von denen ein Jeder nach seinem Bedarf nehmen kann, ohne dem Andern dafür eine Rechnung zu legen?

14] Man ersieht hier im ersten Falle, daß ursprünglich eine Eigenthumsrechtskreirung nicht leichtlich denkbar ist. Daß Solches sicher der Fall ist, dürfet ihr nur auf die ersten Ansiedler von gewissen Gegenden eueres eigenen Landes hinblicken, als z. B. auf die sogenannten Herren Klostergeistlichen, die gewisser Art die ersten Colonisten einer Gegend waren; wären sie mit der Theilung zurecht gekommen, und hätten sie selbe für gut befunden, so hätten sie sicher kein Gemeingut daraus gebildet.

15] Kurz und gut, wir können thun, was wir wollen, so können wir nirgends ein ursprüngliches Eigenthumsrecht herausfinden; und wenn da Jemand mit seinem „primo occupanti" kommt, da frage ich, ob man den Postoccupanten bei seinem Auftreten in der Welt entweder gleich tödten oder ihn langsam verhungern lassen sollte, oder sollte man ihn aus diesem Lande treiben, oder ihn auf die Barmherzigkeit der Primooccupanten anweisen, und ihn aber daneben sogleich gegen die Primoccupanten mit dem neuesten Gebote belegen?

16] Ich meine, da ließe sich denn doch wohl fragen: Aus welchem Grunde denn solch' ein Postoccupant gegen die Primooccupanten sogleich bei seinem ersten Auftreten, für das er nicht kann, gleich zu einem Sündenbocke gemacht weichen sollte, während die Ersten sich gegenseitig in dieser Art nie versündigen können? - Welcher Jurist kann mir wohl solch' ein Benehmen als rechtskräftig erweisen? - Ich meine, man müßte hier nur einen Satan zum Advocaten machen, der Solches zu erweisen im Stande wäre; denn einem jeden nur einigermaßen richtig und billig denkenden Menschen dürfte ein solcher Rechtsbeweis wohl so gut als unmöglich sein.

17] Ich sehe aber schon, man wird sagen: Bei den ersten Colonisirungen eines Landes kann zwischen den Colonisten freilich wohl kein wechselseitiges Eigenthumsrecht statthaben, besonders, wenn sie sich unter einander für's Gemeingut einverständlich ausgeglichen haben. Aber zwilchen Colonisationen, welche die ersten Staatenbildungen sind, tritt doch sicher sobald das Eigenthumsrecht ein, sobald sie sich gegenseitig als bestehend festgestellt haben.

18] Gut, sage ich; wenn das der Fall ist, so muß sich für's Erste eine jede Kolonie mit einem ursprünglichen Eigenthumsrechte ausweisen. Wie aber kann sie das, nachdem sie nur ein Nutzungsrecht vom Herrn aus hat, aber kein Besitzrecht?

19] Das Nutzungsrecht hat seine Urkunde in dem Magen und auf der Haut; wo aber spricht sich das Besitzrecht aus, besonders wenn man erwägt, daß ein jeder Mensch, sei er einheimisch oder ein Fremdling, in seinem Magen und auf seiner Haut dieselbe göttliche vollgiltige Nutzungsrechts-Urkunde mit sich bringt, als sie der Einheimische hat? - Wenn man sagt: das Besitzrecht hat seinen Grund im Nutzungsrechte ursprünglich, so hebt dieser Satz sicher jedes specielle Besltzthum auf, weil jeder das gleiche Nutzungsrecht hat. - Kehrt man aber die Sache um und sagt: das Besitzrecht verschafft einem erst das Nutzungsrecht, da kann man dagegen nichts Anderes sagen, als das alte Rechtswort: „Potiori jus"; was mit anderen Worten so viel sagen will, als: Schlage so viel Nutzungsrechtsbesitzende todt, damit du dir allein einen Strich Landes durch die Gewalt deiner Faust völlig zueignen kannst.

20] Sollte etwa noch einigen fremden Nutzungsrechtsbesitzern der Appetit kommen, dir dein erkämpftes Besitzthum laut ihres göttlichen Nutzungsrechtes streitig zu machen, so schlage sie Alle schön fleißig todt, oder setze sie wenigstens im besseren Falle als steuerpflichtige Unterthanen ein, damit sie in deinem erkämpften Besitzthume im Schweiße ihres Angesichtes für dich arbeiten und Du ihnen dann ihr Nutzungsrecht nach deinem Wohlgefallen bemessen kannst. Trete auf, wer da will, und erweise mir ein anderes Besitzrecht; fürwahr ich will ihm dafür meine ganze Seligkeit abtreten und mich dafür zu einem nothdürftigsten Bürger der Erde machen lassen!

21] Wer kann, von göttlicher Seite betrachtet, den Krieg rechtfertigen? Was ist er? - Nichts, als ein grausamster Gewaltstreich, das Nutzungsrecht den Menschen zu nehmen, und dafür ein Besitzrecht gewaltsam einzuführen; d. h. das göttliche Recht vertilgen und an dessen Stelle ein höllisches einführen.

22] Wer könnte demnach von Gott aus wohl ein Gesetz erwarten, welches das ursprüngliche in Jedermanns Wesen sich deutlich beurkundende göttliche Nutzungsrechtsgesetz aufheben sollte, und an dessen Stelle mit göttlicher Macht, und Autorität ein höllisches Besitzthumsgesetz rechtskräftigen? - Ich meine, das Widersinnige dieser Behauptung ist für einen Erzblinden sogar sonnenhell und klar ersichtlich, und mit behandschuhten Händen zu greifen.

23] Daraus geht aber hervor, daß dieses Gesetz sicher eine andere Bedeutung haben muß, als es die Menschen darstellen, wie es nur das Besitzthum sichert. Als göttliches Gesetz muß es ja auch ewig in allen Himmeln aus der Tiefe der göttlichen Ordnung geltend sein. Wo aber besitzt Jemand im Himmel Häuser, Ochsen, Esel und Aecker? - Im Himmel sind lauter Nutzungsrechtige, und der Herr allein besitzungsrechtig. - Wir wollen daher sogleich zu der rechten Bedeutung dieses Gesetzes übergehen.

01] Wir sind bereits im neunten Saale und erschauen allda wieder unsere Rundtafel, auf welcher geschrieben steht:

02] »Du sollst nicht nach dem verlangen, was deines Nächsten ist, weder nach seinem Hause, nach seinem Ochsen, nach seinem Esel und nach seinem Grunde, noch nach allem dem, was auf demselben wächst.«

03] Wenn wir dieses Gebot betrachten, so müssen wir offenbar uns in die nämlichen Urteile verlieren und die nämliche Kritik durchmachen, die wir bereits im siebenten Gebote kennengelernt haben. Denn auch hier ist abermals vom Eigentum die Rede, und daß man nach dem kein Verlangen haben soll, was da einer oder der andere sich nach außenhin rechtlich zueignete.


04] Wer sollte da nicht sogleich wieder auf die Frage kommen und sagen: Wie konnte wohl dieses Gebot dem israelitischen Volk in der Wüste gegeben werden, wo daselbst doch niemand weder ein Haus, noch einen Ochsen, noch einen Eisel, noch einen Grund und eine Saat auf demselben hatte? Man müßte sich dieses Eigentumbei dem israelitischen Volke gegenseitig nur eingebildet haben. Und da könnte es allenfalls heißen: Wenn sich dein Nächster irgendetwas Ähnliches zu besitzen einbildet, so sollst du dir nicht auch einbilden, etwas Ähnliches oder gar die Einbildung deines Nächsten selbst dir also eigentümlich einzubilden, als wäre sie im Ernste dein Eigentum oder als möchtest du sie wenigstens eigentümlich besitzen.

05] Ich meine, es werden hier nicht viele kritische Urteile vonnöten sein, um das überaus Luftige eines solchen Gebotes auf den ersten Blick einzusehen. Ein Gebot muß ja allezeit nur zu irgendeiner Sicherung einer festen Realität da sein, an deren Verlust einem jeden etwas gelegen sein muß. Was aber ein Luftschlösserarchitekt gegen einen andern Luftschlösserarchitekten verliert, so dieser sich im Ernste die gesetzwidrige Dreistigkeit nehmen sollte, seinem Gefährten ähnliche Luftschlösser zu bauen, ich meine, solch einen enormen Schaden abzuwägen, dazu würde wohl eine überaus feine, ja geradezu ätherisch geisterhafte Haarwaage vonnöten sein. Sollte auch nach der Meinung einer gewissen Sekte auf der Erde der Erzengel Michael mit dergleichen Instrumenten im Ernste zum Überflusse versehen sein, so bin ich aber doch fest überzeugt: ein so überaus zartfühlendes Gewicht-Maßinstrument fehlt ihm sicher.

06] Ich zeigte aber hier solches nur an, um dadurch das völlig Nichtige eines rein eingebildeten Besitztumes so klar als möglich vor die Augen zu stellen. Wenn sich die Sache aber also verhält, wozu dann ein solches Gebot, das durchaus keine Sicherung des Eigentums eines andern im Schilde führen kann, wo niemand ein ähnliches Eigentum besitzt, nach dem man zufolge dieses Gebotes kein Verlangen tragen soll?

07] Man wird aber hier einwenden und sagen: Der Herr hat das vorausgesehen, daß sich die Menschen mit der Zeit untereinander ein Eigentumsrecht schaffen werden, und hat in dieser Hinsicht bei dieser Gelegenheit schon im voraus ein Gebot erlassen, durch welches ein künftiges Eigentum der Menschen gesichert sein sollte und niemand ein gegenseitiges Recht habe, sich das Eigentum seines Nächsten auf was immer für eine Art zueignen zu dürfen. Das wäre ein schöner Schluß! Ich meine, man könnte der göttlichen Liebe und Weisheit nicht leichtlich eine größere Entehrung zufügen als durch ein solches Urteil.

08] Der Herr, der es doch sicher vor allen einem jeden Menschen abraten wird, sich auf der Erde etwas anzueignen, der Herr, vor dem jeder irdische Reichtum ein Greuel ist, sollte ein Gebot erlassen haben zum Behufe und zur Begünstigung der Habsucht, der Eigenliebe, des Wuchers und des Geizes, ein Gebot zur sicheren Erweckung des gegenseitigen Neides?

09] Ich glaube, es wird hier nicht vonnöten sein, noch mehr Worte zu verlieren; denn das Widersinnige solch einer Exegese liegt zu offen vor jedermanns Augen, als daß es nötig wäre, ihn durch ein langes und breites daraufzuführen.

10] Um aber die Sache doch auch für den Blindesten handgreiflich zu machen, frage ich einen jeden grundgelehrten Juristen: Worauf gründet sich denn ursprünglich das Eigentumsrecht? Wer hat denn dem ersten Menschen das Eigentumsrecht einer Sache eingeräumt? Nehmen wir ein Dutzend Auswanderer in einem noch unbewohnten Erdstriche an. Sie finden ihn und siedeln sich dort an. Laut welcher Eigentums- und Besitzechts-Urkunde können sie sich denn eines solchen Landes als Eigentümer bemächtigen und sich dort als rechtmäßige Besitzer seßhaft machen?

11] Ich weiß schon, was man hier sagen wird: Wer zuerst kommt, hat das Grundrecht. Gut, sage ich, wer aber hat demnach von den zwölf Auswanderern mehr oder weniger Recht auf das gefundene Land? Man wird sagen: Streng genommen hat der erste Veranlasser zu der Auswanderung, oder der, der allenfalls vom Verdeck eines Schiffes dieses Land zuerst erschaut hatte, mehr Recht. Gut, was hat aber der Veranlasser vor den andern voraus? Wären sie nicht mit ihm gezogen, so wäre er sicher auch daheim geblieben. Was hat denn der erste Erschauer vor den übrigen voraus? Daß er vielleicht schärfere Augen als die anderen hat? Sollen dann dieses nur ihm zugute kommenden Vorzuges wegen die anderen benachteiligt sein? Das wäre doch etwas zu unbillig geurteilt. Also müssen doch sicher alle zwölf ein gleiches Eigentumsrecht auf dieses vorgefundene Land haben.


12] Was werden sie aber tun müssen, um ihr gleiches Besitztumsrecht auf dieses Land zu reallisieren? Sie werden es teilen müssen in zwölf gleiche Teile. Wer aber sieht bei dieser Teilung nicht auf den ersten Wurf die kommenden Zwistigkeiten? Denn sicher wird der A zum B sagen: Warum muß denn gerade ich diesen Teil des Landes in Besitz nehmen, der nach meiner Beurteilung offenbar schlechter ist als der deinige? Und der B wird aus demselben Grunde erwidern: Ich sehe nicht ein, warum ich meinen Landteil gegen den deinigen vertauschen soll. Und so können wir unsere zwölf Kolonisten zehn Jahre lang das Land teilen lassen, und wir werden es nicht erleben, daß die Teilung allen vollkommen recht sein wird.

13] Werden aber diese Zwölf untereinander übereinkommen und das Land zu einem Gemeingute machen; kann da unter den Zwölfen ein das Eigentum sicherndes Gebot erlassen werden? Kann einer dem andern etwas wegnehmen, wenn das ganze Land allen gleich gehört und somit auch dessen Produkte, von denen ein jeder nach seinem Bedarf nehmen kann, ohne dem andern dafür eine Rechnung zu legen?

14] Man ersieht hier im ersten Falle, daß ursprünglich eine Eigentumsrechtsschaffung nicht leichtlich denkbar ist. Um zu sehen, daß solches wirklich der Fall ist, dürfet ihr nur auf die ersten Ansiedler gewisser Gegenden eures eigenen Landes hinblicken, z.B. auf die sogenannten Herren-Kloster-Geistlichen, die gewisserart die ersten Kolonisten einer Gegend waren. Wären sie mit der Teilung zurechtgekommen und hätten sie selbe als gut befunden, so würden sie sicher kein Gemeingut gebildet haben.

15] Kurz und gut, wir können tun, was wir wollen, so können wir nirgends ein ursprünglicbes Eigentumsrecht finden. Und wenn da jemand mit seinem Grundrecht kommt, da frage ich, ob man den Nachkömmling bei seinem Auftreten in der Welt entweder gleich töten oder ihn langsam verhungern lassen solle? Oder soll man ihn aus diesem Lande treiben; oder ihn auf die Barmherzigkeit der Grundbesitzer anweisen, ihn daneben aber sogleich gegen diese mit dem neuesten Gebote belegen?

16] Ich meine, da ließe sich doch wohl fragen, aus welchem Grunde ein solcher Nachkömmling gegen die Grundrechtbesitzer sogleich bei seinem ersten Auftreten; für das er nicht kann, zu einem Sündenbocke gemacht werden sollte, während die ersten sich gegenseitig in dieser Art nie versündigen können? Welcher Jurist kann mir wohl ein solches Benehmen als rechtskräftig beweisen? Ich meine, man müßte hier nur einen Satan zum Advokaten machen, der solches zu erweisen imstande wäre; denn einem jeden nur einigermaßen recht und billig denkenden Menschen dürfte ein solcher Rechtsbeweis unmöglich sein.

17] Ich sehe aber schon, man wird sagen: Bei den ersten Kolonisierungen eines Landes kann zwischen den Kolonisten freilich kein wechselseitiges Eigentumsrecht statthaben, besonders wenn sie sich untereinander einvernehmlich für das Gemeingut ausgeglichen haben. Aber zwischen Kolonisationen, welche die ersten Staatenbildungen sind, tritt doch sicher das Eigentumsrecht ein, sobald sie sich gegenseitig als bestehend festgestellt haben.

18] Gut, sage ich, ist das der Fall, so muß sich eine jede Kolonie mit einem ursprünglichen Eigentumsrechte ausweisen. Wie aber kann sie das, nachdem sie nur ein Nutzungsrecht vom Herrn aus hat, aber kein Besitzrecht?

19] Das Nutzungsrecht hat seine Urkunde in dem Magen und auf der Haut. Wo aber spricht sich das Besitzrecht aus, besonders wenn man erwägt, daß ein jeder Mensch, sei er einheimisch oder ein Fremdling, in seinem Magen und auf seiner Haut dieselbe göttliche vollgültige Nutzungsrechtsurkunde mit sich bringt, wie sie der Einheimische hat? Wenn man sagt: Das Besitzrecht hat seinen Grund ursprümglich im Nutzungsrechte, so hebt dieser Satz sicher jedes spezielle Besitstum auf, weil jeder das gleiche Nutzungsrecht hat. Kehrt man aber die Sache um und sagt: Das Besitzrecht verschafft einem erst das Nutzungsrecht, da kann man dagegen nichts anderes sagen als das alte Rechtswort: »Potiori jus«, was mit anderen Worten so viel sagen will als: Schlage so viel Nutzungsrechtsbesitzende tot, daß du dir allein einen Strich Landes durch die Gewalt deiner Faust völlig zueignen kannst.

20] Sollte etwa noch einigen fremden Nutzungsrechtsbesitzern der Appetit kommen, dir dein erkämpftes Besitztum laut ihres göttlichen Nutzungsrechtes streitig zu machen, so schlage sie alle tot oder setze sie wenigstens im besseren Falle als steuerpflichtige Untertanen ein, damit sie in deinem erkämpften Besitztume im Schweiße ihres Angesichtes für dich arbeiten und du ihnen dann ihr Nutzungsrecht nach deinem Wohlgefallen bemessen kannst.



21] Wer kann, von göttlicher Seite betrachtet, den Krieg rechtfertigen? Was ist er? Nichts als ein grausamster Gewaltstreich, das Nutzungsrecht den Menschen zu nehmen und dafür ein Besitzrecht gewaltsam einzuführen, das heißt, das göttliche Recht zu vertilgen und an dessen Stelle ein höllisches einzuführen.

22] Wer könnte demnach wohl von Gott aus ein Gesetz erwarten, welches das ursprüngliche, in jedermanns Wesen sich deutlich beurkundende göttliche Nutzugsrechtsgesetz aufheben und an dessen Stelle mit göttlicher Macht und Autorität ein höllisches Besitztumsgesetz rechtskräftigen sollte? - Ich meine, das Widersinnige dieser Behauptung ist für einen Einzelblinden sogar sonnenhell und klar ersichtlich und mit behandschuhten Händen zu greifen.

23] Daraus geht aber hervor, daß dieses Gesetz sicher eine andere Bedeutung haben muß, als es die Menschen darstellen, wo es nur das Besitztum sichert. Als göttliches Gesetz muß es ja auch in allen Himmeln aus der Tiefe der göttlichen Ordnung gültig sein. Wo aber besitzt jemand im Himmel Häuser, Ochsen, Esel und Äcker? Im Himmel sind lauter Nutzungsrechtige, und der Herr allein besitzungsrechtig. - Wir wollen daher sogleich zu der rechten Bedeutung dieses Gesetzes übergehen. -

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