Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 1)


Kapitelinhalt 66. Kapitel: Erklärung der Einrichtungen des besuchten Augustinerklosters

(Am 25. Februar 1843, von 4 - 6 1/2 Uhr Abends.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1975 Lorber-Verlag

01] Ihr saget jetzt, und fraget mich: Lieber Freund und Bruder! Siehe, das Kloster ist allenthalben verschlossen; werden wir durch die verschlossenen Thüren gehen, oder werden wir uns die Thüren öffnen lassen.

02] Lieben Freunde und Brüder, wir werden hier weder das Eine noch das Andere thun; denn das Kloster erscheint nur von einiger Ferne also verschlossen, und besagt dadurch; daß die darin Wohnenden schwer zugänglich sind, weil eben dieses verschlossene Kloster eine solche in sich verschlossene Begründung solcher Geister nach Außen erscheinlich darstellt.

03] Wenn wir uns aber diesem Kloster nähern, in seine Sphäre treten, und somit auch erscheinlich eingehen werden in die Begründung seiner Bewohner, so werden wir es alsobald eröffnet erschauen; - und so denn treten wir näher, damit ihr euch von Allem selbst überzeuget. - Nun sehet; wir befinden und schon in der Sphäre des Klosters, und die Pforten desselben sind uns aufgethan.

04] Ihr saget hier zwar: Lieber Freund und Bruder, wir können noch nicht recht einsehen, wie Solches vor sich geht; geschieht das durch den Willen der inwohnenden Geister, oder ist zu diesem Zwecke irgend eine geisterhafte Maschine angebracht, vermöge welcher durch einen einfachen Druck alle Thüren plötzlich geöffnet: werden?

05] Lieben Freunde und Brüder, Solches ist hier mit nichten der Fall; - damit ihr aber den eigentlichen Grund einsehet, so will ich euch in solche Erkenntniß durch ein leichtes Beispiel führen. - Es befindet sich in einer Gesellschaft ein sogenannter Weltweiser, den ihr mit dem Ausdrucke „Philosoph" bezeichnet. Dieser Mensch ist höchst einsilbig, oder er redet gar nichts, warum denn? Weil er für's Erste seine Perlen nicht den Säuen vorwerfen will, und für's Zweite, weil er so manche seiner Ideen selbst für schlüpfrig erkennt, und sich daher mit denselben nicht an das Tageslicht getraut; und das zwar darum, um einerseits nicht etwa von seinem Gelehrten-Ruhme leichtsinniger Weise etwas zu vergeben, anderseits aber auch aus Furcht vor irgend einem ihm noch unbekannten polizeilich und politisch lauschenden Ohre, durch welches er sich leichtlich so manchen Unannehmlichkeiten aussetzen könnte. - Damit also der Mann weder im Einen noch im Andern gefährdet wird, so verschließt er sich, begiebt sich in seinen förmlichen Seelenschlaf, oder in sein geistiges Weisheitsparadies, oder in seinen stoischen Himmel, lauscht aber in diesem Zustande überaus sorgfältig herum, ob sich in der Gesellschaft nicht etwa ein ihm verwandter Geist hören läßt; hat er einen solchen gefunden, da wird er sobald vertraulich, und fängt an ein Pförtchen um's andere seines Klosters aufzusperrcn. Findet er aber gar Einen oder Mehrere, die völlig in seine Ideen eingeweiht und somit auch eingegangen sind, da werden sobald alle Pforten seines Klosters auf einmal aufgethan; und unser Mann wird es nicht ermangeln lassen, der ihm entsprechenden und von seinen Ideen begeisterten Gesellschaft den gebührendsten Beifallstribut zu zollen. - Wir sind hier zwar nicht im Ernste in die Ideen und falschen Begründungen dieses Klosters als eingehend zu betrachten; dessen ungeachtet aber werden wir zufolge unserer Annäherung geistig als Solche betrachtet, und das zwar von Seite des Klosters.

06] Ihr fraget hier zwar, ob uns diese Klostergeister wohl sehen? - Ich aber sage euch: im Grunde wäre Solches einerseits gar nicht nöthig, weil es hier sich lediglich nur darum handelt, um euch über diese Verhältnisse eine Kunde zu verschaffen, und wir zu dem Behufe überall ungehindert eintreten können, wo wir wollen, und können da im Verborgenen alles Mögliche belauschen. - Da es sich aber hier um eine fühlbarere Innewerdnug für euch handelt, so ist es auch nothwendig, daß wir uns den Einwohnern dieses Klosters sichtbar machen. Aus diesem Grunde hat uns denn das Kloster auch sich annähern gesehen, und die Pforten stehen für uns offen, und wir können somit auch ungehindert eintreten. - Wir wollen zuerst in die Kirche gehen und uns in derselben ein wenig umsehen, was alles sich dort Merkwürdiges unseren Blicken darstellen möchte. - Nun sehet, wir sind schon in der Kirche; was erblicket ihr?

07] Ihr saget: Merkwürdig, das ist ja eine Kirche, die man nur überaus prachtvoll nennen kann! - Die herrliche Bauart, die Höhe und die wirklich meisterhaften Gemälde, mit denen die Wände bemalt sind, sind im Ernste Staunen erregend; und der Hochaltar ist, was man sagen kann, ein vollendetes Meisterwerk der Sculptur. Auch das Hauptgemälde der Dreieinigkeit zeichnet sich durch den erhaben sanft gehaltenen Charakter wahrhaft großmeisterlich aus; - denn fürwahr, das freilich wohl irrige Bild der Dreieinigkeit haben wir noch nie meisterlicher gemalt gesehen, wie hier. Merkwürdig ist die bildliche Darstellung dadurch, daß der Vater und der Sohn die Köpfe beinahe ganz fest aneinander halten, darum die Köpfe denn auch in dem lichtgehaltenen Dreiecke sich befinden und über den zwei Köpfen auf der obersten Ecke die Daubengestalt des h. Geistes also angebracht ist, daß die Taube auf diesem obersten Dreiecke zu sitzen scheint, und ihren Kopf hinabneigt zwischen die beiden Köpfe.

08] Dann ist noch bemerkenswert, daß unter der Dreieinigkeit Schaaren und Schaaren auf Wolken knieend und betend abgebildet sind - und wir erblicken unter diesen Seligen beinahe Niemanden, als die alten Propheten, die Apostel des Herrn, Mariam und Joseph gleich unter der Dreieinigkeit, dann eine Menge uns wohlbekannter Märtyrer, nach Denen aber lauter Päpste, Cardinäle, Bischöfe und Prälaten, einige berühmte Mönche, Kaiser, Könige, Fürsten, Grafen und Ritter, deßgleichen auch weibliche Selige; aber nicht ein seliger Landmann ist unter diesen zu erblicken!

09] Ihr sehet gut, aber doch habt ihr noch nicht Alles gesehen; - da seht nur ganz hinab an's unterste Ende der Tafel, da werdet ihr den Erdboden gemalt erblicken und eine Menge elender Landleute, welche ihre Hände zu diesen Seligen um Hilfe flehend empor halten. - Und sehet noch etwas tiefer, da zeigt sich sogar das Fegefeuer nud eine zahllose Menge armer Landseelen streckt ihre Hände über den leckenden Flammen empor, um die Hilfe zu den Heiligen im Himmel flehend; - und dort zur linken Seite des Bildes ist gleich ober der Erde eine ziemlich dunkel gehaltene Wolke gemalt und von der Erde ist eine Leiter an dieselbe angelehnt. Zu Ende dieser Leiter werdet ihr ein doppeltfügeliges Thor erschauen nach der Form der MosisTafeln, hinter dem Thore unseren Petrus und den Erzengel Michael, und auf der Leiter könnt ihr auch einige Wenige im Aufsteigen begriffen erschauen; Einige aber auch häuptlings von dieser Wolke vom Ende der Leiter herabstürzend. - Im Hintergrunde dieser dunkelgehaltenen Wolke erblicket ihr wohl auch einige knieende Selige; das sind die sogenannten Alleheiligen.

10] Sehet, sonach geht unserem Bilde nichts ab, als bloß nur die Hölle; da aber diese außer aller Gemeinschaft, und somit auch außer allem Gedächtnisse aller dieser Seligen steht, so kann sie auch nicht einen Theil dieses Bildes ausmachen. Also hätten wir das Hauptaltarblatt von oben bis unten genau besehen; - was fällt euch denn sonst noch auf? - Ihr saget: das schöne Tabernaculum, welches eine Gruppe von lauter künstlich zusammen gestellten Seraphköpfen bildet; dann das Tabernakel-Portalchen, den auferstandenen Christus darstellend, und wenn wir übrigens recht sehen, so ist dieser Christus halb durchsichtig, und man erschaut auf Seiner Herzensseite statt des Herzens eine recht prachtvolle Monstranze mit dem Sanctissimum durchschimmern. - Ja, so ist es auch; wie bildlich, also auch werkthätig. Die Liebe Christi stellt nun dar die Liebe zum Golde, Silber und Edelsteinen; und das Brod des Lebens hat sich mit diesen Hauptinsignien der Welt umkleidet.

11] Wenn du nun, guter Freund und Bruder, uns die Sache nur noch ein wenig deutlicher erklären möchtest, so könnte uns das durchaus nicht schaden.

12] O ja, Solches kann ich ja thun; - fraget euch: durch was müßte man denn hier gehen, wenn man zum Brode des Lebens gelangen wollte? - Zuerst durch den edelsteinernen Christus; dieser bezeichnet aber nichts Anderes, als das todte Mauerwerk der Kirche, oder die gemauerte Kirche. - Wer nicht in diese eingetauft und eingefirmt ist, der kann nicht zu dem kirchlichen lebendigen Gnadenschatze gelangen; wer sich aber einmal in der gemauerten Kirche also befindet, der vergesse dann ja des Goldes und des Silbers nicht; denn aus Silber und Gold sind die Schlüssel Petri. - Bringt Jemand Silber und Gold, so wird er auch zum Brode des Lebens zugelassen.

13] Ihr müßt zwar nicht denken, als müßte man für die Communion zahlen; denn die kleine Hostie bekommt ein jeder Communicirende, so oft er nur immer beichten will, umsonst. Aber will Jemand auch die vollkommene Wirkung der großen Hostie für sich gewinnen, da muß er zahlen, und das eine Segenmesse noch obendrauf, muß zur Abhaltung mehrerer Segenmessen, wenn diese nach seinem Tode regelmäßig sollen fortgehalten werden, eine glänzende Stiftung machen; und will er die abgehaltenen Segenämter noch kräftiger wirkend haben, so müssen sie noch dazu bei den privilegirten Altären abgelesen werden. - Ich meine, aus diesem Wenigen werdet ihr ohne viele Mühe leicht ersehen können, wie man zu unserem erschauten Sanctissimum nur durch Silber, Gold und Edelsteine gelangen kann. Auf der Welt bezeichnet zwar Dieses, nämlich Gold, Silber und Edelsteine eine Ehrung Gottes und heißt: Omnia ad majorem Dei Gloriam! - Hier aber wird dieses anders verstanden und also überseht: Alles zu unserem größeren Ansehen, zu unserer Verherrlichung und zu unserem stets wachsenden priesterlichen, reicher werdenden Vortheil; oder noch verständlicher: Lasset uns Herren sein auf der Welt und ein jeder Kaiser neige sein Haupt unter unsere Fußsohlen.

14] Es ließe sich hier wohl sehr gewaltig fragen, wo denn so ganz eigentlich unter dem Golde, Silber und Edelsteinen die wahre christliche Demuth und Verachtung der Welt ruhet; wo die Nächstenliebe, wo die Selbstverleugnung und wo: „Nehmet ein Kreuz und folget Mir nach?" - Denn unter diesen goldenen, silbernen und edelsteinernen Aspekten hätte der Herr ja sagen müssen: Nehme dein Gold, Silber und Edelsteine, und folge also glänzend reichbeladen Mir nach. Auch Petrus hätte nicht sagen sollen: „Gold und Silber habe ich nicht." Und wieder hätte der Herr zum reichen Jünglinge nicht also spärlich (bitter) reden sollen, und am Ende noch gar dazu sagen, daß ein Kameel leichter durch ein Nadelöhr ginge, denn ein Reicher in den Himmel. - So ist denn Alles verkehrt und zerstört; und die Kirche, welche sich die alleinseligmachende nennt, hat vom Christenthume kaum noch den Namen.

15] Wer sich im Zeugnisse, oder in einer anderen Urkunde nur „katholisch" bezeichnet, braucht das Wort „christlich" gar nicht hinzuzusetzen; setzt aber Jemand das „christlich" allein, so wird er für eine Art Kleinketzer gehalten, und kann sich sogar kleinen Unannehmlichkeiten aussetzen. - Jedoch lassen wir nun alles Dieses bei Seite; denn die Folge solcher groben Irrthümlichkeiten liegt ja nun klar und offen vor eueren Augen, - und indem ihr den wahren Himmel kennet, so wird es euch hier sicher nicht schwer fallen, den großen Abstand zwischen hier und dort auf den ersten Augenblick zu erkennen. -

16] Ihr fraget zwar, warum denn der Herr solcher Irrthümlichkeit nicht ein baldiges und völliges Ende mache, und warum Er Solches schon ursprünglich zugelassen habe? - Ich aber sage euch, daß des Herrn Wege allzeit unergründlich und Seine Rathschlüsse ewig unerforschlich sind, und es genüge euch, daß ihr wisset, wie unendlich gut der Herr ist, von welch großer Geduld und Erbarmung, und wie Er als die allerhöchste Liebe und Weisheit gar wohl und alleruntrüglichst versteht, alle Gewächse zu ihrer Reife zu führen; und, wann sie reif geworden sind, so weiß Er es, sie für Seine ewig liebevollsten und weisesten Zwecke allertauglichst und allerbest zu benutzen.

17] Ihr könntet eben so gut fragen, warum der Herr auch so viel Unkraut und reißende und giftige Thiere auf die Erde gesetzt hat, wovon ihr nirgends einen Nutzen erschaut? - Ich aber sage euch: In allem Diesem geht der Herr Seine unergründlichen Wege, und folget allzeit Seinem Rathschlusse; und uns genügt es lebendigst zu wissen, daß Er ein unendlich guter Vater ist. Und wissen wir das, da wissen wir auch, daß Er nichts eines argen Zweckes wegen geschaffen hat, sondern daß Er Alles zu dem unaussprechlich besten Ziele lenket und ewig lenken wird! - Ihr fraget, ob wir nun auch die übrigen Kirchentheile besuchen und besichtigen sollen? - Solches ist nicht vonnöthen; daher begeben wir uns in das eigentliche Kloster und machen da unsere Betrachtungen. - Sehet, da kommt so eben ein recht freundlicher Augustiner aus der sogenannten Sacristei. Er grüßt und winkt uns, zu ihm zu kommen; - also folgen wir auch Seinem Winke!

01] Ihr sagt jetzt und fragt mich: Lieber Freund und Bruder! Siehe, das Kloster ist allenthalben verschlossen; werden wir durch die verschlossenen Türen gehen oder werden wir uns die Türen öffnen lassen?

02] Liebe Freunde und Brüder, wir werden hier weder das eine noch das andere tun. Das Kloster erscheint nur von einiger Ferne verschlossen und besagt dadurch, daß die darin Wohnenden schwer zugänglich sind, weil eben dieses verschlossene Kloster eine in sich verschlossene Begründung solcher Geister nach außen erscheinlich darstellt.

03] Wenn wir uns diesem Kloster aber nähern, in seine Sphäre treten und somit auch erscheinlich eingehen werden in die Begründung seiner Bewohner, so werden wir es alsobald eröffnet erschauen. Und so denn treten wir näher, damit ihr euch von allem selbst überzeugt. Nun seht, wir befinden uns schon in der Sphäre des Klosters, und die Pforten desselben sind uns aufgetan.

04] Ihr sagt zwar: Lieber Freund und Bruder, wir können noch nicht recht einsehen, wie solches vor sich geht. Geschieht das durch den Willen der innewohnenden Geister oder geschieht das durch deinen Willen oder ist zu diesem Zwecke irgendeine geisterhafte Maschine angebracht, vermöge welcher durch einen einfachen Druck alle Türen plötzlich geöffnet werden?

05] Liebe Freunde und Brüder, solches ist hier mitnichten der fall. Damit ihr aber den eigentlichen Grund einseht, so will ich euch in solche Erkenntnis durch ein leichtes Beispiel führen. Es befindet sich in einer Gesellschaft ein sogenannter »Weltweiser«, den ihr mit dem Ausdrucke »Philosoph« bezeichnet. Dieser Mensch ist höchst einsilbig, oder er redet gar nichts; warum denn? Weil er fürs erste seine Perlen nicht den Säuen vorwerfen will, und fürs zweite, weil er so manche seiner Ideen selbst für schlüpfrig erkennt und sich daher mit denselben nicht an das Tageslicht getraut. Und das darum, um einerseits nicht etwa von seinem Gelehrtenruhme leichtsinnigerweise etwas zu vergeben, andererseits aber auch aus Furcht vor irgendeinem ihm noch unbekannten polizeilich und politisch lauschenden Ohre, durch welches er sich leichtlich so manchen Unannehmlichkeiten aussetzen könnte. Damit also der Mann weder im einen noch im andern gefährdet wird, so verschließt er sich, begibt sich in seinen förmlichen Seelenschlaf oder in sein geistiges Weisheitsparadies oder in seinen stoischen Himmel, lauscht aber in diesem Zustande überaus sorgfältig, ob sich in der Gesellschaft nicht etwa ein ihm verwandter Geist hören läßt. Hat er einen solchen gefunden, da wird er bald vertraulich und fängt an, ein Pförtchen ums andere seines Klosters aufzusperren. Findet er aber einen oder mehrere, die völlig in seine Ideen eingeweiht und somit auch eingegangen sind, da werden sobald alle Pforten seines Klosters auf einmal aufgetan, und unser Mann wird es nicht ermangeln lassen, der ihm entsprechenden und von seinen Ideen begeisterten Gesellschaft den gebührenden Beifallstribut zu zollen. Wir sind hier zwar nicht im Ernste in die Ideen und falschen Begründungen dieses Klosters eingegangen; dessen ungeachtet aber werden wir zufolge unserer Annäherung geistig als solche betrachtet, und das zwar von seiten des Klosters.

06] Ihr fragt, ob uns diese Klostergeister wohl sehen? Ich sage euch: Im Grunde wäre solches nicht nötig, weil es sich hier lediglich darum handelt, euch über diese Verhältnisse eine Kunde zu verschaffen und wir zu dem Behufe überall ungehindert eintreten können, wo wir wollen, und können da im Verborgenen alles mögliche belauschen. Da es sich aber hier um eine fühlbarere Innewerdung für euch handelt, so ist es auch notwendig, daß wir uns den Einwohnern dieses Klosters sichtbar machen. Aus diesem Grunde hat denn auch das Kloster uns ihm nähern gesehen. Die Pforten stehen für uns offen, und wir können somit ungehindert eintreten. Wir wollen zuerst in die Kirche gehen und uns in derselben ein wenig umsehen, was alles Merkwürdiges sich dort unseren Blicken darstellen möchte. Seht, wir sind schon in der Kirche; was erblicket ihr?


07] Ihr sagt: Merkwürdig, das ist ja eine Kirche, die man überaus prachtvoll nennen kann! Die herrliche Bauart, die Höhe und die wirklich meisterhaften Gemälde, mit denen die Wände bemalt sind, sind im Ernste staunenerregend. Der Hochaltar ist ein vollendetes Meisterwerk der Skulptur. Auch das Hauptgemälde der Dreieinigkeit zeichnet sich durch den erhaben sanft gehaltenen Charakter wahrhaft großmeisterlich aus. Fürwahr das freilich wohl irrige Bild der Dreieinigkeit haben wir noch nie meisterlicher gemalt gesehen wie hier. Merkwürdig ist die bildliche Darstellung dadurch, daß der Vater und der Sohn die Köpfe beinahe ganz aneinander halten, darum die Köpfe denn auch in dem Licht gehaltenen Dreiecke sich befinden. Über den zwei Köpfen auf der obersten Ecke ist die Taubengestalt des hl. Geistes so angebracht, daß die Taube in diesem obersten Dreieck zu sitzen scheint und ihren Kopf hinabneigt zwischen die beiden Köpfe.


08] Dann ist noch bemerkenswert, daß unter der Dreieinigkeit Scharen und Scharen, auf Wolken knieend und betend, abgebildet sind. Wir erblicken unter diesen Seligen beinahe niemanden als die alten Propheten, die Apostel des Herrn, Maria und Joseph gleich unter der Dreieinigkeit, dann eine Menge uns wohlbekannter Märtyrer, nach denen aber lauter Päpste, Kardinäle, Bischöfe und Prälaten, einige berühmte Mönche, Kaiser, Könige, Fürsten, Grafen und Ritter, desgleichen auch weibliche Selige. Aber nicht ein seliger Landmann ist unter diesen zu erblicken.

09] Ihr seht gut, aber doch habt ihr noch nicht alles gesehen. Da seht nur hinab ganz ans unterste Ende der Tafel, da werdet ihr den Erdboden gemalt erblicken und eine Menge elender Landleute, welche ihre Hände zu diesen Seligen um Hilfe flehend emporhalten. Und noch etwas tiefer, da zeigt sich sogar das Fegefeuer, und eine zahllose Menge armer Landseelen streckt ihre Hände über den leckenden Flammen empor, um Hilfe zu den Heiligen im Himmel flehend. Dort, zur linken Seite des Bildes, ist gleich über der Erde eine ziemlich dunkel gehaltene Wolke gemalt und von der Erde ist eine Leiter an dieselbe angelehnt. Zu Ende dieser Leiter erschaut ihr ein doppelflügeliges Tor nach der Form der Mosistafeln, hinter dem Tore unsern Petrus und den Erzengel Michael, und auf der Leiter könnt ihr auch einige wenige im Aufsteigen begriffen erschauen, einige aber auch häuptlings von dieser Wolke vom Ende der Leiter herabstürzen sehen. Im Hintergrunde dieser dunkelgehaltenen Wolke erblicket ihr wohl auch einige knieende Selige; das sind die sogenannten Allerheiligen.

10] Seht, sonach geht unserem Bilde nichts ab als bloß die Hölle. Da aber diese außer aller Gemeinschaft und somit auch außer allem Gedächtnisse aller dieser Seligen steht, so kann sie auch nicht einen Teil dieses Bildes ausmachen. Also hätten wir das Hauptaltarbild von oben bis unten genau besehen. Was fällt euch denn sonst noch auf? Ihr sagt: Das schöne Tabernakulum, welches eine Gruppe künstlich zusammengestellter Seraphköpfe bildet. Dann das Tabernakel-Portalchen, den auferstandenen Christus darstellend, und wenn wir recht sehen, so ist dieser Christus halb durchsichtig, und man erschaut auf Seiner Herzensseite statt des Herzens eine recht prachtvolle Monstranz mit dem Sanktissimum durchschimmern. - Ja, so ist es auch, wie bildlich also auch werktätig. Die Liebe Christi stellt nun die Liebe zum Golde, Silber und Edelsteinen dar, und das Brot des Lebens hat sich mit diesen Hauptinsignien der Welt umkleidet.

11] Wenn du nun, guter Freund und Bruder, uns die Sache nur noch ein wenig deutlicher erklären möchtest, so könnte uns das durchaus nicht schaden.

12] O ja, solches kann ich ja tun. Fragt euch: Durch was müßte man denn hier gehen, wollte man zum Brote des Lebens gelangen? Zuerst durch den edelsteinernen Christus. Dieser bezeichnet aber nichts anderes als das tote Mauerwerk der Kirche oder die gemauerte Kirche. Wer nicht in diese eingetauft und eingefirmt ist, der kann nicht zu dem kirchlichen lebendigen Gnadenschatze gelangen, wer sich aber einmal in der gemauerten Kirche also befindet, der vergesse dann ja des Goldes und des Silbers nicht. Denn aus Silber und Gold sind die Schlüssel Petri. Bringt jemand Silber und Gold, so wird er auch zum Brote des Lebens zugelassen.

13] Ihr müßt zwar nicht denken, als müßte man für die Kommunion zahlen; denn die kleine Hostie bekommt ein jeder Kommunizierende, sooft er nur immer beichten will, umsonst. Aber will jemand die vollkommene Wirkung auch der großen Hostie für sich gewinnen, da muß er zahlen, und das eine Segenmesse noch obendrauf, und muß zur Abhaltung mehrerer Segenmessen, wenn diese nach seinem Tode regelmäßig sollen gehalten werden, eine glänzende Stiftung machen. Will er die abgehaltenen Segenämter noch kräftiger wirkend haben, so müssen sie noch dazu bei den privilegierten Altären abgelesen werden. Ich meine, aus diesem wenigen werdet ihr ohne viele Mühe ersehen können, wie man zu unserem erschauten Sanktissimum nur durch Silber, Gold und Edelsteine gelangen kann. Auf der Welt bezeichnet zwar dieses, nämlich Gold, Silber und Edelsteine, eine Ehrung Gottes und heißt: Omnia ad majorem Dei gloriam! Hier aber wird dieses anders verstanden und also übersetzt: Alles zu unserem größeren Ansehen, zu unserer Verherrlichung und zu unserem stets wachsenden priesterlichen, reicher werdenden Vorteil; oder noch verständlicher: Laßt uns Herren sein auf der Welt, und ein jeder Kaiser neige sein Haupt unter unsere Fußsohlen.

14] Es ließe sich hier wohl sehr fragen, wo denn so ganz eigentlich unter dem Golde, Silber und Edelsteinen die wahre christliche Demut und Verachtung der Welt ruht, wo die Nächstenliebe, wo die Selbstverleugnung und wo: »Nehmt euer Kreuz und folgt mir nach?« Denn unter diesen goldenen, silbernen und edelsteinernen Aspekten hätte der Herr ja sagen müssen: Nimm dein Gold, Silber und Edelsteine und folge also glänzend reichbeladen Mir nach. Auch Petrus hätte nicht sagen sollen: Gold und Silber habe ich nicht«. Und wieder hätte der Herr zum reichen Jünglinge nicht also spärlich (bitter) reden sollen und am Ende noch gar dazusagen, daß ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr ginge als ein Reicher in den Himmel. So ist denn alles verkehrt und zerstört; und die Kirche, welche sich die alleinseligmachende nennt, hat vom Christentume kaum noch den Namen.


15] Wer sich im Zeugnisse oder in einer anderen Urkunde nur »katholisch« bezeichnet, braucht das Wort »christlich« gar nicht hinzuzusetzen; setzt aber jemand das »christlich« allein, so wird er für eine Art Kleinketzer gehalten und kann sich sogar kleinen Unannehmlichkeiten aussetzen. Jedoch lassen wir nun alles dieses beiseite, denn die Folge solcher großen Irrtümlichkeiten liegt ja nun klar und offen vor euren Augen. Und da ihr den wahren Himmel kennt, so wird es euch hier sicher nicht schwer fallen, den großen Abstand zwischen hier und dort auf den ersten Blick zu erkennen.

16] Ihr fragt zwar, darum denn der Herr solcher Irrtümlichkeit nicht ein baldiges und völliges Ende mache und warum Er solches schon ursprünglich zugelassen habe? - Ich aber sage euch, daß des Herrn Wege allzeit unergründlich und Seine Ratschlüsse ewig unerforschlich sind, und es genüge euch, daß ihr wißt, wie unendlich gut der Herr ist, von welch großer Geduld und Erbarmung, und wie Er als die allerhöchste Liebe und Weisheit gar wohl und untrüglichst versteht, alle Gewächse zu ihrer Reife zu führen. Und wenn sie reif geworden sind, so weiß Er es, sie für Seine ewig liebevollsten und weisesten Zwecke allertauglichst und allerbest zu benutzen.


17] Ihr könntet ebensogut fragen, warum der Herr auch so viel Unkraut und reißende und giftige Tiere auf die Erde gesetzt hat, wovon ihr nirgends einen Nutzen erschaut. Ich aber sage euch: In allem diesem geht der Herr Seine unergründlichen Wege und folgt allzeit Seinem Ratschlusse; und uns genügt es, lebendigst zu wissen, daß Er ein unendlich guter Vater ist. Und wissen wir das, da wissen wir auch, daß Er nichts eines argen Zweckes wegen geschaffen hat, sondern daß Er alles zu dem unaussprechlich besten Ziele lenkt und ewig lenken wird! Ihr fragt, ob wir nun auch die übrigen Kirchenteile besuchen und besichtigen sollen? Solches ist nicht vonnöten, daher begeben wir uns in das eigentliche Kloster und machen da unsere Betrachtungen. Sehet, da kommt soeben ein freundlicher Augustiner aus der sogenannten Sakristei. Er grüßt und winkt uns, zu ihm zu kommen; also folgen wir auch seinem Winke! -

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