Jakob Lorber: 'Die Fliege'

Revidiert nach 1. Auflage, 1897

Vorwort

01] Es ist gut, des öfteren auf so manches seine Gefühlsaugen zu richten und da Meine Liebe und Weisheit zu gewahren - und wäre der zu betrachtende Gegenstand noch so gering! -; denn es liegt doch immer etwas Unendliches darin, und so ist es auch würdig eines geistigen Blickes, da alles, worin sich Unendliches birgt, von Mir ein Atom ist, in dem ein ewiges Sein waltet.

02] So Ich euch nun in einem kleinen Liede eine unbeachtete Fliege etwas vorsumsen lasse, so denkt, daß auch dieses geringfügige Tierchen nicht zu den Ungezählten gehört; denn so Mir die Atome des Lichtes und die Monaden des Äthers durch alle Unendlichkeiten und Ewigkeiten genau zahlenweise bekannt sind, wie soll es eine Fliege nicht sein, zu deren Bildung doch mehr als eine ganze Milliarde der Atome nötig sind? Daher lassen wir eine Fliege ein wenig sumsen!

Die Fliege (Gedicht)

01] Es sumset die muntere Fliege in lustiger Weise

Ein artiges Liedchen Mir, mächtigem Schöpfer, zum Preise;

Sie sumset in wonniger Freude gar sinnig von Liebe

Und kreiset im Meere derselben aus innerem Triebe

Und redet gar deutlich vernehmliche Worte der Gnade

Und kündet und zeiget zu gehen euch - ärmliche Pfade.

02] Nun sehet das Tierchen, wie munter und fröhlich es kreiset,

Und wie es ganz sorglos, gehorsam dem Triebe sich weiset

In dankbarer Haltung der Richtung, die Ich ihr gegeben;

Und nie wird sie, so wie ihr, nach dem Verbotenen streben!

Ich sage, umsonst ist es nicht euch so nahe gestellet,

Und ob auch das Mittel so klein - ist's von Mir doch erwählet!

03] Ein Flügelpaar zart, gleich dem Äther, hab' Ich ihr gegeben,

Damit sie sich sollte gar leicht in die Lüfte erheben

Und kreisen da munteren Flugs in den Strahlen der Sonne

Und saugen da Licht mit den Äuglein der goldenen Krone,

Dann tragen dasselbe zum Leben der toten Gebilde

Und zeugen der Härte von Meiner belebenden Milde.

04] So hab' auch gegeben Ich weise ihr sechs leichte Füße

Und hab' ihr gegeben, damit sie empfinde die Süße

Des Lebens, zum Saugen der Kost einen tauglichen Rüssel.

Und seht, was Ich nun euch gesaget, nehmt es als Schlüssel

Und denket im Herzen wohl über die Fliege:

Ich sage - die Fliege, die Fliege, - sie singt euch vom Siege!

Seht, das sei euch unterdessen eine kleine Aufgabe. Diese sollt ihr in freier, mir geweihter Zeit, ausarbeiten. Dieses kleine, unbedeutende Thema habe ich euch gegeben, damit eure Demut eine gute Nahrung fände; im folgenden aber wird euch dieses Tierchen von Mir ohnehin ein Zeugnis der Natur vorführen vom Grunde aus, Amen. Ich, dem alle Dinge wohlbekannt sind, gebe euch dieses. Amen, Amen, Amen.

Die Entstehung der Fliege (08.03.1842

01] Die Fliege, ein kleines Tierchen zwar, und nicht selten lästig dem Menschen wie auch vielen anderen lebenden Geschöpfen der Erde, besonders zu jener Zeit des Jahres, da der Sonne Strahlen heftiger den Boden der Erde berühren, ist aber dennoch in der Ordnung der Dinge so unbedeutend nicht und auch nicht also zwecklos, als sie eben zu sein scheint.

02] Um das alles vollkommen und nützlich einzusehen, wollen wir eine kleine Vorbetrachtung über die natürliche Beschaffenheit dieses Tierchens machen.

03] Es wäre wohl überflüssig, euch die Gestalt der eben zu besprechenden Fliege der Form nach kundzugeben, nachdem ihr doch schon ganz sicher werdet mehrere Fliegen gesehen haben; aber ihre denkwürdigen Einzelheiten und die Art ihrer Entstehung sind da auf keinen Fall zu umgehen, sondern mit recht vielem Fleiße und aufmerksamen Geistes zu beachten.

04] Wie entsteht demnach die Fliege?

05] Es wissen zwar Naturgelehrte, daß die Fliege eine Art Eier legt, welche so klein sind, daß sie vom menschlichen Auge kaum wahrgenommen werden, und haben daher auch ein so geringes Gewicht , daß sie gleich dem Sonnenstaube sich gar leicht in der Luft schwebend erhalten können.

06] Wohin aber legt die Fliege ihre Eierchen? - da die Zahl dieser von einer Fliege gelegten Eierchen nicht selten Millionen übersteigt, und wo und wie werden sie ausgebrütet? - Ihr habt sicher noch nie eine junge Fliege gesehen; die Mücklein aber sollt ihr ja nicht für junge Fliegen ansehen.

07] Seht, die Fliege legt ihre Eier, so sie einmal legereif geworden ist, überall hin, wo sie sich nur immer hinsetzt, und kümmert sich dann weiter gar nicht mehr, was mit ihnen geschieht. Millionen werden von den Winden in alle Weltgegenden geführt und zerstreut; Millionen kommen in das Wasser; ja, ihr könnt euch beinahe kein Ding auf der Erde denken, das da verschont bliebe von den Eiern der Fliege. So wie der Fliege selbst kein Ding gewisserart zu heilig ist, darum sie sich nicht auf dasselbe setzen und dasselbe beschnüffeln möchte, also ist außer der glühenden Kohle und der lodernden Flamme auch beinahe kein Ding, das sie nicht mit ihren Eierchen beklecksen möchte.

08] Wohin sonach die Fliege ihre Eierchen legt, und wie sie aussehen, wüßten wir jetzt schon; wie sie aber ausgebrütet werden und wie viele von den unzählbar gelegten, davon soll gleich die Rede sein.

09] Alle diejenigen Eierchen, welche entweder an feuchten Mauerstellen der Häuser, vorzugsweise der Tierstallungen, oder an faulem Holze, oder an was immer anderem, Moderfeuchtigkeit Haltendem, gelegt werden, kommen fast meistens davon; was aber da ein Raub der Winde und des Wassers geworden ist, davon werden freilich wohl unbeschreiblich wenige zu Fliegen ausgebrütet; - obschon dessenungeachtet nichts verlorengeht, daß es andere weise Bestimmung verfehlen sollte, ja sogar diejenigen nicht, welche von Menschen und Tieren nicht selten zu Millionen mit einem Atemzuge eingeatmet werden. - Doch lassen wir diejenigen, welche den anderen vielen Bestimmungen zugeführt werden, und wenden wir uns sogleich zu denjenigen, welche da ausgebrütet werden!

10] Wie also werden denn diese ausgebrütet?

11] Seht, wenn die Sonne einmal hinreichend die Erde zu erwärmen anfängt, da fangen diese Eierchen auch an zu wachsen, bis sie einmal so groß werden, daß sie auch ein mittelmäßig scharfes Auge zu entdecken imstande ist, und zwar als einen weißlichgrauen Blumenstaub, natürlich an den Stellen nur, da sie von der Fliege hingelegt wurden. Das ist dann die Zeit der Ausbrütung, welche also vor sich geht:

12] Die Eierchen springen da auf, von den erwachten Geistern der in einem solchen Eierchen angesammelten, ordnungsmäßigen Vorgangstierchen genötigt. Diese Geister vereinigen sich in der Gestalt eines kaum sichtbaren kleinen, weißlichten Würmchens zu einem Leben. Dieses Würmchen nährt sich dann einige Tage von der Feuchtigkeit der Stelle, da es ausgebrütet wurde, welche Nahrungszeit eben nicht gerade bestimmt ist, sondern allzeit von dem Umstande der Reichlichkeit des vorhandenen Nahrungsstoffes abhängt.

13] Jedoch bis daher geht es mit der Zeugung der Fliege ganz natürlich vor.

14] Ich habe euch aber schon gleich anfangs gefragt, ob ihr noch nie eine junge Fliege gesehen habt? Seht, darin liegt das eigentliche Wunder dieses Tierchens begraben. Es ist auf einmal da, ganz vollkommen ausgebildet, und niemand weiß nun, woher es kam, und wo sein Geburtsort ist.

15] Wie geschieht denn dieses Wunder?

16] Ihr habt vielleicht schon dann und wann von alten Leuten sagen hören: "Die Fliegen entstehen zum Teil aus einer Art Staub und zum Teil aus den zerstreuten Körperteilen alter, toter Fliegen." - Dem Anscheine nach ist es wohl so, aber der Wirklichkeit nach freilich wohl nicht.

17] Denn so das Würmchen einmal die rechte Größe erhielt, welche ungefähr die Ausdehnung hat wie ein kleiner Beistrich bei einer mittelmäßig großen Schrift, sodann zerplatzt das Würmchen und zerlegt dadurch das Innere nach außen; wann dann die frühere Außenhaut des Würmchens zum eigentlichen Leibe der Fliege sich ausdehnt, wohlversehen mit allen den innern Verdauungsgefäßen; die frühere Innenseite des Würmchens aber dann die äußeren sichtbaren Teile der Fliege hervorbringt, welche, sobald diese Umkehrung vor sich ging und sie mit der äußeren Luft in Berührung kommen, binnen längstens fünf bis sieben Sekunden zu ihrer vollkommenen Ausbildung gelangen, bei welcher Gelegenheit die Fliege auch ganz vollkommen fertig ist.

18] Seht, das wäre demnach die Geburt oder vielmehr die gewiß nicht wenig merkwürdige Entstehung der Fliege, und muß jedem Beobachter wunderbar genung vorkommen! Allein dieses alles ist dessenungeachtet noch das am wenigsten Wunderbare bei diesem Tiere. Was da noch folgen wird, in der möglichen Kürze, darüber werdet ihr erst groß erstaunen und verwundern, - und so lassen wir dieses Merkwürdige an einem nächsten Tage folgen!

Quelle: Bilder aus www.ah.novartis.de/244/Stubenfliege.htm: Gute Beschreibung mit mikroskopischen Bildern von Bau einer Stubenfliege: Ei, Larve, Puppe, fertige Fliege


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