Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 129. Kapitel: Jesus über Gottesfurcht und Gottesliebe.

01] Hierauf erhob Ich Mich von Meinem Stuhle und begab Mich an den Tisch der Samariter, die sich auch von ihren Sitzen eiligst erhoben und in tiefster Ehrfurcht zu Mir sagten: »O Herr, Herr! Wir sind Sünder und nicht würdig, daß Du Selbst an unseren Tisch kommest, - sprich aber auch nur ein Wort über uns, auf daß wir stark in Deinem Lichte werden!«

02] Sagte Ich: »Lasst ab von der zu großen Ehrfurcht vor Mir, und nehmt dafür zu in der rechten und wahren Liebe zu Mir! Denn Gott den Herrn über alles lieben, ist und gilt um ein gar Großes mehr denn Gott über alles fürchten. Eine übertriebene Furcht vor Gott entfernt den Menschen von Gott stets mehr und mehr und ist am Ende das böse Samenkorn, aus dem mit den Zeiten das Heidentum erwächst mit all seinem Götzentum, Aberglauben und am Ende mit dem vollen Unglauben.

03] Mit der vollen Liebe aber nähert sich der ganze Mensch Gott stets mehr und mehr, wird vertraulich mit Ihm und sehnt sich nach Ihm und wird somit stets erfüllter mit dem Geiste Gottes; denn die stets zunehmende und zutraulicher werdende Liebe zu Gott ist ja eben der wahre und lebendige Geist Gottes im Menschen und der Geist des ewigen Lebens in der Seele. Darum ist denn auch ein Sünder, der sich aus Liebe zu Gott bekehrt, Gott näher und angenehmer denn neunundneunzig sehr gottesfürchtige Menschen, die sich noch nie an einem Gesetze versündigt und somit als Gerechte der Buße niemals bedurft haben.

04] Seht euch ein Kind an, das eine zu große Furcht etwa darum vor seinen Eltern hat, weil sie es seiner kindlichen Ungezogenheit wegen ein paarmal abgestraft haben! Solch ein Kind wird dann seinen Eltern wohl gehorchen, aber nicht so sehr aus Liebe als vielmehr aus Furcht vor einer Strafe, die es zu gewärtigen hätte, so es sich wieder einmal gegen der Eltern Willen versündigte. Die Nähe der Eltern wird solch einem Kinde mit der Zeit auch widrig, und es sucht sich aus solch einer für es unangenehmen Lage dadurch zu befreien, daß es das elterliche Haus verläßt und in der weiten Fremde sein Glück und seine Ruhe und Behaglichkeit sucht, - und es kehrt von da unter Furcht und Zittern reuig erst dann zu den Eltern zurück, so es in der Fremde das Gegenteil von dem gefunden hat, was es zu finden wähnte.

05] Dieselben Eltern aber haben noch ein Kind, das sie weniger fürchtet, aber dafür stets mehr und mehr liebt, sich aus einigen Zurechtweisungen wenig macht und seine Fehler demnach nicht aus der stets steigenden Furcht vor der Strenge der Eltern, sondern aus der eigenen stets wachsenden Liebe zu ihnen ablegt und ihren Willen tut.

06] Was meint ihr wohl, welches der beiden Kinder der größere Liebling der Eltern sein wird?«

07] Sagte der Wortführer: »Offenbar das, welches weniger Furcht vor den Eltern, aber dafür mehr Liebe und kindliches Vertrauen zu ihnen hat!«

08] Sagte Ich: »Du hast da gut geurteilt und Mir eine rechte Antwort gebracht; seid aber darum auch ihr gleich dem Kinde, das seine Eltern mehr liebt denn fürchtet, und liebt demnach Gott als den ewigen Vater aller Menschen mehr, als ihr Ihn als irgendeinen unerbittlichen Richter fürchtet, und ihr werdet dann auch vor Meiner Gegenwart bei euch keine solche Furcht und Scheu mehr haben, wie das bis jetzt bei euch der Fall war!

09] Glaubt es Mir, daß Gott auch die sehr furchtsamen Kinder liebt; aber mit dem kindlich furchtlosen Zutrauen zu Ihm hat es da oft seine sehr krummen Wege, ohne welches Zutrauen aber eine Seele nie völlig gottähnlich und selbständig frei in Gott selig werden und auf den besagten krummen Wegen auch schwer dahin gelangen kann. Nur eine große Not kann solche Kinder auf den rechten Rückweg ins Haus der Liebe seiner Eltern bringen.

10] Weil aber die Kinder durch die von oben kommenden Züchtigungen anstatt gebessert nur verschlimmert werden, so kommen diese auch nur selten und nur dann, wenn alle Liebeversuche an dem blinden Eigensinn der Menschen gescheitert sind; und Gott hat eben darum allzeit eine so große Geduld mit dem Übermute der Menschen, um sie durch ein beständiges Strafen Sich nicht noch mehr zu entfremden, als sie sich selbst von Ihm entfernen.

11] Hat aber Gott einmal die Menschen mit der Zuchtrute in Seiner Hand heimsuchen müssen, so trägt Er ihnen dabei in der andern Hand, wennschon etwas verhüllt, auch Sein Herz entgegen, auf daß sie erkennen mögen, daß Gott der Vater auch mit der Zuchtrute in der Hand ihnen dennoch mit aller Liebe entgegenkommt, gleichwie das nun vor euren Augen der Fall ist.

12] Ich sage euch aber noch eines hinzu, und das merkt euch alle wohl! Wer bei einer Arbeit zu furchtsam ist wegen einer leicht möglichen Begehung eines Fehlers, durch die der Arbeit in bezug auf ihren Zweck ein Nachteil erwachsen kann, der wird auch nicht selten recht grobe Fehler begehen. Wer aber da arbeitet mit Lust und Liebe ohne eine zu ängstliche Furcht vor der möglichen Begehung eines Fehlers, dem wird die Arbeit auch gut vonstatten gehen, und man wird schwerlich an ihr irgendeinen Fehler von einer Bedeutung entdecken; denn die rechte Liebe mit dem lebendigen Vertrauen ist nicht blind, wie das die heidnischen Weltweisen meinen, sondern sie ist um gar vieles schärfer sehend als der schärfste Weltverstand mit seinem zu ängstlichen Gewissen.

13] Hat die Liebe auch hie und da einen Fehler begangen, so macht sie ihn durch sich bald und leicht wieder gut; hat aber der Verstand mit seiner Ängstlichkeit einen Fehler begangen, so verliert er alles Vertrauen zu sich und findet oftmals gar lange hin kein Mittel, durch das sich der Fehler völlig wieder gutmachen ließe.

14] Ich will euch aber darum nicht sagen, als solle darob ein Mensch seinen Verstand und sein Gewissen völlig auf die Seite stellen, - das sei ferne; aber sich ganz von dem Verstande und von der zu ängstlichen Furcht vor der Begehung eines Fehlers beherrschen zu lassen und an der viel besseren Wirkung der Liebe und ihres Vertrauens ordentlich verzweifeln, ist doch sicher im hohen Grade blind und albern.

15] So ihr nun das richtig begriffen habt, so wird euch Meine Gegenwart auch leicht erträglich sein, und ihr werdet in euch nicht mehr den Wunsch haben, aus lauter Furcht und Scheu vor Mir euch sobald als möglich von hier wieder zu entfernen!«

16] Auf diese Meine freundliche Belehrung wurden diese Samariter ganz umgestaltet, dankten Mir für diesen Unterricht und wurden sehr zutraulich.

17] Und der Hauptredner sagte: »O Herr und Meister aller Dinge und alles Lebens! Es hat uns wohl nur eine große Liebe zu Dir hierher geführt, da wir vernommen haben, daß man hier oder in Nazareth von Deinem irgendwoigen Aufenthalte am ehesten eine sichere Kunde erhalten könnte, und so sind wir denn in gutem Vertrauen hierher gereist. Nun, statt der erwarteten sicheren Kunde, wo Du Dich irgend aufhalten würdest, trafen wir zu unserer größten Überraschung gleich Dich Selbst, und diese Überraschung hat uns denn auch mit einer übergroßen Furcht vor Deiner endlosesten Herrlichkeit erfüllt. Doch diese unsere sicher nicht unbillige und auch nicht ungerechte Furcht hast Du nun auf einmal in eine zutraulichste Liebe umgestaltet, und somit werden wir auch hier verweilen, solange Du hier verweilen wirst, und auch Dir folgen - so Du es willst -, wohin Du nur immer ziehen wirst; denn auch wir möchten ganz Deine Jünger und Austräger Deines lebendigen Wortes werden.«

18] Sagte Ich: »Darum habe Ich es auch also gewollt, daß ihr Mich habt müssen suchen gehen; denn Ich kenne euch gar wohl und also auch euren Geist. Doch nun esst und trinkt noch, und dann werden wir ein Weiteres besprechen!«

19] Damit waren alle zufrieden, aßen und tranken nun ohne Scheu weiter, und Ich begab Mich wieder auf Meinen Platz.



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