Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 15. Kapitel: Gerichtsverhandlung in der Herberge.

01] Als wir so bei einer Stunde Dauer uns mit Wort und Rat unterhielten, da entstand auf dem Platz vor dem Hause unseres Wirtes ein ungewöhnlich großer Lärm, und es hatte sich darum viel Volkes in wenigen Augenblicken angesammelt. Das lockte auch einige Meiner Jünger an die Fenster des Saales.

02] Ich aber berief sie zurück, sagend: »Wozu diese Neugier? Wir werden es etwa wohl noch früh genug erfahren, was es gibt! Etwas gar zu Erbauliches sicher nicht, und das, was schlecht ist, erfährt man allzeit nur zu früh, so man es auch etwas später erfährt.«

03] Darauf zogen sich die etlichen neugierigen Jünger wieder an den Tisch zurück.

04] Es dauerte aber gar nicht lange, da brachten mehrere Kaufleute mit ganz ergrimmten Gesichtern drei mit Stricken fest geknebelte Hauptdiebe, die im Gedränge bei den Kaufleuten Geld und auch andere Dinge gestohlen hatten, in das Gastzimmer zum Wirte, um sie da anzuklagen, weil eben der Wirt in dieser Stadt eine Art Bürgermeister und Marktrichter war und die Diebe zu verhören und dann dem Hauptgericht zur Bestrafung zu überantworten hatte.

05] Es war aber dem Wirte dieser Fall nicht angenehm um meintwegen. Aber was wollte er machen? Er mußte die Kaufleute und noch andere Zeugen anhören und die drei schon allbekannten Diebe in ein festes Gewahrsam nehmen.

06] Als die Kaufleute das ihnen Gestohlene wieder zurückerhielten, da entfernten sie sich denn auch bald wieder und gingen in ihre Verkaufsbuden.

07] Ich aber sagte zum Wirte: »Freund, da außer uns nun niemand hier ist, so lasse du die drei Diebe aus der festen Kammer hierher bringen, und Ich werde mit ihnen reden!«

08] Solches tat der Wirt, und die drei Diebe wurden von seinen Knechten zu uns gebracht.

09] Als sie vor Mir standen, redete Ich sie also an: »Ihr seid Juden aus der Gegend unweit von Bethlehem. Habt ihr nicht erlernt das Gesetz Gottes, darin es heißt, daß man nicht stehlen soll? Wer erteilte euch denn die Befugnis, wider das göttliche Gesetz zu handeln? Redet frei und offen, so ihr nicht einer noch härteren Strafe verfallen wollt als die, die euch auf euer Verbrechen ohnehin erwartet!«

10] Auf diese Anrede sagte einer der drei Diebe: »Herr, sei uns gnädig und barmherzig, und ich will dir alles vom Grunde aus sagen, wie sich diese ganze Sache verhält! Sieh, wir sind drei Brüder, und unsere Eltern besaßen wahrlich in der Nähe der Stadt Davids Haus, Grund und Boden und waren samt uns und noch unseren vier Schwestern, die wohl die Schönsten in der ganzen Gegend waren, ganz gute und fromme Menschen und waren auch wahrlich wohlhabend.

11] Es starb aber der Vater um etliche Jahre früher denn die Mutter, die stets große Stücke auf die Priester besonders in Jerusalem hielt; was diese ihr mit frommer Miene sagten, das galt ihr für Gottes Wort.

12] Die frommen Gottesdiener aber benutzten nur zu bald die blinde Leichtgläubigkeit der Mutter, malten ihr den Himmel mit den buntesten Farben überaus herrlich vor, die Hölle (Scheoul) aber dagegen so schrecklich qual- und martervoll, als einer bösen Menschenphantasie nur immer möglich ist. Auf daß sich unsere Mutter auf dieser Welt schon völlig des Himmels versichern könne, so müsse sie nach dem Rate der gar entsetzlich frommen Priester alles verkaufen und das Geld dem Tempel zum Opfer bringen; auch die vier Schwestern müsse sie dem Tempel übergeben, auf daß er für sie sorge und sie bewahre in der jungfräulichen Reinheit und Keuschheit. Denn so eine der Töchter sich einem Manne vor der Ehe ergäbe, so würde solche Sünde die Seele der Mutter in den allertiefsten Grund der Hölle auf ewig verdammen. So die Mutter aber das täte, was er als der Priester, der Tag für Tag mit Gott verkehre und Seinen Willen kenne, ihr anrate, so komme sie nach des Leibes Abfall nicht nur sogleich in das himmlische Paradies, sondern sie werde auch vom Tempel aus im heiligen Witwenstifte zur größeren Heiligung ihrer Seele versorgt werden, wo etwa an den Sabbaten und hohen Festen die frömmsten Witwen von den Engeln Gottes bedient werden und kein Teufel sich mehr einer Seele nahen kann, um sie zu verführen.

13] Das galt unserer Mutter so viel, als hätte ihr das Jehova unter Blitz und Donner vom Berge Sinai herab verkündet.

14] Wir drei Söhne, die wir das lose Treiben der Templer schon ein wenig durchschaut hatten, widerrieten der Mutter, das zu tun; aber das half nichts, und sie verkaufte in kurzer Zeit alles, und wir mußten das schwere Geld ihr noch in den Tempel schaffen helfen.

15] Wir aber fragten dann ganz traurig den Obersten im Tempel, was denn wir nun als an den Bettelstab Gebrachte tun sollten. 'Wer wird uns versorgen, und wo werden wir nun einen Dienst und ein Brot finden?'

16] Da gab uns der Oberste drei Silberlinge und jedem ein gewisses Päckchen, darin sich etliche Reliquien befanden, und sagte: 'Mit den drei Silberlingen könnt ihr sieben Tage lang leben, und die in den drei heiligen Päckchen wunderbar anwesende Kraft Gottes wird euch alles zu eurem Glücke gelingen helfen, was ihr immer unternehmen werdet. Ihr könnt im Besitze dieser Päckchen auch stehlen und rauben, nur nicht morden, außer im Notfalle einen reichen Heiden und auch einen Samariten, und es wird euch das von Gott aus zu keiner Sünde gerechnet werden, weil ihr durch die fromme und Gott überaus wohlgefällige Tat der Mutter vor Ihm gerechtfertigt und den Engeln gleich geheiligt seid!' Darauf bestrich er uns mit einem Stabe und hieß uns gehen.«



Home  |    Index Band 9  |   Werke Lorbers