Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 10. Kapitel: Lohn des Sängers.

01] Während aber unser Harfner ganz bescheiden aß und trank, machten die Jünger unter sich große Augen und staunten nicht wenig über seine weisen Worte.

02] Ich aber sagte zu ihnen: »Wie staunt ihr denn nun gar so über unseres Sängers Verstand? Habt ihr denn das noch nie gehört, daß Gott dem auch allzeit den Verstand gibt, dem wahrhaft Er zu Seiner Ehre ein Amt gegeben hat?! Ich sage es euch: Dieses Sängers Amt ist wahrlich eines der geringsten nicht auf dieser Erde; denn er erweicht durch die große Wärme seines Gesangs und seines Saitenspiels die harten Herzen, und in sie dringt dann leicht das Wort und die ewige Wahrheit.

03] Wenn Saul die Harfe Davids vernahm, da ward sein steinern Herz mürbe, und der böse Geist wich von ihm, und es steht auch in der Schrift darum: 'Lobt Gott den Herrn mit Psalmen, reiner Stimme und wohlgestimmten Harfen!' Was ein Johannes war, das soll der Harfner und Sänger euch werden!«

04] Mir diesen Worten waren die Jünger höchlichst zufrieden und begriffen die Ursache der weisen Rede des Harfners.

05] Aber die Worte des Psalms konnten die Heiden nicht unters Dach bringen und sagten untereinander: »Schade um den Künstler! Wenn er mit seiner götterhaft reinen Stimme unsere Götter nach der Weise Homers besänge gleich einem zweiten Orpheus, er würde in Athen und Rom vergöttert werden und sich große Schätze sammeln!«

06] Nach dergleichen weniger als nichtssagenden Gesprächen erhob sich derselbe Fremde, dem Ich zuvor einen Rat für seinen Magen gab, kam an unsern Tisch hin, noch einmal den Sänger hochbelobend, und sagte: »Um Vergebung, so ich euch irgend störe; aber so wir schon einmal als Gäste uns in diesem Saale zusammengefunden und wahrlich keine Ursache haben, uns gegenseitig anzufeinden, so möge uns denn auch gegenseitig gegönnt sein, bei dieser wahrlich unerwartet herrlichsten Gelegenheit einige freundliche Worte miteinander zu verkehren! Denn ob wir Heiden sind und ihr Juden seid, das macht bei mir wenigstens dem wahren Menschenwerte gar keinen Eintrag, und ihr scheint in dieser Hinsicht auch meiner Meinung und Lebensansicht zu sein!«

07] Sagte Ich: »Freund, vor Mir kann ein jeder Mensch sein freies Wort aussprechen, und so auch du und jeder deiner Genossen! Wenn du etwas hast, so rede offen!«

08] Sagte der Grieche: »Wir welterfahrenen und gebildeten Griechen sind zwar wohl schon lange über alle unsere Götterfabeln hinaus, und die besseren Juden halten auf ihren Eingottstempel vielleicht nicht um vieles mehr als wir Griechen und Römer auf unsere Vielgöttertempel. Dieser Harfner und Sänger sang einen mir nicht völlig unbekannten Psalm des einstigen Königs der Juden, der in der Reihe der Könige eures Volkes der zweite war und David hieß. Die Dichtung ist voll verborgener Theosophie; was aber daran klar ist, das scheint in dem zu bestehen, daß der große, mächtige, tapfere, und auch siegreiche König als ein Eingottsbekenner alle Heiden erobern wollte, um sie auch zu bekehren zu seinem Glauben, weil ihm dies das Regieren um gar vieles erleichtert und sein Ansehen bei allen Völkern um ein gar großes erhöht hätte. Ob er aber bei sich wohl gar so ernstlich auf den einen Gott hielt, wie das aus seinen Dichtungen ersichtlich ist, das ist eine ganz andere Frage! Möglich wohl, - aber man könnte sich aus so manchen seiner Handlungen auch das Gegenteil denken! Doch sei ihm nun, wie ihm wolle. David war und bleibt ein großer und höchst denkwürdiger Mann in jeder guten Hinsicht, und die Erde wird Könige seinesgleichen wenige aufzuweisen haben, und ich kann den Sänger nur loben, daß er sich als ein reiner Altjude des großen Königs Psalmen zum Gegenstande seiner Musik und Sangesproduktionen machte. Doch bei aller seiner großen Vortrefflichkeit ist er dadurch, daß er nur ein Davidssänger ist, etwas einseitig. Würde oder könnte er auch unserer alten Dichter Psalter singen gleich einem Orpheus, und käme er als solcher nach Athen und Rom - wie ich das schon früher bemerkt habe -, so könnte er sich große Schätze erbeuten! Doch lassen wir das und gehen nun auf die Hauptsache über!

09] Unter anderm fiel mir in dem Psalm besonders die Stelle auf, die also lautete: 'Alle Götter der Völker sind tote Götzen; aber der Herr (also der eine, lebendige Gott der Juden) hat Himmel und Erde gemacht.' Sage mir doch, ob sich die Sache der vollen und erweisbaren Wahrheit nach denn auch also verhält! Denn wir Heiden nehmen vor dem ausgebildeten Dasein der Erde und des Himmels einen chaotischen Stoff an, aus dem dann irgend uns unbekannte mehr oder weniger intelligente Kräfte, die später von den phantasiereichen Menschen zu Göttern gemacht wurden, die Erde mit allem, was sie trägt, und auch den Himmel nach und nach geformt haben; ihr aber lasst alles von dem einen Gott in sechs Tagen oder etwa Zeitperioden aus nichts erschaffen. Welches ist da wahr? Zahllos viele Menschen in allen uns weit und breit bekannten Teilen der Erde glauben mit kleinen Unterschieden das, was wir und schon die ältesten Ägypter als eine nahezu erweisbare Wahrheit geglaubt haben; ihr aber seid von unserem Glauben so fern wie der Himmel von der Erde! Wer hat nun recht, und welches ist wahr? Kannst du die Wahrheit eurer Lehre erweisen, so lassen ich und alle meine Gefährten unsern Glauben und werden Juden; sonst aber bleiben wir, was wir sind, und werden von dem Sänger auch nicht begehren, daß er je nach Athen oder Rom kommen solle.«



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