Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8


Kapitelinhalt 176. Kapitel: Jesus über das Wesen der Wahrheit.

01] Hierauf dankte Mir abermals der Wirt und sein Sohn für diese Belehrung, sagte aber am Ende: »Daß der Mensch nur durch die Wahrheit von jedem Wahne und Truge frei gemacht werden kann, das ist gewiß eine große und heilige Wahrheit schon in und für sich; aber es haben gar viele Weise bei allen uns bekannten Völkern beständig nach der Wahrheit gefragt, sie auch emsig gesucht und haben sie nicht finden können, und noch niemand hat es als völlig ausgemacht und für die Menschen begreiflich dartun können, was die Wahrheit ist. Und so möchte ich denn nun von dir, du lieber Herr und Meister, vernehmen, was im Grunde des Grundes die Wahrheit ist; denn du wirst uns darüber wohl den besten Aufschluß geben können. Erst dann, wenn der Mensch weiß, was die Wahrheit ist, und wie und wo er sie finden kann, kann er sie auch zu seiner Lebensrichtschnur in sich aufnehmen und sich durch sie von jedem Wahne und Truge frei machen. Was ist also die volle Wahrheit, und wie und wo finden wir sie?«

02] Sagte Ich mit freundlicher Miene: »Sieh Mich an, und vernimm es wohl, was Ich dir nun sagen werde: Gott, der Eine und allein Wahre, ist die Wahrheit. Wer Gott, den allein Wahren, gefunden hat, der hat auch die Wahrheit gefunden, die ihn frei und vollends lebendig machen wird. Hat der Mensch aber Gott gefunden und erkannt Dessen treu geoffenbarten Willen, und lebt und handelt danach, so ist auch der Mensch selbst in sich zur Wahrheit geworden; ist der Mensch aber das, dann ist er auch schon frei und ist vom Tode der Welt und ihrer Materie zum Leben aus Gott vorgedrungen.

03] Ich sehe in dir zwar noch eine Frage, die nicht so leicht zu beantworten ist wie diese, die Ich nun schon beantwortet habe, aber Ich werde auch für deine neue, noch nicht ausgesprochene Frage wohl eine für jedermann verständliche Antwort finden.

04] Deine noch nicht ausgesprochene Frage aber lautet also: »Gott ist schon ganz richtig allein die Wahrheit, und wer Gott gefunden hat, der hat die Wahrheit gefunden, die ihn frei machen kann; aber wo ist Gott, wer ist Er, wie lautet als vollkommen wahr Sein Wille, und endlich: wie finde ich Gott, und wie erkenne ich Ihn, daß Er es auch ist?«

05] Ja siehe, du Mein lieber Freund, diese Frage ganz lichtvoll zu beantworten, ist für Mich wohl wahrlich keine schwere Sache, aber für dich dahin dennoch, um die gegebene Antwort auch lichtvoll zu verstehen! Doch versuchen wir es!

06] Siehe, Gott ist ein reinster und ewiger Geist! Dieser ewige Geist ist die purste und reinste Liebe und also das ewige Leben Selbst. Die Liebe aber ist ein Feuer und in sich ein flammend Licht, und alles das ist die Wahrheit.

07] In Gott als dem ewigen Urgrunde alles Seins ist denn auch das vollkommenste Selbstbewußtsein, die höchste Intelligenz, Weisheit und Macht, und wäre es nicht also, so wäre auch nie etwas erschaffen worden; denn was in sich nichts ist, kann sich auch ewig nie zu etwas gestalten.

08] In Gott ist denn auch die höchste Intelligenz und das lichtvollste Selbstbewußtsein ewig vorhanden und wirkend gegenwärtig. Und wäre es nicht also, - wer hätte da den Engeln und Menschen ein Leben mit der Intelligenz und mit dem Selbstbewußtsein zu geben vermocht? Oder ist es möglich, jemandem etwas auch dann zu geben, so man es selbst nicht hat? Kann eine stumme und rohe Kraft ein vollendetes Leben geben?

09] Du hast in deinem Leben doch schon zu öfteren Malen allerlei blinde und in sich stumme Kräfte durcheinandertoben und -wüten sehen; aber hast du auch schon einmal irgendwo einen Orkan wüten sehen, der mittels seiner größten Macht- und Gewaltentwicklung auch nur einen noch so elenden Schaf- oder Schweinestall zusammengewirbelt hätte? Oder hat etwa ein Blitz einmal, so er aus der Wolke herab in die Erde schlug, je etwas anderes als nur eine höchst ungeordnete Zerstörung bewirkt?

10] Betrachte du nun alle die stummen Kräfte und Gewalten, und du wirst an ihnen als Produkte ihres rohen Wirkens nie etwas entdecken, aus dem sich auch nur ein kleinstes Fünklein irgendeiner Intelligenz und Vernunft in und für sich wahrnehmen ließe! Ja, ein weiser Forscher wird auch in dem noch so rohen Wirken der blinden und stummen Kräfte und Mächte eine gewisse Ordnung und einen weisen Plan entdecken; aber das ist kein Eigentum der blinden und stummen Kräfte und Mächte, sondern ein Eigentum Gottes, der aus Seiner höchsteigenen und endlos weisen Willensmacht derlei Gewalten bewirkt, um für einen oder den andern Teil der Erde einen guten Zweck zu erreichen.

11] Betrachte du die Pflanzen, Tiere und besonders den Menschen, so wirst du in allem eine größte Ordnung, einen weise angelegten Plan, verbunden mit der besten Zweckdienlichkeit, finden, was alles sich diese lebendigen Dinge nicht selbst je haben geben können, weil sie als zuvor etwa aus sich daseiend ja doch nicht und nie da waren! So sie aber nun da sind und ihr Dasein sicher einen höchst weisen Urheber vorweist, da ist es denn ja auch klar, daß nur Seine höchste Intelligenz, Seine Macht und Sein vollkommenstes Selbstbewußtsein derlei mannigfachste Wesen aus Sich Selbst hat ins Dasein rufen können.

12] Der Mensch hat selbst in seiner geistig noch unentwickelten puren Naturlebenssphäre schon eine lichtvolle, weithinreichende Intelligenz, daraus die Vernunft und der Verstand wie ein Baum aus einem Samenkorne sich entfalten, mittels derer er bald sehr beachtenswürdige und wohlgeordnete Werke ins Dasein bringt.

13] Wer außer Gott könnte denn dem Menschen, dessen Leib schon ein kunstvollster Organismus und eine höchst weise eingerichtete Lebensmaschine ist, Intelligenz, Selbstbewußtsein, Vernunft, Verstand, Liebe und einen ganz freien Willen mit der entsprechenden Tätigkeitskraft geben, erhalten und vollenden?! Freund, wenn du das, was Ich dir nun nur so in aller Kürze vorgestellt habe, nur einigermaßen helle überdenkst, so wirst du darin auch ganz leicht den natürlichen Weg finden, auf dem der Mensch, so er es nur ernstlich will, Gott und mit Ihm die ewige Wahrheit finden kann! Und so er diesen Weg mit aller Liebe zu Dem, den er sucht, betritt, so wird er Ihn auch finden; und hat er Ihn gefunden, so wird der Gefundene ihm auch alsbald Seinen Willen kundtun.

14] Handelt der Mensch dann diesem gemäß, so wird es auch heller und lichtvoller in seiner Seele, die sich durch die Liebe zu Gott, den sie gefunden und erkannt hat, eben mit dem Geiste aus Gott stets mehr und mehr einigt.

15] Und siehe nun, wenn bei dem Menschen dieser Umstand eingetreten ist, dann ist er selbst zur Wahrheit geworden, weil er in sich die Wahrheit gefunden hat, und mit dem wirst du nun wohl einsehen, was die Wahrheit ist, wie sie zu suchen und wie und wo sie auch allzeit sicher zu finden ist.

16] Hast du aber die Wahrheit so gefunden, und bist du dadurch denn auch frei und rein geworden, so wird dadurch auch alles, was dich umgibt, zur Wahrheit, Reinheit und Freiheit; denn für den Wahrhaftigen ist alles wahr, für den Reinen alles rein und für den Freien alles frei. Ein mehreres benötigst du vorderhand noch nicht. Frage dich aber nun selbst, ob du das alles auch wohl verstanden hast, was Ich dir nun dargestellt habe!«

17] Sagte Kado: »O Du mein lieber Heiland, Herr und Meister! Du hast mir und uns allen nun große Dinge und Wahrheiten verkündet und lichtvoll enthüllt; der alte Isisschleier ist gelüftet, der Augiasstall in mir von seinem alten Unrate gereinigt und der gordische Knoten entzweigehauen, - und das alles verdanken wir nun Dir allein! Ich bin nun zu einem wahren Herkules geworden, - aber nicht zu jenem, der unentschlossen am Scheidewege stand, sondern der entschlossen den Weg der wahren Tugend betreten hat und auf demselben auch bis ans lichtvolle Ziel fortwandeln wird.

18] Ich habe Dich gesucht, wie Du es weißt, und habe Dich auch gefunden, wennschon in der Nacht, was aber um so besser und bezeichnender ist, da ich Dich am Tage wohl sehr schwerlich einmal wo gefunden hätte, da es in mir selbst Nacht und finster war. Nun aber hat es in mir schon ganz gewaltig zu morgendämmern angefangen, und die Morgenröte wird folgen, und die Sonne wird sich auch über den Horizont meines Lebens erheben! Und ich meine, daß sie demselben bereits schon jetzt näher steht, als das meine Seele bis jetzt noch zu fassen imstande ist. Kurz und gut, ich habe Dich, o lieber Herr und Meister, gesucht und habe Dich denn auch gefunden; und da ich nun von Dir erfahren habe, wie man Gott und in Ihm die Wahrheit zu suchen und auch zu finden hat, so wird mir auch das gelingen.

19] Und so ich die Sache nun so ganz recht und klar überdenke, so sagt mir etwas in meinem Herzen: »Kado, du hast schon alles gefunden und wirst weiterhin nicht mehr viel zu suchen haben!« Ich meine: Du, o guter und liebster Herr und Meister, und Der, den ich noch suchen soll, steht nach meinem nun in mir erwachten Gefühle so ziemlich ungezweifelt auf einer und derselben Stufe, und wer Dich gesucht und auch gefunden hat, der hat auch schon Den mit gefunden, den er noch suchen soll. Denn die Zeichen, die Du wirkst, und die Worte, die Du redest, kann kein Mensch reden und wirken. Ich möchte hiermit sagen: Herr und Meister, Du Selbst bist die Wahrheit, der Weg, das Licht und das Leben! Wer Dich gefunden hat, der hat auch schon alles gefunden! - Habe ich unrecht nun geurteilt?«



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