Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8


Kapitelinhalt 136. Kapitel: Die höheren Grade der Hellsichtigkeit.

01] (Raphael:) »Der volle zweite und wohlunterscheidbare höhere Schau- und Fühlgrad der Seele tritt im Leibesleben wie auch im Traume dann ein, wenn der Geist in der Seele also tätig zu werden anfängt wie der Pflanzengeist im Samenkorne, so er aus der eigentlichen Seele, die im Fleische des Kornes ruht, die Wurzeln in die Erde und die Keimblättchen übers Erdreich zu bilden und zu ziehen begonnen hat. Die Seele fängt da an, sich zu einer wahren Form zu entfalten und dringt einesteils in sich, gleich wie der werdenden Pflanze Wurzeln in die Erde dringen und aus der Gotteskraft in derselben die rechte Nahrung einzusaugen beginnen, (während andernteils) die Pflanze selbst aber, also von innen aus genährt, sich als das eigentliche und wahre Formwesen der Seele infolge der inneren Nahrung aus der reinen, wahren und lebendigen Gotteskraft in die Sphäre des Lichtes erhebt und zur endlichen Vollendung höher und ausgebildeter emporwächst.

02] Alles das aber geschieht durch die stets steigende Tätigkeit des Geistes in der Seele, der sich eben dadurch mit der Seele stets mehr eint. In diesem Zustande der Seele ist ihr Schauen und Fühlen kein dumpfes Ahnen mehr, sondern schon ein helles und klares Bewußtwerden aller Lebensverhältnisse, und wie dieselben sich zum eigenen Leben verhalten.

03] Der Mensch erkennt in diesem zweiten und höheren Schaugrade sich und auch Gott und kann da auch die Geister oder respektive Seelen der sowohl schon verstorbenen, als auch der noch im Fleische lebenden Menschen schauen und auch beurteilen, wie sie beschaffen sind. Solch eines Menschen Traumgesichte werden denn auch keine materiellen und unreellen, sondern geistig, rein, wahr und somit reell sein, und es wird da wenig Unterschied mehr zwischen dem Hellsehen im wachen Zustande oder im leiblich schlafenden Traumzustande eines Menschen sein.

04] Und siehe, in einen solchen Zustand habe ich euch denn ehedem durch meine mir innewohnende Kraft auch versetzt, und eure Seele konnte da denn auch ungehindert die Seelen schon lange auf der Erde verstorbener Menschen sehen und auch sprechen. Aber ihr konntet in solchem zweithöheren Schaugrade nur solche Geister sehen und sprechen, die sich mit euch auf einer gleichen Stufe befanden, bis auf den Johannes, der seiner Jünger wegen sich aus den Himmeln in die beschriebene zweite Seh- und Fühlsphäre herab aus eigener Macht versetzte, ansonst ihr ihn als einen höchst vollendeten Geist nicht hättet ersehen und sprechen können.

05] Daß euch aber das Gesehene in der vollen und klaren Erinnerung geblieben ist, das bewirkte auch ich durch die Zulassung des Herrn; denn es ward das von euch Gesehene und Vernommene sogleich in euer Fleischgehirn und auch in euer Herz und in eure Nieren gezeichnet. Ohne dieses hättet ihr von all dem Gesehenen und Vernommenen ebensowenig etwas herüber ins erdwache Leben gebracht, als die Seele deines Bruders, mit der du nach deiner Traumerzählung in Athen zusammengekommen bist, von dem etwas mitgebracht hat ins leibwache Leben, was sie träumend mit dir in Athen verhandelt hatte.

06] Es gibt gewisse fromme Menschen, die beinahe täglich zur Stärkung der Seele im Leibesschlafe in der Geisterwelt leben und handeln. Wenn sie aber wieder leibeswach werden, so wissen sie nichts davon; nur ein gewisses tröstlich-stärkendes Gefühl gewahren sie in sich, und es kommt manchem vor, als hätte er angenehme Dinge gehört und gesehen.

07] Nur solche Menschen, die sich gleich den Propheten schon im Übergange in den dritten und somit höchsten und hellsten Schau- und Gefühlsgrad befinden, weil ihr Geist sich schon völliger mit der Seele zu einen angefangen hat, bringen das in der auch schon höheren Geisterwelt Geschaute und Vernommene in den leibeswachen Zustand zurück und können es ihren Nebenmenschen wieder verkünden. In solch einem Zustande befanden sich die meisten kleinen Propheten.

08] Betrachte du aber nun zum Beispiel einen Weizenhalm, wie er sich bis dahin entfaltet, wo auf seinem höchsten Wachstumspunkte die Fruchtähre sich zu zeigen und zu entfalten beginnt! Siehe, dasselbe geschieht beim Menschen, wenn die Seele anfängt, völlig in ihren Geist überzugehen.

09] Durch das Handeln im zweiten Hellschaugrade hat nur der Geist die immer noch zum halben Teile materielle Seele zu bearbeiten angefangen und breitete sich in ihr immer mehr aus, und das so lange fort, bis von ihm die ganze Seele erfüllt und geistig belebt wurde.

10] In diesem dritten Stadium aber fängt die Seele an, durch die Liebe des Geistes ganz entzündet, in den Geist überzugehen und alle ihre immer noch mit der Materie verwandte Substanz in die rein geistige Essenz umzugestalten, und da wird die wahre Fruchtähre fürs freie, ewige Leben gebildet.

11] In diesem Zustande wird ein Mensch denn ganz ins Licht gehoben, fängt an, vom selben ernährt zu werden, und je mehr Nahrung er vom selben erhält, desto weniger nimmt er als stets mehr und mehr vergeistigte Seele Nahrung von der seelischi-materiell substantiellen Sphäre an. Die Lebensähre blüht, einigt sich dadurch mit dem Geiste der Liebe, und das erzeugt dann das Lebenskorn, das anfänglich mit der Milch aus den Himmeln genährt wird, in kurzer Zeit aber mit stets helleren und ewig festen und unwandelbaren Wahrheiten.

12] Und sieh! Da wird das Lebenskorn reif, und das Leben der Seele, das im zweiten Schaugrade als gewisserart vereint mit dem Geiste den Kornhalm bildet, befindet sich nun im vollreifen Lebenskorne, darum denn der früher so emsig gebildete Halm welk wird, völlig abstirbt und sich vom Lebenskorne abscheidet und mit dem Korne keine Gemeinschaft mehr hat!

13] Siehe, das ist denn auch dann der dritte und höchste Schau- und Lebensgrad der Seele! In diesem Zustande sieht und vernimmt dann die Seele alles, was in der ganzen Schöpfung ist und irgend besteht. Sie sieht den Himmel offen und kann mit aller Geisterwelt in den lichtesten und lebendigsten Verkehr treten. Was solch eine Seele dann sieht, vernimmt und fühlt, das kann nimmer aus ihrer hellsten Erinnerung entschwinden; denn ihr hellster Schau- und Fühlkreis ist ein allumfassender, ewig bleibender und alles durchdringender.

14] In solch einem Zustande befanden sich die großen Propheten, und in solch einem Zustande befinden sich auch alle vollendeten Geister der Himmel, und ich selbst befinde mich auch in einem solchen Zustande, ansonst ich dir ihn nicht hätte beschreiben können, - denn niemand kann jemand anderem etwas geben, was er selbst nicht hat, was du wohl einsehen wirst.«



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