Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 225. Kapitel: Der Tod des Rabbi.

01] (Der Herr:) »Darauf aber sagte Ich, als wir zu essen begannen: "Oh, wie ist der Mensch doch gar so entsetzlich blind! Was werden ihm die etlichen hundert Pfennige noch nützen? Denn heute noch, und das in einer Stunde, wird er sterben! Dann aber wird ein etwas Besserer an seine Stelle kommen; der wird uns aber die Arbeit zahlen, so wie auch wir ihm die Opferpfennige nicht vorenthalten werden."

02] Sagte Maria: "Bist du, mein lieber Sohn, nun wieder hellsehend geworden?"

03] Sagte Ich: "Ich habe das zu sein nie aufgehört! Nur für Nazareth und seine finstere Umgebung bin Ich stumm; denn wo es keinen Glauben gibt, da gibt es auch keinen wahren Verstand und kein Licht. Darum verratet Mich nicht! Wenn ihr aber nach ein paar Stunden in der Stadt werdet das Klagen und bezahlte Weinen vernehmen, so eilt nicht voll Neugier in die Stadt gleich den andern blinden Menschen, sondern bleibt daheim, weil ihr nun schon wisset, um was es sich handeln wird! Wenn aber die Nachricht herausgebracht wird, so saget: ,Gegen den Willen Gottes kann kein Sterblicher kämpfen! Gott hat es also angeordnet, und es nützt dagegen kein Klagen, Heulen und Weinen!' Bis aber die Nachricht kommen wird, können wir offen arbeiten; nach der Nachricht aber lassen wir die gebotenen drei Tage ab von der offenen Arbeit und begeben uns nach Kapernaum. Am See werden wir eine Arbeit bis zum Sabbat hin finden!"

04] Sagte Joseph: "Das ist alles recht gut; aber was werden die lautmäuligen Nazaräer dazu sagen?"

05] Sagte Ich: "Diese Narren sollen sagen, was sie wollen; wir aber tun, was Ich euch soeben angeraten habe, und es wird dann schon also gut sein!"

06] Auf diese Meine Worte erwiderte niemand mehr etwas, und wir machten uns nach dem Morgenmahle sogleich an eine kleine Arbeit, und zwar an die Verfertigung eines Getreidekastens für einen Nachbar.

07] Nach drei Stunden aber kam schon ein schwarzer Bote aus der Stadt und brachte uns die Nachricht: "Der Rabbi-Oberste ist vor einer Stunde in der Synagoge vom Schlage Jehovas berührt worden und blieb sogleich völlig tot. Alle Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Der Rabbi-Oberste ist demnach wirklich tot. Wir aber haben uns darum von nun an durch volle drei Tage der offenen Arbeit zu enthalten!"

08] Sagte Ich: "Nur zwei Tage, weil der dritte ohnehin ein Sabbat ist!"

09] Da korrigierte sich auch der Bote und sagte: "Ja ja, also nur zwei Tage!" Und er ging darauf weiter.

10] Wir aber machten uns bald darauf auf den Weg nach Kapernaum und fanden dort in der euch schon bekannten Herberge am See noch am selben Tage eine gute Arbeit, die wir bis zum Sabbat hin fertigmachten, wobei wir uns hundert Groschen verdienten. Den Sabbat hindurch aber blieben wir noch in Kapernaum am See und befanden uns ganz wohl und heiter dabei. Erst am Sonntag kehrten wir wieder heim und vernahmen von unseren Hausleuten allerlei, wie es da zugegangen sei, und daß da viele nach Joseph gefragt und sich gewundert hätten, daß der sonst so fromme Mann bei dem Begräbnisse des Obersten nicht zugegen gewesen wäre.

11] Ich aber fragte sie, ob sie den also Redenden wohl auch das gesagt hätten, was zu sagen Ich ihnen angeraten habe, und was die andern darauf erwidert hätten.

12] Da sagte eine Magd: "Als wir sie also vertrösteten, gaben sie uns recht und gingen weiter."

13] Sagte Ich: "Also war es recht, - die Wahrheit verfehlt ja niemals ihr gutes Ziel! Wir aber haben soviel verdient am See, wie der Oberste uns für die ihm gelieferte Arbeit schuldete, und so ist auch das nun ausgeglichen! Wir können nun ruhig den Getreidekasten für den Nachbar fertigmachen."

14] Wir gingen darauf gleich an die Arbeit, was dem Joseph sehr recht war, da er den Kasten schon gerne fertig gehabt hätte, dieweil der Nachbar seiner auch schon sehr benötigte. Es war aber mit diesem Kasten ein eigenes Ding. Sooft wir an demselben zu arbeiten anfingen, kam sicher etwas also vor, daß wir bei dieser Arbeit entweder aufgehalten oder in derselben tagelang unterbrochen wurden. Und es meinte darum Joseph, daß das von irgendeinem bösen Geiste herrühre, und wir sollten uns von ihm nun nimmer stören lassen und so lange fortarbeiten, bis der Kasten endlich völlig fertig sei. Wir tummelten uns denn auch nach Kräften, und es waren nachmittags am Kasten nur noch etliche Latten anzupassen. Und seht, es ward eines etwas entfernteren Nachbars Haus brennend! Wir mußten der drohenden Gefahr wegen unsere Arbeit schnell verlassen und des möglichen Löschens wegen zum Feuer eilen.

15] Hier sagte Joseph abermals: "Sagte ich nicht recht, daß es mit dem Getreidekasten offenbar eine bösgeistige Bewandtnis habe?! Bevor wir noch die wenigen Latten anpassen konnten, muß ein Haus zu brennen anfangen, damit wir heute ja ganz bestimmt den Kasten nicht fertigmachen können! Sage du, mein liebster Jesus, es mir, was du davon hältst!"

16] Sagte Ich: "Das sicher nicht, was du eben davon hältst, obwohl auch an deinem Dafürhalten etwas gelegen ist! Es hat unser Nachbar, dem der Kasten gehört, einen bösen Knecht, dem der alte Kasten lieber ist, aus dem er nach seinem Belieben Getreide entwenden kann, um es dann heimlich zu seinem Vorteil an vorüberziehende Getreidemakler zur Nachtzeit zu verkaufen. Obwohl wir zumeist durch andere Zwischenfälle von der Hausarbeit abgehalten worden sind, so war aber andernteils auch der böse Knecht mehrmals schuld daran, daß wir an der Kastenarbeit aufgehalten worden sind. Auch jetzt ist er schuld am Brande jenes Hauses, obschon er nun selbst am allerfleißigsten mit dem Löschen des Brandes beschäftigt ist.

17] Heute in der Nacht möchte er seinem Herrn noch mehrere Malter Gerste entwenden, weil das Getreide schon morgen in den bestens abzusperrenden neuen Kasten gebracht werden soll. Er merkte aber, daß wir noch ein paar Stunden vor dem Abende mit dem Kasten fertig sein würden und sein Herr dann auch sogleich von dem Kasten Gebrauch machen dürfte. Da ging er hin zu diesem Nachbar, der mit allen seinen Leuten auf dem Felde arbeitete, und zündete ihm sein Haus an, damit wir nur heute noch nicht den Kasten fertigbrächten.

18] Und siehe, du Joseph, das ist also auch richtig und wahr ein böser Geist, der uns oftmals auf dem Boden des Nachbarn an der Arbeit des Kastens hinderte; doch so manche andern Zwischenfälle waren ganz natürlicher Art und waren zugelassen von Gott.

19] Der Tod des Rabbi-Obersten aber lag vollkommen im Willen des Herrn; denn dieses Rabbis geheime Betrügereien an Armen, Witwen und Weisen sind schreiend geworden bis in den Himmel. Jetzt weißt du, wie sich die Sachen verhalten; aber behalte alles bei dir, und ärgere dich darum nicht!"

20] Sagte Joseph: "Aber den bösen Knecht müssen wir doch sogleich dem Gericht überliefern?!"

21] Sagte Ich: "Das wird nicht gehen, weil du niemanden hast, der ihn bei der Tat ergriffen hätte; Mein Zeugnis allein aber würde vor den Richtern soviel wie nichts gelten, und der Knecht könnte uns dann als offene Verleumder vors Gericht bringen. Lassen wir darum das! Gott aber, der alles sieht und weiß, wird dem bösen Knechte schon ohnehin bald den Lohn zukommen lassen, den er sich verdient hat!"«



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