Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 170. Kapitel: Eine Handelskarawane aus Damaskus.

01] Als Ich solches kaum ausgesprochen hatte, da kam die auch noch bei uns seiende Helias eiligst zu Mir und sagte voll Angst und voll Furcht: »Aber Herr, Herr, um aller Himmel willen, was ist denn das? Ich betrachtete dort die vom Morgen herkommende Karawane, wie sie mit ihren Kamelen und Saumrossen sich gegen uns her bewegt, - aber hinter ihr zieht nun eine andere, ganz entsetzlich aussehende Karawane einher! Statt Kamele und Saumrosse sieht man gräßlich aussehende feurige Drachen, und statt der Menschen ersieht man wahrhaftigste Teufelsgestalten, die mit glühenden Schlangen umwunden und an der Brust mit einem Totenkopf geziert sind! O Herr, Herr, was soll das nun auf einmal bedeuten?«

02] Auf diese atemlose Erzählung der Helias gingen alle an den gen Morgen liegenden Rand des Hügels und bemerkten dieselbe eben nicht angenehm anzuschauende Erscheinung, und es kamen auch alle mit der etwas ängstlichen Frage zum Vorschein, was denn doch das wieder bedeuten solle.

03] Sagte Ich: »Seht und begreifet! Daß die voran daherziehende Karawane aus lauter höchst welt- und gewinnsüchtigen Kaufleuten besteht, das werdet ihr hoffentlich wohl schon seit langem wissen; denn ein Kaufmann aus Damaskus ist um gar nichts besser als ein Dieb und ein Straßenräuber. Diese Kaufleute erweisen dem Käufer alle möglichen Höflichkeiten, damit er ihnen ja soviel als nur möglich um teures Geld Abkaufen möge. Hat er ihnen ihre Ware aber einmal abgekauft, so möchten sie ihn, wenn sie die strengen Weltgesetze nicht fürchteten, aber auch gleich ermorden, die verkaufte Ware wieder zurücknehmen und ihn dann dazu noch seines übrigen Geldes und seiner Habseligkeiten berauben. Aber bei allem solchen ihrem inneren Sinnen und Trachten sind sie vor der Welt angesehene und hochgeschätzte Menschen, und ihre Nebenmenschen können sich nie tief genug vor ihnen verbeugen.

04] Auf daß ihr alle aber, als nun Meine Jünger und Freunde, diese arge Art in ihrer wahren, inneren Gestalt ein wenig besser kennenlernen sollt, als das bis jetzt der Fall war, so tat Ich zu diesem Zwecke eure innere Sehe auf, und ihr erschautet mit den leiblichen Augen die voranziehende weltliche Karawane, wie sie also ein jedes gesunde Menschenauge sehen kann; aber hinter ihr ersahet ihr die entsprechende innere, geistige Karawane.

05] Die glühenden Drachen bezeichnen die brennende Gier, alle Schätze dieser Erde ganz an sich zu bringen. Die auf den Drachen reitenden Teufel sind eben die Kaufleute als Weltmenschen. Die Umgürtung mit Schlangen bezeichnet ihre kaufmännische List, Klugheit und Schlauheit. Die Totenköpfe aber bedeuten die große Mordlust solcher wahren Weltteufel. Denn wenn es diesen möglich wäre, so würden sie gleich alle reichen Menschen ermorden, um sich dann auf die bequemste Art in den Vollbesitz aller Güter und Schätze dieser Erde setzen zu können. Da das hier bei diesen Kaufleuten der Fall ist und Ich es wohl weiß, daß ihr auf solche Menschen selbst noch manchmal große Stücke haltet, so mußte Ich sie vor den Augen eurer Seele doch wohl enthüllen!

06] Da ihr das nun geschaut habt der vollsten inneren Wahrheit nach, so werde eure innere Sehe nun wieder geschlossen, - und ihr seht nun wieder die pure äußere Karawane unter diesem Hügel vorüberziehen! - Wie gefiel euch wohl dieses Bild?«

07] Sagte hier Nikodemus: »Herr, ich habe schon meine etlichen Knechte mit dem strengen Auftrage hinab in die Herberge gesandt, daß diese Karawane in meiner Herberge ja um keinen Preis eine Unterkunft finden und nehmen darf! Das wäre mir eine schöne Wirtschaft, solchen Wesen eine Unterkunft zu geben! Ich werde als Bürgermeister sogar sogleich auch hier alle Anstalten treffen, daß sie noch weit über unseren Hecken hinaus ihre Unterkunft werden suchen müssen. Solche Wesen würden unseren sonst sehr freundlichen Ort ja am Ende derart verpesten, daß darauf niemand mehr darin bestehen könnte! Ah, da müssen gleich ganz scharfe Gegenmittel ergriffen und ins Werk gesetzt werden, um solch ein Unheil von unserem Orte abzulenken! - Herr, ist es nicht recht also?«

08] Sagte Ich: »Daß du sie in deine Herberge nicht aufnimmst, daran tust du wohl; doch die Karawane auch aus dem ganzen Orte hinauszuschaffen, wäre unklug! Denn fürs erste steht die Karawane unter dem Schutze der für alle Handelsleute gegebenen römischen Freizügigkeitsgesetze, und fürs zweite gibt es auch in diesem Orte recht viele Menschen, die infolge ihrer inneren Sinnesart nicht um ein Haar besser sind als diese Handelsleute und sonach in gar keiner Gefahr stehen, irgend noch schlechter zu werden, als sie ohnehin schon lange sind; und endlich fürs dritte aber können sogar bei diesen Damaszenern ein paar Versuche gemacht werden, ob sich ihre Sinnesart vielleicht teilweise doch noch ändern könnte und möchte. Denn auf dieser Welt ist bei manchen noch so bösen Menschen noch immer eine Besserung eher und leichter möglich als dereinst jenseits bei der nackten Seele.

09] Und so stehe du von deinem zweiten Vorhaben nur wieder ab! Aber was das erste betrifft, so bin Ich, wie Ich das schon gleich anfangs gesagt habe, ganz einverstanden; denn wir und sie hätten uns wahrlich unter einem Dache nicht wohl vertragen! Denn Himmel und Hölle müssen voneinander wohl geschieden sein. - Bist du mit diesem Meinem Rate nun wohl zufrieden?«

10] Sagte Nikodemus: »O Herr, das sicher; aber nur das kommt mir nun wahrlich etwas bitter und ärgerlich vor, daß auch dieser mein Lieblingsort auch von solchen Menschen bewohnt wird, die in ihrer Sinnesart den Handelsleuten aus Damaskus ganz gleichkommen!«

11] Sagte Ich: »Siehe, dort etwas rückwärts stehen noch die sieben, die Ich in jener alten Hütte des reichen Barabe vom Hungertode gerettet habe! Sie sandten ihre nackten Kinder zu den Bürgern dieses Ortes, daß sich doch einer oder der andere ihrer erbarmen möge; aber da fanden die Kinder lauter steinerne Herzen. Wenn aber also, wie kann es dich nun wundernehmen, wenn Ich den Bürgern dieses Fleckens kein besseres Zeugnis geben kann! Wenn Ich dich erst die hohen Menschen von Jerusalem mit der inneren Sehe sehen ließe, - was würdest du dann wohl dazu sagen?

12] Darum sage Ich euch: Diese Welt ist gleich der Hölle in allem; nur ist sie hier verhüllt vor den Augen der Menschen, gleichwie also auch verhüllt ist der Himmel in Wort und Tat. Hier kann darum der Himmel heilbringend auf die Hölle einwirken; aber wo beide enthüllt sind, da geht es mit dem Einwirken schlecht oder im höchsten Grade schon gar nicht mehr.

13] Als die beiden Pharisäer hierher kamen, da kam in ihnen verhüllt auch die Hölle vollkommen hierher; aber sie kamen hier, ohne es zu ahnen, auch in den vollen Himmel.

14] Es hat aber der Himmel ebenso drei Grade, wie auch die Hölle drei Grade oder Stufen hat.

15] Die sieben Oberägypter stellten den untersten Grad des puren Weisheitshimmels dar, und nur in diesen durften die Höllengeister aus Jerusalem zuerst treten. Da fing ihnen ein Licht an aufzugehen, und sie wurden gewahr, daß sie völlig im Argen der Hölle waren. Als sie dessen immer mehr inne wurden, da senkte sich das Licht des zweiten Himmelsgrades in der Person Raphaels zu ihnen, und sie fingen an, das Bedürfnis zu fühlen, ihr Arges abzulegen und sich zum Lichte zu kehren. Als sie sich im grellen Weisheits- und Liebelichte des zweiten Himmels erst so recht klar beschauten, da erst durchdrang sie wirkliche Reue, und es entstand in ihnen der Drang nach Mir als dem höchsten Grade der Himmel. Und als Ich Selbst dann zu ihnen kam, da wurden sie auch alsbald ganz bekehrt und stehen so nun als Kandidaten für den ersten Himmelsgrad da.

16] Wenn wir sie aber mit unserer Macht, wie sie als wahre Teufel zu uns gekommen sind, gleich von hier getrieben hätten, so stünden sie nun sicher nicht auf dem glücklichen Standpunkte, auf dem sie nun stehen! Und siehe, also steht es auch mit den Handelsleuten aus Damaskus, die sich nun im Orte befinden, aber keine Ahnung davon haben, daß sie dem Reiche Gottes so nahe gekommen sind! Wir aber werden, unter ihnen seiend, bald eine Gelegenheit finden, sie davon etwas Weniges merken zu lassen, und es wird sich dann schon zeigen, was sich eben da Weiteres wird verfügen lassen.

17] Nun aber, da die Handelsleute schon zum größten Teil eine Unterkunft gefunden haben, wollen wir denn auch diesen Hügel verlassen und uns vorerst auf eine Stunde lang in dein Wohnhaus begeben, darauf erst in deine Herberge gehen und alldort ein Abendmahl zu uns nehmen! Darauf wird sich dann schon von selbst zeigen, was da noch alles zu machen sein wird.«

18] Sagte nun noch Agrikola: »Herr, unsere Jugend sehe ich nirgends mehr! Ist sie schon irgendwo hinab?«

19] Sagte Ich: »Aber lieber Freund, hast du denn nicht zuvor vernommen, was Ich zu Lazarus gesagt habe? Wie kannst du da nun noch einmal darum fragen?! Die Jugend ist schon bestens versorgt und befindet sich bereits in der Herberge, und das im treuesten Geleite Raphaels; daß ihr da nichts abgehen wird, dessen kannst du völlig versichert sein! Aber nun wird aufgebrochen und hinab in den Ort gegangen werden! Auf dem Hügel darf Mich nun niemand mehr um irgend etwas fragen! Also sei es!«



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