Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 77. Kapitel: Der Prozeß der inneren Umwandlung im Menschen.

01] Hierauf trat der Engel auf Meinen Wink auf die Seite zu Lazarus hin, und beide gingen ins Haus, um nachzusehen, wie für die Jungen, die sich nun zumeist in den Zelten belustigten, und (für uns) nun von den Schafen, die Raphael hervorgerufen hatte, ein gehöriges und genügendes Mittagsmahl bereitet wurde.

02] Agrikola aber wandte sich nun an Mich und sagte: »Nein, Herr und Meister, mir ist auf dieses Geistes Erklärungen hin nun ganz sonderbar zumute, und ich komme mir wahrlich wie ganz ausgewechselt vor! Ich habe doch von Dir vieles und Übergroßes gehört und gesehen, - aber ich habe mich doch dabei stets heimischer gefühlt; aber bei dem Engel habe ich mich ordentlich mir selbst entfremdet! Wie kam denn das, und was bedeutet das?«

03] Sagte Ich: »Mein Freund, das alles geschah in der allergrößten Ordnung! Denn solange du dir selbst nicht gewisserart fremd wirst, bist du dem Reiche Gottes eben noch nicht gar zu besonders nahe; aber wenn du dir einmal selbst so etwas fremd vorzukommen anfängst, so ist das ein Zeichen, daß dein Geist in dir ein wenig aufgerüttelt worden ist und ein wenig in deiner Seele einen Schritt vorwärts getan hat. Und weil du das in deinem Leben gewissermaßen das erstemal verspürst, so ist das eben ein Zeichen, daß sich dein Geist in dir so ein wenig mehr zu regen angefangen hat. Und das kannst du immer für ein ganz gutes Zeichen halten. Es wird dir das noch mehrere Male, und das stets in einem entschiedeneren Grade, widerfahren.

04] Wenn du aber solch eine Erfahrung machst, da sei darob nur sehr froh und heiter; denn darin liegt eben ein Hauptzeichen, daß sich dein innerer Geist gar stark mit deiner Seele zu einen angefangen hat! Denn solange du in deinem alltäglichen und heimatduftenden Gefühle dich befindest, so lange bist du noch dieser Welt angehörig und hast keine Fähigkeit in dir, dich dem Reiche Gottes wahrhaft nähern zu können; denn wenn der reine Geist einmal im Menschen erwacht und mit seinem Leben und Lichte den ganzen Menschen zu durchdringen beginnt, so beginnt im Menschen auch ein ganz anderes und - sage - ein ganz neues Leben, das er früher nicht geahnt hat. Und darin liegt der höchste Beweis, daß der Mensch nach dem Abfalle des Fleisches von seiner Seele ein ganz neues und in seinem Leibesleben nie geahntes und noch weniger gekanntes Leben beginnt.

05] Was aber den Abfall des Fleisches von der Seele des Menschen betrifft, so will Ich damit nicht schon den vollen und wirklichen Leibestod bezeichnet haben, sondern jenen Zustand des Menschen, in dem er seine sinnlichen und weltlichen Begierden nahe ganz von sich verbannt und ganz im Geiste zu leben angefangen hat.

06] Der Geist fängt da mächtig sich mit der Seele zu einen an, und diese tritt dann immer mehr und mehr in den Verband mit der allein wahren Geisterlebenswelt. Diese aber, früher ungeahnt und ungekannt, liegt vorerst tief im Menschenherzen gleichwie das reine Geistflämmchen im Keimhülschen eines Samenkornes.

07] Solange aber das Samenkorn in der Erde nicht stirbt und zerfällt und sich also auflöst, daß seine früher festen Teile in die Ähnlichkeit des Geistes überzugehen anfangen, so lange auch bleibt der Geist untätig und verborgen. Wenn aber das Fleisch des Samenkornes sich in der Erde zu erweichen und aufzulösen beginnt und in seinen stets ätherischer werdenden Teilchen dem im Keime wohnenden Geiste ähnlicher wird, dann fängt der Geist die ihm ähnlichen Teile an zu ordnen und durchdringt sie stets mehr und mehr, und es tritt da - wie du das bei jeder emporkeimenden und fortwachsenden Pflanze gar wohl merken kannst - ein sicher ganz neuer Seinszustand ein. Und was du im kleinsten Maßstabe bei einer oder der andern Pflanze merkest, das geschieht denn auch in einem großen und allumfassenden Maße beim Menschen, wenn er alle seine seelischen und auch leiblichen Gelüste und Begierden für die Außenwelt durch seinen ernsten Willen in sich zerstört, auflöst und in allem dem inwendigsten Geiste ähnlicher und ähnlicher zu machen anfängt.

08] Nun, da kann es einem lange an alle Welt gewohnten Menschen eben nicht sehr heimatlich zumute werden: wenn er sich aber mit der Zeit in seiner neuen, inneren und allein wahren Lebenswelt mehr und mehr wird heimlich (heimatlich, heimisch) zu fühlen anfangen, so wird ihm dann die Außenwelt in gleicher Weise stets unheimlicher zu werden anfangen. Daher mache du dir nichts daraus, so dich Mein Raphael ein wenig mehr als gewöhnlich aufgerüttelt hat; denn es ist dir solches von einem großen Nutzen.

09] Er ist in seinem Wesen schon ein reiner Geist und konnte darum auch direkter auf deinen Geist einwirken, als es ein anderer noch so geweckter Mensch zu tun imstande wäre, solange er die volle geistige Wiedergeburt noch nicht erreicht hat. Aber das ist nicht zum Nachteile deiner Seele, sondern nur zu ihrem großen Vorteil von Mir also zugelassen worden. Darum mache dir, wie Ich schon gesagt habe, nichts daraus, wenn es in dir etwas befremdlich und unheimatlich auszusehen angefangen hat! Wenn dich dieses Gefühl noch öfter heimsuchen wird, da frohlocke du in deinem Herzen; denn das zeigt dir die stets größere Annäherung des Reiches Gottes im Herzen deiner Seele an. - Hast du das nun wohl verstanden?«

10] Sagte Agrikola: »Ich danke Dir, o Herr, für diese Deine allergnädigste Erklärung! Mir ist das Gefühl wohl noch geblieben, - aber es befremdet mich nicht mehr so, wie es mich ehedem befremdet hat. Aber nun möchte ich nur das noch wissen, wie der Engel denn gar so genau wissen konnte, welche Tiere mein altes Ehrenschild zieren; denn das Schild befindet sich wohlverwahrt in Rom, und wir sind hier. Wie kann er so weithin schauen?«

11] Sagte Ich: »Das hatte er diesmal auch gar nicht vonnöten, weil er als ein reiner Geist dasselbe in deiner Seele bis in die allerkleinsten Teile hatte schauen können. Übrigens hätte er als ein reiner Geist dir dein Ehrenschild auch in einem Augenblick von Rom hierher stellen können!«

12] Sagte Agrikola: »Das dürfte denn doch ein wenig schwer sein; denn wenn auch ein Geist alle Materie durchdringen und auflösen kann, so kann aber doch die Materie die Materie nicht durchdringen. Mein Schild befindet sich in einem steinernen Schrank, der mit einem ehernen Deckel wohlverschlossen ist. Er müßte den ganzen Schrank gänzlich zerstören, um das Schild herauszubekommen; und würde er dann mit dem Schilde die unendlich schnelle Bewegung durch die Luft machen, so müßte das Schild ja in der Luft zerstört werden!«

13] Sagte Ich: »Du urteilst, wie du die Sache verstehst; aber die reinen Geister verstehen das schon alles ganz anders. Siehe, der Engel hätte ja nicht einmal nötig, sich von hier gar nach Rom zu begeben; es genügt sein Wille und seine alles durchdringende Erkenntnis. Er löst dir in Rom dein Schild völlig auf, wie er zuvor den Stein aufgelöst hat, und fügt es durch seinen Willen - ebenso wie den Stein, den du noch in deiner Hand hast - hier augenblicklich wieder zu seiner Materie und Form zusammen. Und siehe, so ist dann einem reinen Geiste wohl nichts mehr unmöglich! Wenn du solches nun einsiehst, so denke nun darüber nach, und es wird dann in deiner Seele schon heller werden! -

14] Jetzt aber kommen die zwei Jünger aus dem Tempel auch schon zurück und noch ein paar andere Männer mit ihnen. Diese wollen wir nun vernehmen, auf daß sie uns sagen, wie es nun unten zugeht. Darum ruhen wir nun, bis sie hier sein werden!«



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 7  |   Werke Lorbers