Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 73. Kapitel: Reingeistiges in der Materie.

01] (Raphael:) »Damit du, Agrikola, aber das noch leichter verstehst, so will ich dir noch so manche Beispiele zeigen, die ich zwar schon dem Freund und Bruder Lazarus gezeigt habe, und der Herr auch; aber da du das vom Herrn Gezeigte zu wenig aufgefaßt hast, so muß ich dir nun nach dem Willen des Herrn die Sache noch heller machen. Und so habe denn wohl sehr genau auf alles acht, was ich dir nun sagen werde!

02] Siehe, du bist auch ein Gärtner, hast in Rom große Gärten, an denen du eine große Freude hast! Tausenderlei Pflanzen, Blumen und Früchte werden in ihnen gezogen. Darin hat es auch keinen Mangel an allerlei Gattungen von Trauben, Feigen, Äpfeln, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Pomeranzen, Zitronen, Limonen, Kastanien und Melonen aller Art und Gattung. Damit dein Garten, der wahrlich sehr groß ist, stets von neuem mit allem bepflanzt werden kann, mußt du auch immer einen rechten Vorrat von allerlei Samen zusammensammeln, den du zur geeigneten Zeit in die gute Erde deines Gartens legst.

03] Nun, der Same ist in der Erde und fängt zu deiner Freude an, ganz reichlich und gesund emporzukeimen. Ja, das ist nun alles recht schön, gut und freudig anzusehen; aber hast du wohl auch für jede Gattung deiner in das Gartenerdreich gelegten tausenderlei verschiedenen Sämereien ebenso verschiedene Erdarten, für jeden Samen eine eigene, gegeben? Du sagst: "Der ganze große Garten unweit der Mündung der Tiber ins große Mittelländische Meer hat nur ein und dieselbe gute und fruchtbare Gattung des Erdreiches, und es gedeiht im selben jede Frucht vortrefflich."

04] Gut, sage ich dir, wenn es aber im Sommer nicht regnet - wie das in Rom eben beinahe immer der Fall ist -, so müssen deine Diener mit der Gießkanne den Garten befeuchten. Hast du da etwa für jede Fruchtgattung auch eine eigene Gattung Wasser? Du sagst abermals: "Nein, auch das nicht; ich lasse alle Pflanzen, Gesträuche und Bäume nur mit ein und derselben Gattung Wasser begießen, die die Wasserleitungen in den Garten bringen!" Wieder gut, sage ich! Also auch nur ein und dieselbe Gattung des Süßwassers, weil das Meerwasser zur allgemeinen Belebung der Trockenerdpflanzen nicht wohl taugt.

05] Nun wissen wir, daß dein großer Garten nur aus einer Erdgattung besteht und mit ein und demselben Wasser begossen wird. Die Luft in deinem Garten ist und bleibt auch dieselbe, und das Licht und die Wärme aus der Sonne bleiben auch unverändert stets ein und dieselben und können wenigstens über die ganze Fläche deines Gartens - in Hinsicht der niederen oder größeren Stärke und Kraft von gar keinem Unterschiede sein, außer dem, den die Jahreszeiten - aber auch stets in gleicher Verteilung - über den ganzen Garten ausbreiten.

06] Nun, so denn alle Vorbedingungen zum Wachstum der verschiedensten Pflanzen, Gesträuche und Bäume die ganz gleichen sind, so müßten sie als die gleichen Ursachen ja auch bei allen Pflanzen, Gesträuchen und Bäumen die ganz gleichen Wirkungen sowohl in Hinsicht der Form als auch der Gestalt und des Geschmacks und Geruchs hervorbringen. Und doch, welch ein gewaltiger Unterschied!

07] Wenn du den Kern einer Zitrone zerkaust, so schmeckt er bitter. Woher nimmt denn die Frucht die angenehme Säure? Und so geht die Geschichte der ganzen Reihe der Wesen nach. Alles ist in seiner Art himmelhoch verschieden von dem andern. Ja, wie geht denn das mit ein und derselben Nahrung zusammen? Die Rebe sieht anders aus als ein Feigenbaum, und welch ein Unterschied ist in allem zwischen der Frucht einer Rebe und der eines Feigenbaumes! Wieder stecktest du den Samen eines gemeinen Kürbisses und den einer Melone in die Erde. Der erste brachte dir die Frucht eines gewöhnlichen geruch- und geschmacklosen Kürbisses zum Vorschein, und der Melonensame bezahlte dir deine gar ehrenhafte Mühe mit einer mehr denn honigsüßen Frucht, und doch war überall dieselbe Erde, dasselbe Wasser, dieselbe Luft und dasselbe Licht und ganz dieselbe Wärme aus der Sonne.

08] Wenn du nun darüber etwas weiter nachdenkst, so wirst du dich selbst offenbar fragen müssen und sagen: "Ja, wie können denn eben die gleichen Kräfte die stets verschiedenartigsten Wirkungen hervorbringen?" Ich sagte dir freilich, daß all die endlos vielen seelischen Substanzen zuerst im Äther, dann in der Luft und im Wasser vorhanden sind; aber das schärfste Menschenauge und der allerempfindlichste Geschmacks- und Geruchssinn findet weder in den einen noch in den andern Urallgemeinelementen irgend etwas nur von dem Geschmack und von dem Geruch irgendeiner Pflanze und ihrer süßen, sauern oder bittern Frucht heraus, - über ihre Gestalt und Farbe wollen wir ohnehin kein Wort verlieren. Nun, wie kommt es denn hernach, daß ein jeder verschiedene Same aus der gleichen Erde, aus dem gleichen Wasser, aus der gleichen Luft, aus demselben Lichte und aus derselben Wärme nur diejenigen Urstoffsubstanzen an sich zieht und sie in sich in seiner Art verkörpert, die er als stets der gleiche und unveränderte Same schon vor mehreren tausendmal tausend Jahren an sich gezogen und verkörpert hat?

09] Siehe, da taucht Reingeistiges sogar in der organischen Materie auf und zeigt dem geweckten und scharfsinnigen Beobachter, daß es eben nur als Reingeistiges ein wahres Etwas ist, und daß das, was des Außenmenschen Sinne als ein Etwas ansehen und betrachten, eigentlich gar nichts ist, sondern daß nur das, was im Samenkorne verborgen ruht, ein wirkliches Etwas ist, weil es ein Reingeistiges ist. Dieses ruht im deinem Auge kaum sichtbaren kleinsten Hülschen, das in dem vom ganzen Samenkorne umschlossenen Keimbützchen vorhanden ist. Dieses in dem angezeigten Hülschen eingeschlossene Reingeistige ist ein mit Liebe, Licht und Willenskraft erfüllter Gedanke oder eine Idee in ihrer vollen Isoliertheit von den zahllos vielen anderen in sich und für sich ebenso abgemarkten und abgesondert abgeschlossenen Gedanken und Ideen.«



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