Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 71. Kapitel: Das Wesen des Geistes.

01] (Raphael:) »Aber da wir noch Zeit haben, so will ich euch auch noch etwas zeigen; denn sonst könntet ihr noch auf den Gedanken kommen, daß ich mich nur mit den Steinen abgebe. Seht, die Säule ist einmal da und versorgt, und sie soll Jahrhunderte auf jenem Punkte stehenbleiben und tausend Jahre erhalten werden durch die Beharrlichkeit meines freien Willens! Aber auf daß besonders ihr Römer es sehen könnet, daß einem Geiste durchaus nichts unmöglich ist, so sollen an eben jener Stelle, an der ehedem aus der Luft eine mächtige Granitsäule entstand, ein großer und mit reifen Früchten vollreich beladener Dattelbaum stehen und ihm zur Seite zwei Feigenbäume, die an reifen Früchten auch keinen Mangel haben sollen.

02] Seht, ich sagte und wollte das, und die besagten Bäume, mit ihren Früchten reichlichst beladen, stehen schon an Ort und Stelle! Und nun geht alle hin und prüft die besagten Früchte mit eurem Gaumen, und ich meine, daß sie euch allen sehr wohl schmecken werden!«

03] Hier erhob sich alles und ging hin, das Wunder zu prüfen. Alle sagten, daß sie von Früchten dieser Art noch nie etwas Edleres und Vollendeteres genossen hätten.

04] Sagte der Engel: »Und nun noch ein Dutzend Schafe auf jene grüne Weide vor dem Hause unseres alten und liebevollen Freundes und Bruders Lazarus der Luft hingeschaffen! - Seht, sie sind alle auch schon ganz munter an Ort und Stelle und sind ein Eigentum des liebevollen Lazarus!

05] Dabei aber meine ich auch, daß ihr durch diese Zeichen nun doch einsehen werdet, was da ein reiner und vollkommen willensfreier Geist alles vermag. Denkt nun ein wenig nach, und sagt mir dann, wie ihr diese Sachen verstanden und begriffen habt, und es soll euch dann schon noch ein größeres Licht vom Herrn aus gegeben werden! Und so denkt nun über das alles reiflich nach!«

06] Sagte Agrikola: »Oh, du mein Freund aus den Himmeln Gottes, es wäre da schon ganz leicht nachzudenken, wenn wir uns schon in deiner erhabenen Sphäre befänden; aber unser Lebensweg bis dahin dürfte noch ein so hübsch langer sein! Doch das, was du, himmlischer Freund, durch die allergnädigste Zulassung des Herrn uns geoffenbart hast, verstände wenigstens ich zur menschlichen Genüge; allein wie des Geistes beharrlicher Wille zu ganz der allerverschiedenartigste Stoff der Materie der ganzen Erde und sogar der anderen Welten im endlosen Raume ist und sein kann, das können wir unmöglich so verstehen, wie du, o himmlischer Freund, es hellst verstehen wirst.

07] Die Materie ist also nichts und die Seele, als gewisserart ein Produkt der Materie, für sich auch nichts; nur allein der reine Geist für sich ist ein reales Etwas. Was ist also ein reiner Geist in und für sich für ein Stoff, oder was für ein Etwas ist er? Das ist eine Frage, die ein sterblicher Mensch, der nur aus seiner wenigstens noch halbmateriellen Seele und aus seinem Stoffleibe heraus denkt und will, so lange niemals völlig beantworten wird, als er nicht selbst nahe ganz geistig geworden ist. Und so mußt du, himmlischer Freund, mit uns wohl eine kleine Geduld haben, wenn uns deine Erklärungen in diesem höchst zarten Lebenspunkte trotz deiner zu dem Behufe gewirkten Wunderzeichen noch immer nicht jenes Licht verschaffen, mit dessen Hilfe wir denn dahin ins völlig klare zu kommen vermöchten, was der lebendige reine Geist in und für sich für ein Stoff und für ein Etwas ist.

08] Ja, es ist das Wort "Geist" bald und leicht ausgesprochen; aber wo bleibt da der Verstand (das Verständnis)? Es ist da demnach für uns ein kurzes oder längeres Nachdenken gleich nutzlos und völlig unfruchtbar, und du, unser lieber, himmlischer Freund, kannst uns über die eigentliche Wesenheit des reinen Geistes sogleich von neuem hellere Erklärungen zu geben anfangen, das heißt, so dir unser Unverstand nicht schon zu überlästig wird.«

09] Sagte Raphael: »Gott über alles lieben und euch Menschen dienen, die ihr berufen seid, Seine Kinder, uns reinen Geistern gleich, zu werden, ist ja eben unsere höchste Wonne und Seligkeit! Wie soll mir dann etwas lästig werden, das euch ein noch größeres Licht geben kann? So gebet denn weiter wohl acht darauf, was ich euch über das Wesen eines reinen Geistes noch Weiteres eröffnen werde!

10] Im Grunde des Grundes ist Gott allein der allerpurste und reinste Grundgeist aller Geister, und Er ist als solcher denn auch der Grundstoff und das ewige Urelement aller Urelemente.

11] Der reine Geist in sich als Stoff und Element ist ein Feuer und ein Licht oder in sich die Liebe und die Weisheit selbst. Doch müßt ihr euch darunter kein Materiefeuer und keine sinnliche Liebe vorstellen und also auch kein Licht wie etwa daß der irdischen Sonne oder einer brennenden Lampe - obschon zwischen beiden eine Entsprechung besteht -; denn das Feuer des Geistes ist pur Leben und dessen Licht seine Weisheit.«



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