Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


12. Kapitel: Das Mahl in der Herberge.

01] Als wir oben ankamen, da waren die Sklaven alle in guter Ordnung aufgestellt und grüßten Mich schon von weitem, sagend: »Heil dir, lieber, guter vater; denn du hast uns erlöst und frei gemacht von unseren harten Banden! Du hast uns ein neues, gar schönes Gewand gegeben, daß wir nun gar lieblich anzusehen sind, und hast uns gesättigt mit überguter Speise und gar kräftig und süß schmeckendem Tranke! O du guter, lieber Vater du, komme, komme, damit wir dir mit unserer Liebe danken können!«

02] Als Ich ganz zu ihnen kam, da drängten sich alle zu Mir und küßten und kosten Mich.

03] Die Jünger aber bedeuteten ihnen, daß sie sich nicht gar so sehr und heftig um Mich drängen sollten.

04] Ich aber sagte zu den Jüngern: »Lasst ihnen ihre allerunschuldigste Freude; denn wahrlich, Ich sage euch: Wer Mich nicht liebt wie eins dieser wahren Kinder hier, der wird nicht zu Mir kommen! Denn wen nicht der Vater (in Mir) zieht, der kommt nicht zum Sohne (zur Weisheit aus Gott). Diese aber zieht der Vater, und darum drängen sie sich denn auch also um Mich. Diese wissen noch nicht, wer Ich bin, doch den Vater haben sie in Mir schon um vieles besser erkannt denn ihr bis zur Stunde. Wie gefällt euch das?«

05] Da sagten die Jünger nichts mehr und fühlten es wohl, daß sie Mich noch nie mit solcher Liebe in ihren Herzen aufgenommen hatten wie nun diese Kinder aus dem sonst so kalten Norden.

06] Als Mich diese Kinder also abgekost und Mir für alles gedankt hatten, da traten sie wieder in einer ganz guten Ordnung zurück, und wir gingen ins Haus und setzten uns an die Tische in der Ordnung wie am vergangenen Tage, nur nahmen die vier Armen nach dem guten Willen des Agrikola am Tische der Römer Platz. Die Sklavenhändler mit Hibram aber nahmen neben den sieben Pharisäern Platz, und als also alles geordnet war, da wurden Speisen aufgetragen und Wein und Brot in schwerer Menge, so daß die Sklavenhändler sich über eine so reiche Mahlzeit nicht genug wundern konnten. Raphael saß neben Mir, um gewisserart schnell bei der Hand zu sein, so Ich seines Dienstes benötigte.

07] Es waren aber die vier Armen aus sehr leicht begreiflichen Gründen höchst dürftig in schon sehr schadhafte Kleider gehüllt, was den Lazarus, der auch neben Mir saß, sehr dauerte.

08] Er sagte darum zu Mir (Lazarus): »Herr, ich habe daheim der Kleider in Menge! Wie wäre es denn, so ich jemanden nach Bethania entsendete und für diese Armen Kleider herbeischaffen ließe? Vielleicht käme auch die Schwester Maria, die hier sicher auch eine große Freude hätte!«

09] Sagte Ich: »Freund, deine Sorge für die Armen ist Mir immer sehr lieb, und Ich habe darum Wohnung bei dir genommen; aber diesmal werde schon Ich auch für diese also sorgen, wie Ich ehedem für die Kinder, die nun draußen herum sich erheitern, gesorgt habe! Die beiden Schwestern aber haben daheim nun ohnehin mit den vielen Fremden zu tun und sind in deinem Hause notwendig; wenn Ich aber wieder von hier gehen werde, so werde Ich ohnehin vorher zu dir nach Bethania kommen und da deine Schwestern sehen und sprechen. Diese vier Armen aber wirst du bald in besseren, und zwar in römischen Kleidern ersehen. Doch lassen wir sie nun zuvor ihren inneren Leib und ihre Glieder stärken, - darauf soll dann schon auch für ihren äußeren Leib gesorgt werden! - Bist du damit zufrieden?«

10] Sagte Lazarus: »Herr, ganz vollkommen; denn nur das ist gut und völlig recht, was Du willst und anordnest! Aber nun heißt es essen und trinken, und wenn wir alle gestärkt sein werden, dann werden wir wieder über gar viele verschiedene Dinge reden können.«

11] Darauf aßen und tranken alle ganz wohlgemut und konnten die gute und freundliche Bewirtung und die wohlschmeckenden Speisen wie auch den lieblichen und das Herz erheiternden Wein nicht genug loben. Die Sklavenhändler waren ganz und gar außer sich vor Freude und bekannten, daß sie selbst bei ihren früheren Reisen in die südlicheren Länder der Erde noch nie so etwas außerordentlich Gutes genossen hätten.

12] Ein Pharisäer am selben Tische aber sagte dazu: »Ja ja, meine lieben fernen Freunde, im Hause des Vaters leben oft die ungeratenen Kinder besser als irgendwo, weit vom väterlichen Hause entfernt!«

13] Sagte Hibram: »Wie sollen wir das verstehen?«

14] Sagte der freilich nun ganz bekehrte Pharisäer, auf Mich hinzeigend: »Siehe, dort sitzt der ewig wahrste Vater unter uns. Seinen ungeratenen Kindern, das wir, alle Menschen dieser Erde sind! Die da zu Ihm kommen, Ihn erkennen und Ihn lieben, sind Seine besseren Kinder, und Er sorgt dann durch Seine Weisheit und durch Seinen allmächtigen Willen allenthalben für sie, daß es ihnen dann schon auf dieser Erde wohl ergeht, nach diesem Leibesleben aber noch besser im Reiche der ewigen Geister, die nimmerdar sterben, sondern ewig fortleben. Und siehe, das meinte ich darunter, daß es selbst den ungeratenen Kindern nirgends besser geht als im Hause ihres wahren Vaters! - Verstehst du nun solches?«

15] Sagte Hibram: »Ja ja, das verstehe ich nun schon, und du hast da vollkommen gut und wahr geredet; doch jener Mann ist eigentlich ja Gott, und da ist Er zu erhaben, als daß Er ein Vater von uns schlechten Menschen wäre! Ich möchte das sogar für eine gar große Vermessenheit halten, Ihn Vater zu nennen!«

16] Sagte der Pharisäer: »Da hast du einesteils freilich wohl nicht ganz unrecht; doch er Selbst lehrt uns solches und bedroht jeden, der das nicht in seinem Gemüte glauben würde, mit der Ausschließung von dem seligsten, ewigen Leben und zeigt uns, daß Er allein aller Menschen Schöpfer und wahrhaftigster Vater ist, und so müssen wir solches auch glauben, aber auch nach Seinem uns bekanntgegebenen heiligsten Willen also auf dieser Welt leben, daß wir dadurch erst würdig werden, Seine Kinder zu sein. Wenn Er Selbst uns aber solches lehrt, so müssen wir das dann wohl auch mit aller Liebe und Dankbarkeit annehmen und das tun, was Er uns lehrt; denn Er allein weiß, wie es mit uns Menschen steht, und wozu Er uns ins Dasein gerufen hat.«

17] Mir dieser ganz guten Belehrung waren unsere Sklavenhändler denn auch vollkommen zufrieden und aßen und tranken darauf weiter und unterhielten sich mit den Pharisäern, so gut es ihre Zungen zuließen. Aber mit der Zeit verstanden sie sich immer besser, weil der eine Pharisäer in der urhebräischen Sprache so ziemlich bewandert war, in der die nordischen Abkömmlinge Indiens in einer noch wenig verbenen Art ihren Gedanken Raum und Form gaben.



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