Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 148


Jesu Einkehr bei Lazarus in Bethania.

01] Ich Selbst aber kam außerhalb des Tempels in einer ganz abgelegenen Herberge mit Meinen Brüdern und Jüngern zusammen. Es war das dieselbe Herberge, in der Ich an den Festen oftmals mit Joseph und Maria und mit den Brüdern übernachtete. Die Freude der Brüder, als Ich zu ihnen kam, war natürlich eine unbeschreiblich große, da sie alle ganz traurig beisammensaßen und unter sich darüber Meinungen austauschten, ob Ich Mich ihrer je wieder erbarmen und sie annehmen würde.

02] Ich aber fragte sie und sagte zu ihnen: ”Kinder, Freunde und Brüder, habt ihr etwas zu essen, zu trinken?“

03] Da fielen Mir alle zu Füßen und baten Mich um Vergebung. Ich aber hieß sie, sich sogleich vom Boden zu erheben und ganz offen mit Mir zu reden, da sie wohl wüßten, daß Ich einer offenen Rede nie gram bin. Da erhoben sich die Brüder und dankten Mir, daß Ich sie nicht verlassen habe.

04] Als Ich aber mit den Brüdern also redete, da kamen eilig auch die zwanzig Judgriechen. Und als sie Mich ersahen, da sagten sie: ”Herr, Du bist uns zuvorgekommen! Wir waren im Tempel und haben alles gehört, was Du allerweisest gelehrt hast; als Du aber ob der entsetzlichen Ungezogenheit der Juden und Pharisäer auf einmal unsichtbar wurdest, da eilten denn auch wir, so gut es bei dem großen Gedränge nur immer gehen konnte, aus dem Tempel und wollten soeben den Brüdern die Nachricht von Deiner Gegenwart bringen, was sie sicher im höchsten Grade erfreut hätte, - und siehe, wir treffen Dich schon hier! Ja, das ist für die Brüder freilich wohl noch ums unaussprechliche erfreulicher, und wir sind auch über alle Maßen froh, Dich, o Herr, wieder unter uns zu haben! Von nun an geschieht sicher keine solche Trennung mehr!“

05] Sagte Ich: ”Oh, es werden noch Zeiten und Umstände kommen, wo ihr euch alle an Mir ärgern werdet, und wenn der Hirte geschlagen wird, da werden die Schafe fliehen und sich zerstreuen! Aber so der Hirte dann wiederkommen wird, so wird Er die guten Schafe abermals um Sich versammeln auf immer. Nun, die Pharisäer wären heute gar übel zuteile gekommen, wenn Ich nicht so eilig aus dem Tempel entwichen wäre; denn die Zahl derer, die an Mich glauben, war bei weitem die stärkste im Tempel, und so jemand die Hand an Mich gelegt hätte, so wäre im Tempel ein großer Tumult entstanden, und die großen Jerusalemer samt den Pharisäern, Schriftgelehrten und Tempeljuden wären dabei gar übel bedient worden. Um das zu vermeiden, verließ Ich denn auch den Tempel und bin nun da.

06] Den morgigen Tag tun wir nichts und heute auch nichts mehr; aber übermorgen, an welchem Tage bekanntlich dieses Fest mit dem größten Pomp begangen wird, da werden auch wir uns im Tempel einfinden und das Volk lehren. Jetzt aber verlassen wir diese Herberge, die zu streng und zu dumm nach dem altjüdischen Gebrauche eingerichtet ist; denn da bekommen wir vor dem Untergange weder etwas zu trinken - und noch weniger etwas zu essen. Machen wir uns darum auf und gehen nach Bethania; dort werden wir gleich etwas zu essen und zu trinken bekommen!“

07] Das war allen sehr recht; aber da kam der Wirt der Herberge uns entgegen und sagte: ”Ja, was ist denn das?! Ist denn meine Herberge nicht gut genug für euch? Warum wollt ihr mich denn verlassen, und gar du, Sohn Josephs aus Nazareth, der du mit deinen Eltern doch schon so oft hier in der Herberge warst und ich mit Joseph sogar sehr nahe verwandt bin?“

08] Sagte Ich: ”Du bist Mir fürs erste zu viel Jude und hältst auf alles Äußere große Stücke, - aber das Innere, Wahre und Lebendige ist dir fremd; dazu aber kommt noch, daß man überall stets besser aufgenommen ist als im Hause der nächsten Blutsverwandten, aus welchem Grunde Ich Mich auch nur höchst selten in Nazareth sehen lasse, - denn der Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterlande!“

09] Sagte der Wirt: ”Aber dein Vater Joseph war doch stets gerne bei mir, und wir haben stets vieles von Moses und all den andern Propheten miteinander beredet, und er hat mir auch stets ganz sonderbare Dinge von dir erzählt! Warum willst denn nun du gar so durchaus nicht in meinem Hause verbleiben, wo du jetzt ohnehin schon beinahe drei volle Jahre nicht in Jerusalem warst?!“

10] Sagte Ich: ”Hättest du dich nur irgend erkundigt, dann wärest du wohl zur Kenntnis gekommen, daß Ich beinahe noch an jedem Feste hier war! Aber du bist ein Erzjude und dabei doch auch ein Erzwirt, und als solchem geht es dich auch nichts an, was da irgend in der Stadt Großes geschieht! Darum bleibe du nur, wie und was du bist, und Ich und diese Meine Jünger werden auch bleiben, wie und was wir sind! Schuldig sind wir dir noch nichts, weil wir noch nichts verzehrt haben; und wir gehen darum!“

11] Darauf erhoben wir uns und gingen schnell von dannen und zogen nach Bethania hin.

12] Hinterdrein aber sagte der Wirt zu seinen Leuten: ”Bin wohl recht froh, daß die abgezogen sind; denn bei den Verwandten schaut für einen Wirt stets sehr wenig Nutzen heraus!“

13] Ich aber sagte solches den Jüngern, und sie wurden ganz ärgerlich auf diesen Augendiener von einem Wirte.

14] Vor Bethania aber sagte Ich zu den Brüdern: ”Geht nun ein wenig voraus und sagt es dem Lazarus, daß er ein gutes Mittagsmahl richten möge; aber Meinen Namen nennet ihm noch nicht! Ich werde aber dann kommen, woran er eine übergroße Freude haben wird.“

15] Da gingen die Brüder mit den anderen zwanzig Jüngern schnell voraus und sagten das zu Lazarus.

16] Dieser aber fragte gleich nach Mir und sagte (Lazarus): ”Ja, meine lieben Freunde, das wird sogleich geschehen nach eurem Wunsche; aber ich gäbe etwas darum, wenn auch der große, heilige Meister bei euch wäre! Es gingen vor einer halben Stunde ein paar Griechen hier vorüber, und ich fragte sie, was es irgend auf dem Feste Neues gäbe. Denn ich blieb nur eine Stunde in Jerusalem und eilte dann ob des mir höchst ärgerlichen tollen Festtreibens nach Hause und konnte dann auch nicht von dem in Kenntnis sein, was sich irgend Weiteres zugetragen hat.

17] Da sagten die Griechen: 'Wir haben vernommen, daß der berühmte Magier aus Galiläa im Tempel sein Wesen treibe; aber wir sahen ihn nicht, weil wir vor lauter Gedränge nicht hineinkommen konnten.' Nun, das sagten mir die zwei Griechen. Ich habe darauf sogleich etliche meiner Knechte entsandt, daß sie sich darum näher erkundigen und mir sogleich die Nachricht bringen sollen, auf daß ich dann hingehen, Ihn aufsuchen und Ihn als den allergeliebtesten Gast zu mir einladen könnte; aber die ausgesandten Knechte sind noch nicht zurückgekehrt. - Sagt es mir, ihr lieben Freunde, ob ihr nicht auch so etwas in der Stadt vernommen habt!“

18] Diese Frage setzte die Jünger in eine nicht geringe Verlegenheit, und sie wußten nicht, was sie darauf für eine Antwort geben sollten. Aber da machte Ich ihrer kurzen Verlegenheit ein Ende, indem Ich im selben Moment in das Zimmer des Lazarus trat und ihn als einen Bruder grüßte. Da war es mit dem Lazarus aus vor Freude, und seine beiden Schwestern weinten vor Seligkeit, daß nur Ich einmal wieder gekommen sei. Kurz, es war das eine Freude nun im ganzen Hause des Lazarus, wie eine ähnliche noch nicht erlebt ward.

19] Sogleich ward alles ins Werk gesetzt, um uns ein allerbestes und glänzendstes Mahl zu bereiten. Davon durfte freilich ein echter Jude und Pharisäer nichts erfahren, weil so etwas vor dem Untergange der Sonne den hohen Festsabbat im höchsten Grade geschändet hätte. Aber an diesem Sabbat hatten alle Pharisäer im Tempel viel zuviel zu tun und ihre Diener ebenfalls, und so konnte in Bethania schon so manches geschehen, wovon der Tempel nie eine Kunde erhielt. Während der Bereitung des Mahles aber gingen wir hinaus auf den schon bekannten Hügel, lagerten uns unter den schattigen Palmen auf den Rasenbänken, und Ich erzählte dem Lazarus, wie es Mir nun im Tempel ergangen war.

20] Da schrieben dann auch Johannes und Matthäus das Evangelium nieder, aber freilich nur die Hauptpunkte mit Hinweglassung der meisten Nebenumstände.

21] Und als Lazarus von Mir das vierte und fünfte Kapitel des Propheten Jesajas erklärt vernahm, da sagte er: ”Ja, Herr, das paßt aber schon so haarklein auf die jetzige Zeit und auf ihre Menschen, daß es auch nicht irgendeinen noch so kleinen Punkt gibt, von dem man sagen könnte, daß er nicht gar so genau hierher taugete! Ja, da ist es denn wohl sehr begreiflich, daß die Templer es auf Dich scharf abgesehen haben! Oh, diese Lektion war ihnen sehr heilsam; denn diese Kerle tun ja jetzt schon gerade also, als ob sie gleich schon die Götter und Engel selbst wären!“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 6  |   Werke Lorbers