Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 125


Der Geist des Mentors der Priesterfráuen erscheint.

01] Sagte die Minervapriesterin: ”Herr, soviel uns unsere gegenwärtige Einsicht gestattet, dürfte es wohl kaum noch etwas geben, um das wir Dich zum Behufe unseres gegenwärtigen Erkenntniszustandes noch fragen könnten, da Du uns ohnehin schon nahe zu viel gezeigt und gelehrt hast; aber etwas könntest Du uns Weibern dennoch tun, und das bestünde darin, daß Du uns zeigtest die Seele unseres Mentors, auf daß wir uns dadurch von dem jenseitigen Fortleben zum voraus noch mehr und tiefer überzeugen könnten.“

02] Sagte Ich: ”Es ist das zwar ein etwas unkluges Verlangen von euch - denn fürs erste habt ihr noch lange die Fähigkeit nicht, einen Geist zu sehen, weil ein Geist auch nur mit den Augen des Geistes, nie aber mit den Augen des Fleisches gesehen werden kann, und zweitens ist die Seele eures gewesenen Mentors auch noch lange nicht in jenem Lebenszustande, daß euch sein Erscheinen irgendeinen Nutzen schaffen könnte -; aber weil ihr denn schon gerade darauf reitet und der Meinung seid, daß das euren Glauben sehr stärken werde, so kann euch zum Beschlusse ja auch noch das gewährt werden. - Isma kore! - komme und rede!“

03] Also berief Ich des Mentors Seele. Und es entstand ein großes Geräusch im Saale, aus dem Boden stieg ein Qualm empor, als wäre da unten ein Brand, und mitten aus dem Qualme trat der Geist ganz zornigen Gesichtes hervor und sagte zu den Weibern: ”Was störet ihr ungläubigen Weiber mich aus meiner Ruhe, in der ich mit meiner Vollendung zu tun habe und in süßer Gesellschaft jener Geister bin, die mir gleichen, und wo unter uns an keinen Hader und Zank zu denken ist?

04] Ich habe mein euch gegebenes Versprechen schon längst eingelöst und habe es euch klar gesagt, wie nichtig des Diogenes Lehren sind und dem Menschen, der sie annehmen kann, zur größten Schande gereichen, weil sie nichts als elendeste Lügen sind zum Hohne der höchsten Weisheit eines ewigen und allmächtigen Gottes! Aber ihr hieltet das nur für einen Traum und für ein Spiel eurer Phantasie!

05] Hat euch da nicht euer Verstand gesagt, daß der Mensch ein gar wunderbares Werk eines großen und wunderbarst allmächtigen Schöpfers ist, und daß im selben nichts vorgehen kann, das nicht seinen Grund und seine weise Bestimmung hätte?! Das habe ich euch oft gesagt noch im Erdenleben; aber ihr achtetet nie darauf, sondern euch war es nur darum zu tun, von aller Welt wegen eurer stoischen Weisheit bewundert zu werden. Aber dessenungeachtet nagte doch fortwährend der Zweifel an eurem Herzen, den ich durch offenstes Wiedererscheinen hätte tilgen sollen.

06] Aber es ist nun ein höherer Geist zu euch gekommen und hat euch belehrt. Warum glaubtet ihr Ihm denn nicht vollkommen? Warum fordertet ihr mich zum Zeugen Dessen auf, dessen Namen ich nicht wert bin auszusprechen? O ihr arg törichten Weiber! Wahrlich, wäre nun jener große Geist nicht hier, so wärt ihr alle nun gar übel von mir bedient worden! merkt es euch aber, daß, so ihr mich noch einmal störet in meiner Ruhe, es euch ganz übel ergehen wird!“

07] Hierauf verschwand der Geist plötzlich, und die Weiber durften nichts reden mit ihm und hatten auch den Mut nicht dazu.

08] Ich aber fragte sie und sagte: ”Nun, wie seid ihr zufrieden mit eurem Mentor?“

09] Sagten die Priesterinnen: ”O Herr, wahrlich, der hätte füglich in seiner dummen Ruhe verbleiben können! Wenn jenseits seine Gesellschaft ihm völlig gleicht, so werden sie an ihrer Lebensvollendung noch sehr lange zu tun haben. Der ist ja ganz entsetzlich grob und roh! Bei seinen Lebzeiten im Hause unserer Eltern war er der bescheidenste und sanfteste Mensch, und nun als ein Geist ist er des glühendsten Zornes voll! Wie ist denn das möglich? Hatte er denn auf dieser Welt eine andere Seele?“

10] Sagte Ich: ”Oh, das wohl nicht, - aber auf der Welt verbarg aus äußerer Klugheit seine Seele ihr eigenstes Ich und zeigte sich mit Hilfe ihrer Leibesglieder ganz anders, als sie innerlich war; aber jetzt in ihrer Nacktheit geht das durchaus nicht mehr. Denn jenseits kann keine Seele sich anders zeigen, als wie sie ist aus- und inwendig; und so konnte euer Mentor sich euch nun auch nicht anders zeigen, als wie er ist, und wie er eigentlich auch in sich gegen euch allzeit gesinnt war. Seine Bescheidenheit und seine Sanftmut waren nur ein Spiel seiner Außenmiene, innerlich aber war es ganz anders!

11] Darum verlangt in der Folge ja nicht mehr irgend einen Geist zu eurer Belehrung, sondern lebet nach Meiner Lehre, daß ihr dadurch fähig werdet, mit Meinem Geiste in den vollen Lebensverband zu treten, - dann werdet ihr solcher Geister harte Belehrung leicht entbehren können!“

12] Damit waren die Weiber nun auch völlig zufriedengestellt und verloren alle Sehnsucht, je irgendwann mit einem solchen Mentorgeiste zusammenzukommen.

13] Hierauf aber empfahl Ich dann allen, sich nun zur Ruhe zu begeben, was denn auch alle sogleich taten. Ich und die Jünger taten dasselbe, und wir nahmen unsere Ruhestühle ein.

14] Die Nacht verging bald, und wir machten uns auf die Füße. Als wir den Saal verlassen wollten, da kam uns auch schon Jored entgegen und bat Mich, aufs bald bereitete Morgenmahl zu warten.

15] Ich aber sagte: ”Gib uns nun nur etwas Brot und Wein, und wir werden dann gleich abziehen, auf daß uns nicht die Priester mit ihren Weibern, die bald kommen werden, noch hier antreffen!“

16] Das geschah sogleich. Wir nahmen Brot und Wein und zogen dann gleich ab, nachdem Ich zuvor noch Joreds Haus und seine Leute alle gesegnet hatte.



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 6  |   Werke Lorbers