Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 36


Jesu Abfahrt von Kis und Ankunft beim Wirte des Lazarus.

01] Auch Meine Leibesmutter Maria sagte bald darauf zum Judas Ischariot: ”Wenn du so fortfährst und nimmer änderst dein Gemüt, dann wird dein Ende ein Grauen sein für viele und wird im Angedenken bleiben bei den Menschen bis uns Ende der Welt. Daher nimm dich in der Zukunft wohl in acht, daß du bestehest vor den Augen des Herrn! Ich habe von dir noch nie einen guten Traum gehabt und sehe nun auch den Grund ein. Darum noch einmal gesagt: Sieh zu, daß du bestehest vor den Augen des Herrn!“

02] Diese Worte faßten alle Jünger tief in ihr Herz.

03] Nach dem Mahle besuchten wir noch das Haus der Maria und ihre von Kisjonah ihr eingeräumte Besitzung. Alles war in der schönsten Ordnung. Auch war eine kleine Schule erbaut, in der die Mutter den dürftigen Kindern in allerlei nützlichen Dingen Unterricht erteilte und so die Zeit recht vielfach nützlich zubrachte und darum von allen Menschen des Ortes und der Umgegend sehr geliebt und geachtet ward. Sie heilte dadurch auch viele Kranke, daß sie ihnen in Meinem Namen die Hände auflegte oder über sie betete. Und so war sie denn auch ein Segen für diese Gegend und war dem Kisjonah ein wahres Kleinod.

04] Am nächsten Tage als an einem Donnerstage, noch gut bei drei Wochen vor Ostern, empfahlen wir uns bei Kisjonah mit dem Versprechen, ihn bald wieder zu besuchen. Er ließ sogleich eines seiner besten Schiffe herrichten, das wir nach dem Morgenmahle alsbald bestiegen und dann bei gutem Winde abfuhren. Kisjonah, Philopold und Maria aber gaben uns das Geleite über das Meer bis an das Ufer des Galiläischen Meeres an der Stelle, wo der Jordan dasselbe verläßt und sich dann links dem Toten Meere zuwendet durch ein langes und stark nach Osten hin gebogenes Tal. Von da geht man dann auch guten und wohlgebahnten Weges hinauf nach Jerusalem, von welchem Wege aber heutzutage freilich wohl nichts mehr zu entdecken ist, wie von all den Orten am Galiläischen Meere, das heutzutage auch schon gut um ein starkes Dritteil kleiner geworden ist.

05] Am Landungsplatze war bloß ein Mauthaus, bei dem man einen kleinen Zoll zu entrichten hatte, aber nur dann, so man etwas zum Verkaufe mittrug oder - führte. Wir stiegen da ans Land, segneten die uns Begleitenden und setzten unseren Weg schnell fort, ohne irgend eine Rast zu nehmen, und erreichten so ziemlich spät in der Nacht das Haus unseres bekannten Wirtes, der noch auf war, da einige Gäste bei ihm waren.

06] Als wir da ankamen und der Wirt uns erkannte, da ward er voll Freude und setzte gleich sein ganzes Haus in

Bewegung, um uns zu versorgen; denn wir hatten seit frühmorgens nichts mehr genossen. Auch unsere Glieder waren von der weiten Fußreise müde, und das Bedürfnis für Ruhe war ihnen sehr fühlbar geworden. Während der Wirt durch seine Leute für uns ein Nachtmahl bereiten ließ, erzählte er uns gar manches, was sich in Meiner Abwesenheit alles zugetragen hatte, - unter anderem auch, daß der gute Lazarus einen ganz ernsten Auftritt mit den Templern zu

bestehen hatte wegen der Arbeiter, die Ich ihm aus Bethlehem verschafft hatte.

07] (Der Wirt:) ”Die Templer kamen gleichfort hin und gaben sich alle Mühe, die Arbeiter des Lazarus auf ihre Seite zu bringen; allein die Arbeiter begegneten den Templern mit Drohungen, so sie keine Ruhe von ihnen zu gewärtigen hätten. Auf das wurden die Templer stutzig und beschuldigten Lazarus, daß er seine Arbeiter heimlich gegen sie aufgewiegelt habe, und machten darum eine förmliche Anklage beim römischen Landpfleger. Dieser berief den Lazarus zu sich und befragte ihn um den wahren Sachverhalt und verhörte hernach auch alle die Arbeiter, und zwar jeden für sich allein. Aber da stellte sich die Sache also heraus, daß Lazarus samt seinen Arbeitern von aller Schuld freigesprochen ward und den Templern geheim bedeutet wurde, dem Lazarus, der nun ein Ehrenbürger Roms sei, seine Diener in Ruhe zu lassen, widrigenfalls er genötigt wäre, dem Lazarus zu seinem Schutze eine gute Anzahl Soldaten zur Verfügung zu stellen. Das wirkte, und Lazarus hat nun schon bei sechs Wochen lang volle Ruhe von seiten der Templer. Ob sie ihm aber gerade innerlich ganz besonders geneigt sind, das bezweifle ich sehr, obwohl sie ihm ins Gesicht recht freundlich sind und ihm versichern, daß sie nur gegen seine Arbeiter und nicht gegen ihn die für sie bedrohliche Sache vor den Landpfleger gebracht hätten. Und so lebt Lazarus wenigstens zum Scheine auf einem guten Fuße mit den Templern“

08] Sagte Ich: ”Ich wußte es wohl, daß es also kommen werde; aber es hätte auch noch anders kommen können, wenn die Sache noch um ein paar Wochen länger angedauert hätte. Denn da wäre es zwischen den Arbeitern und den Templern zu ernsten Tätlichkeiten gekommen, die Ich vorausgesehen habe, und darum Ich auch durch Meinen Willen die Sache eben also geleitet habe, wie sie gekommen ist, und das war gut. Die Templer haben nun freilich einen heimlichen Groll auf den Lazarus; aber der hat nichts zu bedeuten, denn sie haben auch einen Groll auf alle Römer und Griechen und auf die Essäer, Sadduzäer und Samaritaner. Aber all dieser ihr Groll ist dem eines sehr törichten Menschen gleich, der auf einen großen Strom beinahe wütend zornig ward, weil er über ihn keine Brücke fand, über die er das jenseitige, schöne Uferland hätte erreichen können. Der Strom blieb Strom trotz des großen Zornes des törichten Menschen. Und wahrlich, geradeso geht und steht es mit dem Grolle und Zorne der Templer! Es ist ein Sich-Krümmen und - Sträuben eines Wurmes im Staube gegen die Tritte der vorüberziehenden Kamele. Darum lassen wir diese Sache nun ganz gut sein, und du, lieber Freund, sieh nach, ob wir bald zu einem Nachtmahle kommen werden!“



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