Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 224


Azionas Frage nach dem Leben der Seele nach dem Tode.

01] (Aziona:) ”Aber da wir nun so recht gemütlich beisammensitzen bei Brot und Wein, so möchte ich denn doch aus Deinem Munde, o Herr, vernehmen, wie es mit dem Seelenleben nach dem Abfalle des Leibes steht!

02] Man hat nach den Sagen fast aller sogenannten Götterlehren stets mit wenig Varianten einen zweifachen Zustand - als nämlich bei uns, sage, Heiden -: ein Elysium, allwo gute und würdige Seelen in einer unbeschreiblichen Wonne ewig fortleben, und dann einen Tartarus, wo die schlechten und bösen Seelen mit allerlei unerhörten Plagen und Martern eben auch ewigfort gepeinigt werden.

03] Die Juden haben ihren Himmel und ihre Hölle, was alles gewisserart ganz dasselbe ist wie bei den Heiden das Elysium und der Tartarus. Ebenso haben unter gewissen Formen, Namen und Abweichungen die Indier ein zweifaches Allmachtswesen, ein gutes und ein böses. So sind die elysäischen Götter alle gut und die des Tartarus alle böse.

04] Und bei den Juden gibt es einen höchst guten und weisesten Jehova und zu seinen Diensten Myriaden von ebenso guten Geistern, die da 'Engel' genannt werden und bereit sind, dem Menschen die besten Schutzdienste zu leisten; dem guten, allmächtigen Jehova und seinen Engeln schnurgerade gegenüber gibt es aber dann auch einen nahe nicht minder mächtigen Satan, auch 'Leviathan' genannt, und ihm zur Seite eine zahllose Menge der allerbösesten Geister, die man 'Teufel' nennt.

05] Es ist zwar der gute Jehova in einem fort bemüht, die Menschen gut zu machen und an sich zu ziehen. Aber es hilft ihm das nicht gar zu besonders viel; denn der Satan versteht sich besser darauf, die Seelen für sich zu fangen, und treibt dem guten Jehova stets Scharen auf Scharen ab. Wohl drohe der gute Jehova dem Satan in einem fort mit allerlei Strafen und Gericht; aber dazu lache der Satan stets und tut dennoch, was er will, - Nun, Herr, was soll man von solchen Sagen halten? O Herr, gib uns darüber einen richtigen Aufschluß!“

06] Sagt vor Mir noch Epiphan: ”Da sehe man einmal unsern Direktor Aziona an! Er ist wahrhaft denn doch noch gescheiter als wir alle! Wir haben nun schon um so manches gefragt, und dieser wichtigste Lebenspunkt ist nur ihm eingefallen! Ja, Herr und Meister, solche Dinge habe ich selbst in allerlei Schriften schon vielmals gelesen und habe mir auch allzeit mein gutes Teil dabei gedacht! Entweder haben die sonst in vieler Hinsicht weisen Alten alles, was sie wußten, in einer für uns unverständlichen Bildersprache niedergeschrieben, oder sie haben gleich den Kindern und Narren bloß rein nach ihrer noch höchst unkultivierten Phantasie gefabelt und gefaselt.

07] Ich als ein ganz einfacher Mensch von beschränktem Verstande, mit einem - wie man sagt - menschlich guten Herzen versehen, kann mir wohl vernünftigerweise ein jenseitiges Fortleben der Seele, weil sie einmal entweder zufällig gut oder sicherer schlecht zu leben begonnen hatte, nur also vorstellen, daß es wenigstens bis zu einem gewissen, möglichst höchsten Grade der Vollendung sich fortwährend in einer Progression (Weiter- bzw. Höherentwicklung) befindet, und daß es für ein hier schon aus mannigfachen Ursachen und Gründen schlecht begonnenes und sicher noch schlechter beendetes Leben jenseits nur weise und entsprechend zweckmäßige Korrektionen gibt, damit auch eine hier ihr Leibesleben schlecht durchgeführt habende Seele dort, wenn auch später, zu einem besseren Erkennen ihrer selbst und eines wahren, allerhöchsten Gottwesens und auch ihrer wahren Lebensverhältnisse und Pflichten gelange.

08] Aber für ein kurzes, leider schlecht durchgeführtes Leben dort dann ewige Strafen in einer unbeschreiblichsten Härte und allerunmenschlichsten Schärfe zu erleiden und zu erdulden bekommen, und das rein zu gar keinem anderen Zwecke, als daß sich ein allmächtiger Gott an dem ohnmächtigsten Wesen ewig seine nimmer endende Rache kühle, - nein, das kann ich mir von einem Gott, wie Du, o Herr, wenigstens für uns doch offenbar einer bist, auch in einer bösesten Fieberhitze, die schon an den derbsten Wahnsinn grenzt, dennoch nicht träumen lassen!

09] Ein Löwe ist doch sicher eine sehr böse Bestie, desgleichen eine Hyäne, ein Tiger, ein Wolf oder ein Bär; aber sie können dennoch gezähmt werden und werden dann oft Wächter der Menschen und somit nützliche Geschöpfe. Lassen sich aber Ungetüme der erwähnten Art noch bändigen und zu etwas Nützlichem abrichten, warum nicht eine sehr oft ohne ihr eigentlichstes Verschulden schlecht gewordene Seele?! - Also, liebster Herr und Meister, sage es uns, wie es denn aussieht mit den sonderbaren Dingen und Verhältnissen, um die Aziona weislichermaßen Dich gefragt hat!“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 5  |   Werke Lorbers