Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 33


Der Gott der Naturphilosophen.

01] (Roklus:) ”Wäre nun irgendein höchst weiser Gott der Schöpfer des Baumes und seines Fruchtansatzes, so würde er doch sicher ökonomischer zu Werke gehen, weil denn eine weise Ökonomie doch auch in die Sphäre der Weisheit gehört! Aber aus dem oft höchst unwirtschaftlichen anfänglichen Ansatze der Dinge leuchtet ja doch mehr als klar hervor, daß die aus den rohen Naturkräften in ihrem gegenseitigen, sich zumeist auf dieselbe Art stets wiederholenden Kampfe hervorgehenden Dinge in einer Unzahl angesetzt werden, von der dann nur so viele zur Vollendung gelangen, als wieweit die streitenden Kräfte sich gegenseitig nicht zum Schweigen gebracht haben; denn mit solchem Schweigen hört die wirkende Ursache des Werdens und Erhaltens auf und mit ihr notwendig das hervorgebrachte Werk selbst. Insoweit aber der einmal angefangene Kampf sich noch forterhält und fortwährt, wird auch sein Werk mit ihm fortbestehen, gedeihen und zu einer bestimmten Reife gelangen.

02] Würde eine ihrer selbst und jeder ihrer Handlungen klarst bewußte Gottheit mit aller Weisheit und mit aller der beharrlichsten Willensfestigkeit auch also handeln können? Ich sage: Nein, das müßte ihr noch um vieles unmöglicher sein, als so ich mir einen allerweisesten Herrscher denken sollte, der mit dem größten Fleiß und Kostenaufwand Städte und Paläste erbauete, um sie hernach wieder übern Haufen zusammenzuschmeißen, und der es so treiben würde fort und fort! Würde es da wohl noch irgendeinen noch so blöden Menschen geben auf der Erde, dem es einfiele, ihn weise zu nennen?! Nun soll aber der denkende und vielerfahrene Mensch einen Gott weise nennen, der dasselbe in einem noch viel komplizierteren Maße tut, der Werke von höchster innerer organischer Vollendung zum größten Teile bloß darum ins Dasein ruft, um sie gleich wieder zu verderben und zu vernichten! Nein, das stelle sich vor, wer sich in der großen Beschränktheit seiner Erkenntnisse und Erfahrungen so was in seiner großen Blindheit vorstellen kann; mir ist das unmöglich!

03] Beim höchst weisesten Gotte muß zwei und zwei so gut die Summe vier geben wie beim im Rechnen kundigen Menschen. Sagte ein irgend bestehender Gott aber: "Du, mein lieber Mensch, bei mir ist zwei und zwei fünf, auch sieben!", so würde ich selbst zu solch einem Gotte sagen: "Entweder bist du ein Narr, oder es beliebt dir, mich für einen zu halten; denn mit solch einer Rechnungskunde wird sich von dir schwer eine ganze Welt erschaffen und erhalten lassen! Eher wird ein Blinder einer der berühmtesten Kunstmaler, als bis du mir mit solcher deiner Weisheit den schlechtesten Pilz dem Erdboden entlockst!" Wir Griechen hatten einen Maler namens Apelles, der malte Menschen und Tiere derart naturgetreu, daß die Natur, man konnte sagen, übertroffen war. Nun, dieser berühmte Maler tat gewiß keinen Strich umsonst, sondern hat jeden gar wohl berechnet; wie viele Striche aber macht solch ein weisest sein sollender Gott, bei dem aus ganz besonderen, weisen Gründen zwei und zwei auch sieben sein kann oder gar muß, umsonst!

04] Da steht oft im Frühjahre alles so schön und hoffnungsreich! Die Menschen freuen sich schon auf eine gute Ernte, um ihre Arbeit und Mühe belohnt zu bekommen. Sie danken schon im voraus dem unsichtbaren Wesen, das sie nach ihrem ihnen von Kindheit an eingepflanzten Glauben als den allmächtigen Gott oder auch als mehrere Götter anbeten. Aber gerade ein paar Wochen vor der Ernte kommt ein gewaltigster Sturm und verheert ein ganzes Land derart, daß die guten Menschen nicht so viel von der angehofften Ernte bekommen, als sie hinter einem Nagel verbergen könnten! Das ist eine Erscheinung, die sich auf der Erde, soweit wir sie kennen, alle Jahre sicher in den verschiedensten Ländern regelmäßig bald hier und bald dort wiederholt.

05] Nun eilen die blinden, abergläubischen Schafe von Menschen zu ihren bodenlos habgierigen Priestern und fragen diese, was sie denn doch verschuldet hätten vor Gott oder vor den Göttern, daß diese sie gar so hart heimgesucht hätten! Steht den Priestern wohlbekannt das Volk so da, daß diese Gesetzgeber an Gottes Statt durchaus nicht gegen die gesetzliche und also von den Göttern geforderte Lebensweise etwas einzuwenden haben, dann nehmen die Priester ein ganz gutmütiges und mitleidiges Gesicht an und vertrösten die armen Schafe, so gut sie's nur können und mögen, ermahnen sie mit gar sanften Worten zur Geduld und erklären ihnen auch so eindringlich als möglich, daß Gott dadurch bloß ihre Geduld, die Stärke ihres Glaubens und die zufriedenheitsvolle Ergebung in seinen Willen, ihretwegen selbst, auf eine Probe des ewigen Lebens nach des Leibes Tode gestellt habe!

06] Den weinenden Juden wird allzeit bei solchen Gelegenheiten der stark mythische Hiob vorgehalten, was eine recht gute Fabel ist; und für die Heiden gibt es in ihren Religionsbüchern auch eine Menge solcher die Traurigkeit der armen Völker niederschlagenden Anekdötchen. Mit solchen Vertröstungen kehren die Völker dann wieder ganz getröstet und gewisserart vergnügt nach Hause zurück und ergeben sich ganz voll der Hoffnung auf bessere Zeiten, und daß sie Gott darum doch nicht werde ganz zugrunde gehen lassen!“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 5  |   Werke Lorbers