Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 28


Die indische Priesterschaft.

01] (Roklus:) ”Diese Antwort ärgerte mich, einen römischen Bürger, und ich sagte zu ihm: "Freund, würdest du mir auch dann also antworten, wenn ich an der Spitze von zehnmal hunderttausend Kriegern mit schärfster Miene auf Leben und Tod diese Frage gestellt hätte und dir geboten haben würde, alle diese armen Faune von Büßern augenblicklich ihrer Buße zu entheben?" Hier stutzte der fromme Mann ein wenig, sah mich mit einem sehr fragenden Blicke an und schien sehr nachzudenken, was er mir auf diese Frage antworten solle.

02] Ich aber sagte zu ihm mit einem ganz ernsten Gesicht: "Ja, ja, betrachte mich nur, damit du mich später an der Spitze eines mächtigsten Kriegsheeres desto eher und leichter erkennen wirst, wenn ich die böse und feste Burg eures grausamsten Gottes und seines Oberpriesters angreifen und zerstören werde!" Da raffte sich mein vorher gar so freundlicher Seelenhirte zusammen, machte ein grimmiges Gesicht und sagte zu mir: "Du irrsinniger Sterblicher, eher zerstörest du den Mond denn Lamas festeste Burg! Aber wo steht dein Heer?"

03] Sagte ich: "Das werde ich dir nicht auf die Nase binden! Es bedarf aber nur eines Winkes von mir, und du böser Mensch wirst es dann schon noch früh genug erfahren, wo sich mein Kriegsheer aufgestellt hat! Ich sage dir: Wenn du mir nun über den Lama und über seinen Oberpriester und über euren Verband mit ihm und den Grund dieser schändlichsten Menschenmißhandlung nichts mitteilst der vollsten Wahrheit gemäß, so laß ich dich ergreifen und dich martern mit allem, was mir meine Phantasie eingeben wird, zwanzig Jahre lang, damit auch du es verkosten magst, wie es diesen armen Büßern zumute sein muß unter solchen unerhörten Qualen und Martern!"

04] Jetzt sah der fromme Mann, daß mit mir allenfalls kein Scherz zu treiben wäre, und fing an, obwohl sichtlich ungern, mit der Wahrheit herauszukommen, aber wohl mit der Vorbemerkung und Bitte, daß er dann mit mir fortkomme, da er sonst seines Lebens nicht mehr sicher wäre, was ich ihm denn auch zusagte, worauf er gleich also auszukramen anfing:

05] "Es gibt bei uns wohl eine Schrift, die noch von den Erzvätern dieser Erde herrühren soll. Die Verfertiger derselben sollen nach dem Geheiß des höchsten Gottes, dessen rechten Namen nur der Oberpriester kennt, ein gewisser Kienan, Jared und Henoch sein. Auch vom Nohai und Mihihal sind gedehnte Berichte im großen Weltbuche der Bücher vorhanden; aber wir kennen deren Inhalt nicht und können auch nie einen Blick hineintun, weil darauf die qualvollste Todesstrafe gesetzt ist.

06] Es hat von uns Unterpriestern nie je einer den Lama gesehen! Man kann schon von sehr viel Gnade und Glück reden, so man im Leben nur einmal des Lama Oberpriester zu Gesichte bekam. Vom Lama selbst ist schon gar keine Rede! Der Oberpriester hat Kenntnis von den Lebensverhältnissen aller seiner Untertanen und aller der ihm untergeordneten Fürsten, mit denen er also gebietet wie sonst ein Herr mit seinen Dienern. Sie müssen ihm in allem, was er will, gehorchen, ansonst kostet es ihn bloß ein Wort an seine Völker, die an ihn blindlings und allerfestest glauben und alles Wohl und Wehe einzig und allein nur von ihm erwarten, und diese erheben sich und bringen alle die Fürsten mit der größten Freude von der Welt um, weil sie sich dadurch Lamas höchstes Wohlgefallen aneignen würden. Das wissen die Fürsten recht genau und tun demnach aus eigenem Interesse dem Oberpriester alle erdenklichen Ehren an und opfern ihm jährlich große Summen Goldes und Silbers und bereichern ihn noch obendrauf mit den schönsten Herden.

07] Diktiert er einem oder dem andern eine Leibesbuße, von der auch nicht ein Fürst ausgenommen ist, so können die Fürsten dieselbe entweder mit Gold und mit den kostbarsten Edelsteinen und Perlen lösen, oder sie können bittlich um die Bewilligung einkommen, der zufolge dann jemand anders, wenn er ein ganz frommer Mensch ist und noch nie eine Buße zu verrichten bekam, für einen Fürsten eine Bußwirkung als für den Fürsten gültig übernehmen kann, so er will; denn das ist des frommen Menschen ganz freiem Willen überlassen, wie auch die Bestimmung der Stellvertretungsgebühr, die bei solchen Gelegenheiten nie gar zu gering ausfällt. Denn dergleichen fromme Stellvertreter holen sich schon vorher bei den Bußverkündern des sichern Rates und können die einem Fürsten diktierte schmerzlichste Leibesbuße in eine beliebige leichtere umgestalten, die vom Oberpriester Lamas als für den Fürsten gültig angenommen wird, so er dem Bußsubstituten eine genügend große Summe dafür entrichtet hat, von welcher der jeweilige Substitut (Stellvertreter) zwei Drittel an uns Priester abzuliefern hat.

08] Es ist bei den Bußverhängungen überhaupt diese geheimgehaltene Norm anzunehmen, daß die Bußen höchst selten über die armen Menschen verhängt werden; und werden sie schon verhängt, so gehören sie schon allzeit den allerleichtesten Bußarten an. Große und schwere Bußen werden gewöhnlich nur den Reichen und Wohlhabenden auferlegt, die sich entweder zum Teil oder aber auch ganz von der Bußübung loskaufen können, so sie gerade wollen. Ganz aber kauft sich außer den Fürsten schon selten jemand los, weil so ein voller Loskauf ihn seines ganzen Vermögens berauben würde. Der Geizige verrichtet die Buße dann schon selbst und tut sich eher die größten Martern an, ehe er sein Gold und Silber ausliefern würde. Hat der, dem eine Buße diktiert ward, etwa eine sehr schöne Tochter oder auch einen sehr schönen und wohlgebildeten Sohn, so kann er diese an der Stelle des Goldes und Silbers dem Oberpriester zum Opfer bringen, freilich mit einer kleinen Mitgift und wohlgeschmückt und reichlichst gekleidet; denn dergleichen kann der Oberpriester und seine zahllos vielen Diener auch gut gebrauchen und zu allerlei Dienst verwenden. Denn er besitzt ein ungeheuer großes Ländergebiet für sich zumeist in den Bergen und Höhen, die eine solche Ausdehnung haben, daß ein Mensch jahrelang umherzugehen hätte, um alle die Ländereien gesehen zu haben, die dem Hohenpriester als ein Geschenk vom Lama gehören."“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 5  |   Werke Lorbers