Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 8


Die religiösen Verhältnisse in Rom zur Zeit Jesu.

01] Sagt Cyrenius: ”Mein Kindchen, du hast schon ganz recht; es steht in Rom, natürlich nur populärerweise, mit dem Pontifex Maximus schön gerade also, und es läßt sich vorderhand auch nichts daran ändern! Aber ich kann dir auch ganz gut die Versicherung geben, daß nur der allergemeinste und aller höheren Bildung lose Pöbel noch so einen halben Glauben daran hat; vom besseren Volksteile glaubt wohl niemand mehr daran, und es ist darum mit uns Römern schon immer noch etwas zu machen.

02] Es wird des niedersten Volkes wegen dereinst die Verbreitung dieser reinst göttlichen Wahrheiten wohl manchen unliebsamen Kampf herbeiführen, aber auch Bekenner, die nach echt römischer Sitte Gut, Blut und Leben für diese Lehre mit Freuden einsetzen werden. Denn nicht leichtlich gibt es irgendein Volk auf der Erde, das sich vor dem Tode noch weniger fürchtet als eben die Römer! Ist ein wahrer Römer einmal für etwas sehr eingenommen, so setzt er auch allzeit sein Leben daran! Das tut ein anderes Volk nicht, dessen kannst du ganz versichert sein!

03] Unsere Priester sind nun gerade ein fünftes Rad am Wagen, und ihre Volksfeste und Predigten dienen nur noch zur Belustigung des Volkes. Mit den Sitten kehrt sich niemand mehr daran. Dafür sorgt unsere alles umfassende Rechtslehre, die ein Auszug von den besten und weisesten Philosophen ist, die als Menschen irgendwo und irgendwann diese Erde betreten haben.

04] Der P.M. wird vom Staate aus nur des gemeinsten Volkes wegen erhalten und ist in seinem vormals freien Werken sehr beschränkt worden. Ja, vor etwa ein paar Jahrhunderten ging es noch ganz rar zu; da war der P.M. wohl sozusagen eine Art Gott unter den Menschen! Er für sich war stets ein sehr wissensreicher Mensch und mußte es sein, weil er sonst nicht leichtlich zu solch höchstem Amte hätte gelangen können. Er mußte bewandert sein in den Mysterien Ägyptens und mußte völlig bekannt sein mit allen Orakeln und ihren Geheimnissen. Auch mußte er ein vollendeter Magier sein, worüber er in einem geheimsten Kollegium vor den ältesten Patriziern Roms stets eine strengste Prüfung ablegen mußte. Hat er alle die erforderlichen Eigenschaften besessen, so wurde ihm das Pontifikat erteilt mit allen seinen Rechten, Vor- und Nachteilen.

05] Nun konnte er freilich so manches unternehmen dem Volke gegenüber, mußte aber geheim vor den Patriziern stets den gebührenden Respekt haben und auch tun, was diese verlangten. Wollten diese Krieg, so mußte er seine prophezeilichen Sachen stets so einrichten, daß daraus das Volk die Notwendigkeit des Krieges aus dem Willen der Götter ersah; aber die eigentlichen Götter waren dennoch nur die Patrizier des Reiches und mit ihnen die ersten und gebildetsten Bürger, Künstler und Dichter, die zuerst von der Idee ausgingen, daß man nur der Phantasie der Menschen eine zwar reichhaltige, aber dennoch bestimmte Richtung geben müßte, um sie vor den schmählichsten Abirrungen zu bewahren.

06] Denn ein jeder Mensch hat eine Naturphantasie. Wird diese verwahrlost, so kann durch sie aus dem edelsten Menschen eine reißendste Bestie werden; wird aber seine Phantasie geregelt und auf edlere Formen hingeleitet, unter denen sie sich ganz geordnet zu bewegen beginnt, so wird sie auch selbst edlere Formen zu schaffen anfangen, in ein reineres Denken und Trachten übergehen und für das Beste ihrer inneren Schöpfungen den Willen beleben.

07] Und so ist also die ganze Götterlehre nichts als ein stets mehr und mehr geordnetes Phantasiegebilde, zur Regelung der gemein menschlichen Phantasie ausgedacht und soviel als möglich mit allen humanen Mitteln praktisch ins ersichtliche und wirkende Werk gesetzt worden. Für uns weise und kundige Patrizier aber legte sich von selbst die leicht begreifliche Notwendigkeit auf, daß wir das zu sein scheinen mußten, als was seiend wir das Volk haben wollten.

08] Wie es aber damals war, also ist es auch jetzt noch, nur mit dem Unterschiede, daß nun auch schon das Proletariat in vieles eingeweiht ist, in was ehedem nur wir Patrizier eingeweiht waren, und darum ans ganze Pontifikat ganz verzweifelt wenig mehr glaubt. Die meisten glauben wohl an ein höheres Gottwesen, viele aber glauben an gar nichts mehr, und ein gebildeterer Teil sind Platoniker, Sokratianer und sehr häufig Aristoteliker.

09] Jene Priester aber, die dir den P.M. beschrieben haben, sind zum Teil ihrer Art nach oft wirklich so dumm, daß sie das alles auf ein Wort glauben, was ihnen eingebleut wurde; oft aber sind sie ganz fein abgedrehte Stricke, die vor dem Volke einen ganz entsetzlichen Lärm schlagen und tun, als spielten sie mit den Göttern gleich alle Tage am persischen Schachbrette! Aber für sich glauben sie nichts als bloß die Worte des Epikur, die ungefähr also lauten: Ede, bibe, lude! Post mortem nulla voluptas; Mors enim est rerum linea. (d.h.: iß, trinke, spiele! Nach dem Tode gibt es keine Begierden mehr; denn der Tod ist das Ende der Dinge)

10] Wenn du, meine sonst allerliebste, für dein Alter wunderbar weise Jarah, uns nach den zwei Unterpriestern schätzen möchtest, da tätest du uns sehr unrecht; denn wir Römer sind genau also, wie ich uns dir nun beschrieben habe. Alles andere kann nur eine verbrannte Aussage eines Laien sein, der das Wesen Roms so wenig kennt, als du es vor dem gekannt hast, was ich als ein Mitbeherrscher Roms nun enthüllt habe. Da du aber nun solches weißt, so mußt du uns Römer schon ein wenig nachsichtiger beurteilen und behandeln! Was meinst du, ist meine Anforderung an dich gerecht oder nicht?“



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