Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 224


Vom Hungern nach geistiger Speise.

01] (Der Herr:) ”Der gewöhnliche Weltmensch kann sich von dem wahren und höchsten Lebenswerte freilich nichts träumen; denn, wenn nur für seinen Bauch gehörig gesorgt ist, was kümmern ihn dann alle die andern Wichtigkeiten des Lebens?! Er hat ja in Hülle und Fülle zu essen und auch zu trinken, wenn es ihn dürstet, hat eine schöne und bequeme Wohnung, eine weiche Lagerstatt, feine Kleider und noch eine Menge anderer Lebensannehmlichkeiten, und hat auch keinen Mangel an schönen und üppigen Maiden und andern Ergötzlichkeiten! Was sollte solch einem Usurpator der Erdengüter noch abgehen?!

02] Die armen Schlucker müßten freilich zu allerlei Weisheit und Erkenntnissen, die ihnen ihre stets hungrige Einbildung verschaffte, ihre Zuflucht nehmen, um damit hie und da irgendeinen Reichen für sich zu gewinnen, von ihm zu leben und ihm dafür etwas vorzumachen; aber an allem dem sei nichts als Wahres anzunehmen als die Not des hungrigen Weisen und die Trägheit seiner Hände, und dass er sich darum lieber mit seiner mühelosen Einbildung und Phantasie über irgendeinen Gott und übers ewige Leben der Menschenseele seinen hungrigen Magen stopft als mit irgendeiner mühevolleren Arbeit seiner Hände!

03] Seht und erkennt aus diesem lebenstreuen Bilde, ob einem mit den irdischen Lebensgütern wohlversehenen Menschen irgend etwas abgeht! Was liegt ihm an der allerwichtigsten Selbsterkenntnis, ohne die eine wahre Gotteserkenntnis nicht denkbar möglich ist? Wird er das, was ihm doch sicher im höchsten Grade mangelt, je einmal zu suchen anfangen? Ganz sicher nicht; denn er leidet ja keinen Hunger und keinen Durst, was doch die vermeintlichen Hebel sind, durch welche die arbeitsscheuen, armen Schlucker zur Weisheit und Wissenschaft angespornt werden!

04] Wie könnte er denn sonst wahrnehmen, was ihm zum wahren Leben abgeht? Nur Hunger und Durst sind - nach des wohlversorgten Prassers Meinung - die einzigen Beweggründe zu irgendeiner Tätigkeit; wer sonach weder Hunger noch Durst zu leiden hat, der brauche sich gar nicht nach irgendeiner Weisheit umzusehen! Kurz, wem nach seiner Meinung nichts abgeht, der hat auch nach nichts ein Verlangen, und wer nichts verloren hat, was sollte der suchen, als hätte er etwas verloren?!

05] Also ist es auch mit einer Lehre, die vorgtragen wurde. Wer sie völlig zu verstehen wähnt, der wird sich weiter nicht näher darum erkundigen. Der Gesättigte fragt um keine Speise mehr; wenn er wieder hungrig wird, dann wird er sich freilich wieder um eine Speise umsehen. Aber was wird er tun, wenn der Speisemeister nicht anwesend ist? Wird er sich wohl selbst eine Speise bereiten können?

06] Darum seht euch alle jetzt um eine Speise um,solange der Speisemeister unter euch ist! Wenn er wieder heimkehren wird dahin, von wannen er gekommen ist, da werden viele anfangen, sich nach der rechten Speise umzusehen; aber dann wird es schwer werden, eine zu erhalten.

07] Viele von euch, die ihr nun um Mich euch befindet, sind irdisch wohlversorgt und übermäßig reich an allen irdischen Schätzen und trachten nun mit allem Eifer nach den geistigen, die nicht aus den Goldschächten der Erde ans Tageslicht gefordert werden! Sie werden euch zuteil im Übermaße nun, nur müsst ihr nicht denken, dass eine Vielheit genügt, um alles klarst einzusehen.

08] Jedes von Mir zu euch gesprochene Wort versteht ihr wohl, soweit ihr als Menschen es verstehen könnt; alles aber, was darin in einer endlosen Fülle verborgen ist, fasst ihr noch lange nicht! Ihr fragt auch nicht darum, weil ihr nicht wahrnehmt, was ihr nicht versteht! Warum nehmt ihr aber das nicht wahr, und warum hat es der Oubratouvishar an euch wahrgenommen, dass ihr Meine Erklärung nicht völlig verstanden habt? Weil sein möglichst urvollkommener Außenseelenlebensäther euren noch ziemlich unvollkommenen sehr leicht durchfühlt, wie ihr sogar bei der stockfinstersten Nacht an jemandes Haupte wahrnehmen werdet, ob er viele Haare hat, oder ob er ein Kahlkopf ist, so ihr dessen Haupt mit euren Händen betastet!

09] Bei eurer noch höchst schwachen Außenlebenssphäre fängt euer Fühlen erst dort an, wo der Leib anfängt; über diesen hinaus hat eure Seele noch kein Fünklein Gefühles!“



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