Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 149


Die geistigen Erscheinungen bei dem Unglück. Der Selbstmord des vom Tempel verfluchten Essäers.

01] (Mathael:) ”Zugleich aber fragte mich der Vater, was ich etwa noch als etwas Besonderes an dem Knaben entdecke.

02] Ich sprach auf griechisch zu ihm und sagte: "Jene beiden großen Fledermäuse haben über seiner Brusthöhle sich vereinigt, und zwar in der Gestalt eines ganz betrübt aussehenden Affen, und bemühen sich nun, von dem Leibe sich zu trennen, scheinen aber von demselben noch derart angezogen zu sein, dass es ihnen vorderhand noch nicht möglich ist, sich von dem Leibe ganz wegzumachen; aber je länger da ihre Mühe dauert, desto mehr werden sie eins, und - da, nun sind sie als ein flüchtig Wesen vom Leibe los! Das hockt und springet nun noch um den Leib, als suchte es irgend etwas!"

03] "Das wird doch nicht die Seele des Knaben sein?" sagte der Vater.

04] Sagte ich: "Ja, das weiß ich wahrlich selbst durchaus nicht! Sollte so ein verwahrloster Knabe denn im Ernste noch keine bessere Seele haben?! Nun hockt dies sonderbare Wesen beim noch blutenden zerschmetterten Kopfe und tut, als leckte es das Blut aus der großen Wunde. Es bringt aber dennoch nichts von der Stelle! Nur den leichten und ganz schwach sichtbaren Blutdampf schlürft es ein und bekommt dadurch ein etwas mehr menschliches Aussehen, - Aber nun kommen Träger, die höchst wahrscheinlich den Leichnam von der Stelle schaffen werden! Bin neugierig, ob dies Affenwesen sich auch mit bewegen wird!"

05] Es kamen in diesem Momente vier Träger mit einer ziemlich langen Stange, banden den Leichnam mit Leintüchern an die Stange, hoben ihn auf und trugen ihn von dannen.

06] Sagte ich: "Aber das Wesen bleibt und sieht um sich wie jemand in einer großen Leere, in der nirgends etwas zu erschauen ist. Uns Leibesmenschen scheint es nicht zu sehen. Nun kauert es sich an der Stelle nieder, wo der Knabe vom Baume herabgestürzt ist, und macht Miene, als wollte es einschlafen. Das muß denn doch im Ernste die Seele des Knaben sein!"

07] Sagte der Vater: "Nun, glücklicherweise geht die Bockvernichtungsgeschichte ihrem Ende zu! Nur noch die Sentenz (Urteilsspruch) über jene, die von dieser allgemeinen Reinigung als zu große und böse Sünder ausgeschlossen sind, dann wird es gar sein! Wie alle Jahre: immer eine und dieselbe Geschichte, - für mich ohne Segen, Kraft und Nutzen, und ich glaube, auch für jedermann!"

08] Darauf schwieg der Vater, hörte die Sentenzen an und ärgerte sich nicht wenig darüber, als der erste Fluch über die armen Samaritaner, dann erst über alle Heiden, über die Essäer, Sadduzäer und, so mehr leichtweg, auch über unbußfertige Blutschänder, Bruder-, Vater- und Muttermörder, Tierschänder und Ehebrecher und - mit der fürchterlichsten Sentenz - am Schlusse über die Verächter des Tempels und seiner Heiligtümer ausgesprochen ward.

09] Nach dieser durchaus nicht erbaulichen Zeremonie, bei der jeder Fluch dem Gewande des Hohenpriesters einen gewaltigen Riß zubrachte, zog sich bald alles in die Stadt zurück; nur ein Mensch, den wahrscheinlich die wohlmeinenden Fluchsentenzen etwas mehr als recht aus der Lebensfassung brachten, blieb an einem Teiche stehen, der unfern von uns lag und eigentlich ein alter, noch immer sehr tiefer, vom Jordan erzeugter Tumpf war, von dem einige Narren fabelten, als hätte sich durch dieses bei hundert Mannslängen im Umkreise habende Loch das Wasser der Sündflut von der ganzen Erde verloren in einem Jahre und etlichen Tagen. dass dieser Tumpf zwar sehr tief ist, das ist wahr, - aber ohne Grund und Boden wird er wohl auch nicht sein.

10] Es kam meinem Vater etwas verdächtig vor, wie der Mensch gar so stier und wirr von einem ins Wasser des Teiches stark vorspringenden Felsen in den schwarzen Tumpf hineinsah. Er fragte mich, ob ich etwa um jenen Mann herum oder etwa über ihm etwas Ungewöhnliches entdecke.

11] Ich sagte, wie es vollkommen wahr war: "Ich entdecke nichts, kann aber dennoch nicht leugnen, dass mir der ganze Mensch durchaus nicht gefällt! Ich glaube, dass man da gar kein irriges Prognostikon (Voraussage) stellete, so man behauptete: Der wird ehestens mit dem ganzen, höchst eigenen Leibe untersuchen gehen, wie tief etwa der Tumpf ist!"

12] Ich gebe das so getreu wieder, wie ich damals geredet habe, obwohl mein Vater es nie gerne hörte, wenn ich so bei ganz ernsten Dingen ein wenig zu witzeln anfing, - wozu ich ein ganz besonderes Talent besaß. Daher wolle Du, Herr, es hier mir auch gnädigst nachsehen, wenn ich mich hier eben jener Worte bediene, deren ich mich damals bedient habe!“

13] Sage Ich: ”Wie du redest, also ist es recht; denn also will Ich es, und also lege ja Ich Selbst dir sozusagen die Worte in den Mund! Erzähle nun weiter; alle hören dich mit aller Aufmerksamkeit an!“

14] Und Mathael begann gleich weiterzuerzählen und sagte: ”Ich aber hatte kaum das letzte Wort ausgesprochen, so hob der Mensch seine Hände in die Höhe und sagte sehr laut: "Der Hohepriester hat mich verflucht, weil ich ein Essäer ward und den Tempel verlassen habe, um zu erlernen eine andere und bessere Weisheit, die ich aber dort ebensowenig fand wie in dem Tempel zu Jerusalem. Ich aber bin reuig in den Tempel zurückgekehrt und habe gebetet und geopfert; aber der Hohepriester verwarf mein Opfer, schalt mich einen allerärgsten Tempelschänder und verfluchte mich für ewig, indem er sieben Risse in sein Kleid tat. Nun, bei der allgemeinen Reinigung, hoffte ich eine Milderung seines ausgesprochenen Fluches zu erlangen; allein vergeblich harrte ich darauf! Er bekräftigte nur noch mehr den alten Fluch und machte mich zu einem Verfluchten vor Gott und den Menschen! Ich bin also verflucht! - So sei ich denn verflucht!" - Mit diesen überlaut geschrieenen Worten stürzte er sich vom Felsen hinab in den Teich und ertrank.“



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