Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 181


Die Schöpfungsphilosophie des Philopold.

01] Philopold wendet sich darauf zum neben ihm sitzenden Kisjonah und sagt zu ihm: ”Hast du samt mir nun endlich einen rechten Begriff von einem Engel Gottes? Sieh, es war dies ja stets auch meine Behauptung, dass die Engel eigentlich keine Persönlichkeiten, sondern nur mit dem Willen aus Gott erfüllte Ideen sind und in einer bestimmten Gestalt nur dann ersichtlich, wenn solches von Gott aus als notwendig bestimmt wird. Da aber Gott wohl eine ewige Unzahl von allerlei großen und mitunter auch mehr kleinen Nebenideen haben wird, so ist es ja sicher, dass diese Ideen, wenn sie in was immer für einer Art realisiert werden sollen, mit der Macht und Kraft des göttlichen unwandelbaren Willens erfüllt sein müssen, ansonst sie nie entweder in ein wirkendes oder schon bewirktes Sein treten könnten.

02] Alle Geschöpfe, die als bleibend entweder auf eine Zeit oder auch auf immerdar sich in einer bestimmten ersichtlichen Form befinden - als etwa eine ganze Welt und alles, was sie faßt und trägt, und woraus sie besteht -, sind von Gott ausgegangene Ideen, die sich schon in einem bewirkten Sein befinden. Aber um ein bewirktes Sein zustande zu bringen, müssen von Gott auch beständig zumeist formlose, ganz frei wirkende Ideen ausgehen, die auch mit Seinem Willen erfüllt sind, aber nur um zu wirken und Formen zu schaffen, aber nicht um selbst eine Form zu sein, in der sich Kraft und Intelligenz einigten, um als solche erst gottähnlichst aus dem eigenen Zentrum auf die objektiv ausgegangenen Ideen also einzuwirken, dass sie in einer gewissen planmäßigen Ordnung zu zwecklichen Formen würden, sondern stets formlos zu sein und für alle Formen als tauglich wirkend dazusein, wie solches schon der weise Plato von der Ursprünglichkeit der menschlichen Seele behauptet hat.

03] Dieser Engel hat nun freilich wohl eine Form, aber diese Form ist eigentlich an und für sich nichts, weil nicht bleibend; aber sie steht also, wie sie da ist, dennoch nahe auf dem Punkte, von der Grundidee Gottes als ein für sich selbst daseiender großer Gedanke frei und nur von sich selbst abhängig dazustehen und in sich und für sich selbst zu wirken, teils mit dem nun getrennten, eigenen Materiale und teils mit dem aus Gott gleich fort und fort Einfließenden.

04] Darin aber scheint mir auch die große Idee der eigentlichen, wahren Kindschaft Gottes zu liegen. Denn solange eine Idee mit der Gottheit, als unisoliert, identisch ist, kann von ihr aus an keine Selbsttätigkeit und somit auch an keine Selbständigkeit gedacht werden; nur dann erst, wenn sie uns Menschen dieser Erde in allem gleichgestellt ist, kann sie auch das werden, und sein, wozu wir Menschen berufen sind.

05] Sage mir, ist meine Ansicht richtig oder nicht?!“

06] Sagt Kisjonah: ”Ja, ja, ich finde nichts unrichtig Beurteiltes darin! Freilich bin ich wohl nichts weniger als irgendein Weltweiser; aber dennoch finde ich mit meinem ganz natürlichen Weltverstande, dass du nun sehr weise geredet hast, und es freut mich, an dir einen so weisen Freund und Bruder im Herrn zu besitzen. Wir werden daheim noch vieles darüber zu sprechen haben; aber nun harre ich dennoch schon wieder auf irgendein Lebenswort aus dem Munde des Herrn!

07] Der Engel da hat wohl schon etwas angekündigt; aber es kommt noch nichts vor, und der Herr, wie ich merke, ist über unserm Weisheitsdiskurs ein wenig eingeschlafen, und es hat nun somit wenig Anschein, als würde Er nun bald über irgend etwas Seinen heiligsten Mund auftun.

08] Das weise Mädchen, das dem Kornelius soviel zu denken machte, ist auch eingeschlafen, auch der Oberstatthalter, und wie ich es nun merke, so schlummern nun mehrere an unserem Tische; aber an den andern Tischen geht es recht lebhaft zu! Mir kommt es vor, dass dieser Tisch durch des Engels und besonders durch deine Weisheitsentwicklung so schläfrig geworden ist!?

09] Weißt du, mein liebster Philopold, ich höre dich ungemein gerne an, wenn du so von übersinnlichen Dingen zu reden beginnst; aber hier in Gegenwart des Allerhöchstweisesten hättest du des Guten beinahe zuviel getan! Nun, der Engel hat uns zwar auch eine lange Rede gehalten; aber der redete rein nur aus dem Herrn heraus, und so war das gewisserart eins, ob er oder ob der Herr da Selbst gesprochen hätte. Aber als dann du zu reden begannst, so war das nur deine Ansicht, nach all dem, was du vom Engel vernommen hattest, und das, scheint mir's, hat die Schläfrigkeit an unserem Tische also hervorgerufen! - Bist du selbst nicht auch so ungefähr dieser Meinung?“

10] Sagt Philopold: ”Ja, ja, du dürftest gar zu unrecht nicht haben! Es tut mir nun auch im Ernste leid, dass ich mich von meinem Verstande so weit habe verleiten lassen; aber ich kann das Geschehene nun nimmer ungeschehen machen, obschon ich danebst doch auch der Überzeugung bin und lebe, damit keine Ungerechtigkeit begangen zu haben!“



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