Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 136


Des Markus Anklage wider den Obersten der Pharisäer.

01] Auf diese Entgegnung war natürlich der Cyrenius nicht gefaßt und wußte nun nicht, was er dem Obersten darauf für eine Einwendung machen sollte. Er berief darum den Mathael und sagte halblaut zu ihm: ”Jetzt rede du weiter; denn ich bin mit meiner Weisheit schon am Ende! Denn diese sind mit mehreren Salben gesalbt, als ich es mir anfangs vorgestellt hatte!“

02] Sagt Mathael: ”Hoher Freund! Da wird es uns wahrlich schwer werden; denn ihnen etwas zu beweisen, was sie getan hätten, wenn sich der Umstand so gefügt hätte, ist eine schwere Sache. Und hätten sie auch, was ich nicht in Abrede stellen will, heimlich die böseste Absicht gehabt, so fehlt dazu sogar der Versuch, sie zu vollbringen. Wo ist da dann erst die allein vollends strafbare Vollbringung der bösen Absicht, die sie wohl haben, aber auch gar nicht haben konnten? Was kann sich aber in einem Menschengemüte alles als Gedanke formieren, wenn dasselbe von allen möglichen Seiten bedrängt wird?!

03] So es im Herzen stürmisch tobt, da hält kein Mensch gar zu leicht eine Läuterung seiner schnell wechselnden Gedanken aus, die da wie Sturmwolken gewitterschwanger durcheinanderrennen; und hat sich mit der Zeit der Sturz im Herzen gelegt, da erinnert sich der ruhig gewordene Mensch selten völlig mehr, was alles im Sturme seiner Leidenschaften durcheinandergeflogen ist. Es mag darunter viel Verdammliches gegeben haben; welcher Gott aber, sage ich sogar, wird sich darüber zu einem Richter aufwerfen wollen?! Sind das wirklich erzgläubige Menschen, und haben sie die Furcht des Volkes aus einem und demselben Grunde geteilt, was wir so lange annehmen müssen, bis wir ihnen nicht einem Gott gleich das Gegenteil beweisen können, so muß ihnen ihre Bitte gewährt werden, vorausgesetzt, dass die Gewährung solcher Bitten bei so außerordentlichen Fällen, wie der vorliegende ist, vom Kaiser aus verordnet ist! Wir können hier nur über das, was offen vor uns liegt, ein Urteil fällen, solange wir dem nichts Haltbares entgegenzustellen imstande sind; unsere Gedanken dagegen aber können da nie als ein Gegenbeweis dienen, und so wir auch die ganze Stadt abhören, so werden wir darauf auch nicht mehr wissen, als wir jetzt wissen.“

04] Diese Worte hatte Mathael auch nur so halblaut dem Cyrenius zugeflüstert, und Cyrenius, sich hinter den Ohren kratzend, sagte zu Mir: ”Und was sagst denn Du dazu?“

05] Sage Ich: ”Meine Zeit ist noch nicht da, darum verhandelt nun nur ihr beide miteinander und mit ihnen; zieht aber den alten Markus bei, der sie samt seinen beiden Söhnen besser kennt denn ihr! Auch der Ebahl aus Genezareth kennt sie, und der Julius kennt sie auch so ziemlich. Laß diese herbeirufen, und du wirst gleich eine andere Sprache hören!“

06] Cyrenius sendet sogleich nach dem Julius, der einstweilen mit dem Ebahl auf den Berg zu den Soldaten nachsehen ging, um den noch immer sehr mächtigen Brand zu beobachten. Die beiden kamen bald, wie auch der alte Markus. Als alle die Gerufenen zugegen waren, trug ihnen Cyrenius ganz kurz die Petition (Bitte, Bittschrift) der Erzpharisäer und die Rede ihres Obersten vor, sowie auch das, was der Oberste als eine unwiderlegbare Einwendung vorbrachte.

07] Als Markus solches vernommen, verwunderte er sich hoch über die enorme Keckheit des Obersten und sagte zu ihm: ”Du nun gar so überehrlich und erzfromm dich machender Oberpharisäer! Du bist mir nun wie gerufen und gewünscht gegen alle meine schon lange gehegte Erwartung in mein großes Netz gekommen! Denke du von jetzt an bloß etwa drei Jahre zurück, welche Mühe du dir da gegeben hast, mich zu deinem Glauben zu bringen! Du sahst mir sogar die für einen alten Menschen immerhin etwas lästige und auch schmerzliche Beschneidung nach. Wenn ich mich nur mit meinem Hause zu deinem Glauben einschreiben lasse, so genüge das schon vollkommen! Du versprachst mir eine Menge Vorteile im Handel und Wandel, als ich dir dagegen einwendete, dass ich ein gewissenhafter Mann sei und die Religion meiner Väter nicht gerne mit einer andern vertausche, deren Grundsätze ich viel zuwenig kenne, und von der ich nicht weiß, welche neuen Verpflichtungen sie mir auferlegen kann. Ich sagte dir dann ganz offen, dass ich zwar nicht völlig dagegen sei, meine etwas holperichte Religion mit einer besseren zu vertauschen, nur müßte ich zuvor in das ganze Wesen der neuen anzunehmenden Religion vollends eingeweiht sein.

08] Da sagtest du aber, dass das bei deiner Religion gar nicht nötig sei; denn jede Religion sei ohnehin nichts anderes als eine Wiegenphilosophie der Kinder und müsse der Kinder wegen auch erhalten werden. Hat der Mann einmal seinen ausgebildeten Verstand, so braucht er keine Wiegenphilosophie der Kinder mehr und hält sich äußerlich nur der Kinder wegen daran; er für sich aber wäre als ein blinder Narr zu schelten, so er bei sich im Ernste etwas darauf hielte! Aber das könne denn ein Mann wie ich doch auch beurteilen, ob es nicht klüger sei, sich dem Äußern nach zu einer Religion zu bekennen, die einem die allerwenigsten Hindernisse im Handel und Wandel in den Weg lege.

09] Ich ging darauf ein und verschrieb mich samt meinem ganzen Hause zu deiner Religion. Aber bald darauf erst gingen mir die Augen recht weit auf, als ich bald von euch aus zu allerlei lästigen Steuern kondamniert (verurteilt) wurde, und ich sah es dann immer besser und besser ein, welch einen schnöden Tausch ich mit der Annahme eurer Religion gemacht hatte.

10] Von allem mußte ich euch den Zehent und von allen Früchten die Erstlinge geben. Gar oft führte ich Beschwerde darüber bei der römischen Behörde, richtete aber nichts aus; denn man rupfte es mir überall vor und sagte: 'Volenti non fit iniuria! (Dem Wollenden geschieht kein Unrecht!) Warum hast du dich als ein alter vernünftiger Römer fangen lassen? Büße nun für deine unüberlegte Dummheit!'

11] Kam ich aber zu dir und trug dir mein Elend vor, so hörtest du mich gar nicht an und sagtest stets in deinem großen Hochmute: 'Also steht es geschrieben!', und ich konnte unverrichteterdinge mit traurigem und verdrußvollstem Gesichte und Gemüte fein wieder abziehen.

12] Wollte ich von euch eure Schrift näher kennenlernen, so ward mir gesagt: 'Wir sind die Schrift und das lebendige Wort Gottes! Daher hat da niemand weiter um etwas zu fragen, sondern jeder tue das, was wir lehren und verlangen! Etwas Weiteres braucht niemand!'

13] Siehe, du altes, böses Orakel der Juden aus Cäsarea Philippi, das sind deine Worte und dein Benehmen! Und du willst dich nun auf einmal weiß waschen?! Ich schwöre es dir bei allem, was mir nun heilig ist, dass du mir nun nicht von der Stelle kommen wirst, bevor du wenigstens mir nicht jeden höchst ungerecht zugefügten Schaden wirst gutgemacht haben! Dir kann der würdevollste Oberstatthalter auf meine Verantwortung das Kreuz auf den Rücken anheften lassen, und es wird dir dadurch kein Unrecht widerfahren! - Verstanden, du altes, schlechtes Orakel?!“

14] Sagt Cyrenius: ”Ah, so stehen die Sachen?! Na, na, etwas haben wir bereits! - Nun, du weiser Herr Oberster der finsteren Volksbedrücker, was hast du dagegen einzuwenden?“

15] Sagt der Oberste: ”Kennst du Moses ganz und alle die von Gott erleuchteten Propheten?“

16] Sagt Cyrenius: ”Moses kenne ich so ziemlich; aber die Propheten kenne ich bloß dem Namen nach.“

17] Sagt der Oberste: ”Ganz gut; so gehe hin und lerne vorerst alle meine bitteren Verpflichtungen daraus erkennen und strafe mich, wenn du mir erweisen kannst, dass ich einer derselben nicht nachgekommen sei! Willst du lesen, - wir haben die Schrift bei uns als das einzige Gut, das wir an dem heutigen hohen Tage des Herrn mit uns tragen dürfen, wenn Gefahr vorhanden ist, die es zerstören könnte!“



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