Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 86


Helena, des weisen Griechen edle Tochter.

01] Hierauf tritt etwas schüchternen Schrittes die Tochter Helena zu Mir hin und sagt bittend: ”Herr, du unbegreiflich großer Meister und Heiland! O verarge es meinem alten Vater nicht; denn sieh, ich kenne ihn als seine Tochter doch schon mein ganzes Leben hindurch und kann dir ein treuestes Zeugnis geben, dass er ein guter, sanfter und sehr nachgiebiger Mann ist, und ich weiß mich nie noch zu entsinnen, dass er sogar oft ein gutes Recht, das sicher auf seiner Seite war, je vor jemandes andern Recht gestellt hätte, und war das auch vielmehr irgendein Unrecht denn ein wahres Recht. Nie noch hat er darum mit jemandem gestritten oder über irgendein ihm zugefügtes Unrecht sich geärgert und gemurret! Aber die hohen Götter ließen ihn darum auch nie sinken, und des Glückes holde Göttin war ihm stets freundlichst zugetan.

02] Darum wirst auch du, der du auch so ein wenig ein Gott zu sein scheinst, meinem Vater solche seine ausgesprochene Besorgnis ja auch nicht als irgend etwas deine Hoheit Beleidigendes aufnehmen! Solltest du aber dennoch so hart sein, so nimm mir mein Leben als Sühne für meinen Vater, den ich über alles liebe!“

03] Sage Ich zu allen Umstehenden: ”Habt ihr schon einmal ein solches Beispiel von einer Kindesliebe in ganz Israel erfahren? Wahrlich! Das ist eine Heidin zwar, aber sie beschämt ganz Israel, das doch durch Moses von Gott das Gesetz erhalten hat, Vater und Mutter zu achten, zu ehren und zu lieben!“

04] Alle sagen: ”Nein, Herr und Meister! So etwas ist in Israel noch nicht erhört worden!“

05] Sage Ich zur Helena: ”Fürchte dich nicht, Meine Tochter, denn Ich kenne deinen Vater schon gar lange und dich auch; und kennte Ich ihn und dich nicht, so wärt ihr beide in diesem bösen Meere begraben worden!“

06] Sagt Helena: ”Aber du überaus weiser, mächtiger und dennoch sehr freundlicher Meister! Wie kannst du meinen Vater und mich schon seit lange her kennen? Kennen wir dich ja erst seit einer Stunde kaum?“

07] Sage Ich: ”O Helena, da sieh hinaus, das Meer und die ganze Erde; siehe, das sind schon sehr alte Dinge, und dennoch war Ich eher denn alles!“

08] Hier erschrickt Helena und fragt Mich ehrfurchtängstlichst: ”Am Ende bist du gar der höchste Zeus selbst?“

09] Sage Ich: ”Zarteste Taube, ängstige dein Herz nicht mit leeren Dingen! Zeus bin Ich nicht, weil es in der Wahrheit nie einen Zeus gegeben hat. Aber Ich bin die Wahrheit und das Leben; die an Mich glauben, werden den Tod in Ewigkeit nicht sehen, fühlen und schmecken! - Weißt du nun, wer und was Ich bin?“

10] Sagt Helena: ”So du aber allein die kalte Wahrheit bist und das reine Leben aus ihr, wie kommt es denn dann, dass ich soeben anfange, sehr viel Liebe zu dir zu empfinden?“

11] Sage Ich: ”Taube! Das soll dir auf dem Berge erst geoffenbart werden! Jetzt aber gehen wir, sonst geht die Sonne eher (zuvor unter)!“

12] Darauf verließen wir die wahrhaft königlichen Prachtzelte und begaben uns auf den Berg, den wir seiner unbedeutenden Höhe wegen bald erstiegen.

13] Als wir auf der Höhe waren, bemerkte Cyrenius, wie herrlich und schön sich die ganze, weitgedehnte Gegend ausnehme, und dass er nun solche Herrlichkeit stundenlang betrachten könnte, ohne nur im geringsten müde zu werden. Es sei nur ewig schade, dass der Tag nunmehr gar zu kurz daure.

14] Nach einer Weile kam Simon Juda zu Mir und sagte: ”Herr, heute könntest Du wohl auch gleich einem Josua zur Sonne sagen: "Stehe still, Sonne!", auf dass die Kinder hier länger des Abends Herrlichkeit genießen können und hoch preisen Den, der sie geschaffen hat!“

15] Sagt Cyrenius: ”O Simon, du alter treuer Fischer und nun Jünger unseres großen Meisters und Herrn, das war ein guter Gedanke von dir, und unserem Herrn und Meister wäre so etwas aus wohlbekannten Gründen noch um sehr vieles leichter, als es dem Josua war!“ - Darauf wandte sich auch der Cyrenius in dieser Angelegenheit zu Mir, und Jarah unterstützte solche Bitte.



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