Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 188


Johannes über den Unterschied zwischen natürlicher und geistiger Auffassung.

01] Sagt Johannes, der den redenden Simon Juda bloß ganz aufmerksam angehört hatte: »Mit bloß weltlichen Sinnen die Sache betrachtet, kann ich dir keinen Widerspruch tun; aber für die Sehe des Herzens hat all das denn doch ein ganz anderes Gesicht! Denn die göttliche Weisheit richtet sich ja nie und nimmer nach der selbst eines noch so weisen Menschen!

02] Weißt du denn, warum auf dem Erdboden gar so zahllos viele Gattungen von Pflanzen und Gesträuchen vorkommen, die gar keine Früchte tragen? Und so sie schon welche tragen, da sind diese für unsern Verstand dennoch zwecklos, und niemand weiß es, wofür sie etwa gut sind! Eben eine gleiche Mannigfaltigkeit entdeckt man unter den Tieren. Von der kleinsten Blattmilbe bis zum die Meere beherrschenden Leviathan, sage, wozu sind sie alle bis auf unsere wenigen Haustiere? Welchen Zweck können wohl die wilden, reißenden Bestien haben? Was nützen der Menschheit die Bären, Löwen, Tiger, Hyänen und noch eine Menge der uns noch unbekannten reißenden Bestien? Wer, guter Freund, kann dir den Grund von so höchst verschiedenen Gestaltungen der Tiere geben? Wozu die vielen Sterne am Himmel? Warum leuchtet der Mond nicht stets zur Nachtzeit? Wozu sein Lichtwechsel? Wozu ist er so ganz eigentlich da? Sieh, das alles und noch viel tausendfältiges anderes begreifen wir nicht, und es kommt unserem Verstande wie eine Torheit vor, wenn wir so recht kritisch darüber nachdenken! Aber bei Gott dem Herrn hat alles das sicher einen höchst weisen Grund, und so darf es uns denn nun, da uns die außerordentliche Gelegenheit gegeben ist, den Herrn persönlich vor uns wirken zu sehen, gar nicht wundernehmen, so wir nicht alles fassen können, was Er tut und noch ferner tun wird; denn für alles wird Er offenbar in und für Sich den allerweisesten Grund haben! - Bist du da nicht meiner Ansicht?«

03] Sagt Simon Juda: »Jawohl, jawohl, du hast ganz recht, und man kann dir füglichstermaßen wohl nichts dagegen einwenden! Aber das bleibt denn doch auch ewig wahr, daß dem denkenden Menschen so manche Anordnung Gottes gerade so vorkommt, als ob jemand im vollsten Ernste behaupten möchte, daß zwei Fische und abermals zwei Fische zusammen sieben Fische seien!«

04] Sage Ich: »Ja, ja Simon, also sieht es wohl aus; aber was dem Menschenverstande als unmöglich erscheint, kann bei Gott noch gar wohl möglich sein! Nimm das kleine Netzlein, das zu deinen Füßen liegt und wirf es hinaus ins Meer! (Simon tut dies.) - Nun hebe es wieder zurück und sage, wie viele Fische sich darin befinden!«

05] Sagt Simon: »Herr, genau vier Stück!«

06] Sage Ich: »Siehe nach und zähle; denn es sind deren sieben!«

07] Simon sieht nach und zählt und findet nun genau sieben Fische im Netze. Darüber verwundert er sich hoch und sagt: »Ja, ja, bei Gott sind alle Dinge möglich!«

08] Und Ich sage zu ihm: »Darum schwätze künftighin nicht ein unnützes Zeug; denn es ist besser zu schweigen, denn leeres und unnützes Zeug zu schwätzen! Verstehe solches, - sonst bist du um nichts besser denn ein blinder Pharisäer!«

09] Sagt Simon Juda: »Herr, Du weißt es doch, wie sehr ich Dich liebe, und doch verweisest Du mir nun, so ich etwas sage aus mir, das Gesagte stets auf eine ziemlich bittere Weise, daß ich darob nun kaum mehr irgend noch einen Mut habe, Dich je wieder laut um irgend etwas zu fragen! Ich nehme zwar von Dir alles mit der größten Liebe und Geduld an; aber einer inneren kleinen geheimen Trauer kann ich mich nicht erwehren, weil gerade ich das leidige Ziel Deiner Schärfe bin!« - Hierauf wendet er sich gegen das Meer und beschaut dasselbe mit einem etwas wehmütigen Blick.

10] Johannes aber geht zu ihm hin und sagt: »Sieh, Bruder, dir geschieht es jetzt nun etwas schwer ob der sanften Zurechtweisung von seiten des Herrn; aber sieh, des Herrn Liebe und Weisheit weiß es wohl überaus gut, warum sie solches an dir getan hat, und so du einen recht tiefen Blick in dein Herz tätest, da würdest du den Grund bald und leicht selbst finden!«

11] Sagt Simon: »Nun, was soll es denn sein? - Sage du es mir!«

12] Spricht Johannes: »Sieh, Bruder, was das Erkennen und den lebendigen, unerschütterlichsten Glauben betrifft, so bist du unter uns offenbar der Stärkste und nach dem Zeugnisse des Herrn ein wahrer Fels; aber dabei hast du dennoch Stunden, in denen dich so eine leise Art von Selbstgefühl übermannt, und siehe, ein solches Selbstgefühl ist so ein wenig mit dem, was man Hochmut nennt, ziemlich nahe verwandt! Und das wird es sein, was der Herr durch so manche dir zukommende Demütigung aus dir herausschaffen will! Ich habe das schon bei manchen anderen Gelegenheiten wahrgenommen und hätte es dir schon lange gern gesagt aus wahrster und aufrichtigster Bruderliebe; aber es hat sich dazu nie eine so recht schickliche Gelegenheit geboten. Da sich nun eben eine solche Gelegenheit ergeben hat, so dachte ich daran und habe es dir gesagt, wie ich es schon lange lebendigst in mir gefühlt habe. Du wirst es sicher in dem guten Liebesinne aufnehmen, in und aus welchem ich es dir gesagt habe, und wirst mir darob nicht gram sein!?«

13] Sagt Simon Juda: »Ja, ja, du wirst auch darin ganz vollends recht haben; aber nur begreife ich es nicht, warum Er unsereinen auf so etwas nicht wenigstens einmal aufmerksam macht, indem Er doch sonst nicht wortkarg ist! Man würde sich dann ja um vieles leichter danach richten, was da nach Seinem rein göttlichen Sinne vollkommen Rechtens ist!«

14] Sagt Johannes: »Das könnte Er zwar tun; aber Er tut es dennoch nicht, und siehe, das muß schon auch wieder seinen guten Grund haben!

15] Mir kommt es also vor, als ob Er es haben wollte, daß ein jeder Mensch sich zuerst vollkommen selbst finden müßte, bevor der Herr am Ende Seine alles Leben vollendende Hand an ihn legt und mit Seinem Lichte Wohnung nimmt in des Menschen Herzen.

16] Aus diesem mir als vollwahr dünkenden Grunde sagt der Herr denn auch niemandem direkt die Fehler des Lebens vor, sondern bloß indirekt durch gewisse Rüttler, durch die Er dann die Seele zwingt, sich selbst näher zu beschauen, ihre Fehler an Seinem Lichte zu erkennen, sie von sich zu bannen und sogestaltig dann völlig in die Ordnung des Herrn einzugehen. Das, Bruder, ist so meine unmaßgebliche Meinung, und ich bin nahe dafür, daß es also sein werde. - Was bedünket es dich darüber?«

17] Sagt Simon, etwas nachdenkend: »Ja, du dürftest auch darin vollends recht haben; denn unter uns allen erkennst du wahrlich am tiefsten und am schärfsten des Herrn Sinn! Dein Wort soll in der Folge für mich sehr maßgebend werden!«

18] Bei dieser Gelegenheit wendet sich Simon wieder nach Mir hin und macht eine dankbare Miene darob, daß Ich durch den Bruder Johannes solches habe offenbaren lassen seinem Herzen; Ich aber bedeute Simon, daß er nun, da die Söhne des Markus anfangen, das große Netz ins Meer zu breiten, diesen nach seiner guten Kenntnis in diesem Fache behilflich sei.

19] Und Simon tut nun solches mit der größten Freude von der Welt; denn ein Liebeblick von Mir ist dem Simon mehr denn alle Schätze der Welt, und es sollte auch bei allen Menschen so sein, die wahrhaft Mir nachfolgen und dadurch das wahre ewige Leben erreichen wollen.


Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 2   |   Werke Lorbers