Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 96


Jesu Jünger auf dem stürmischen Meer.

01] Daß die Jünger darob gerade nicht bei der besten Laune waren, läßt sich leicht denken; sie machten über Mich mannigfache Bemerkungen und Glossen, und selbst ein Petrus sagte: »Hat Er denn für diese Nacht nichts Besseres für uns gewußt, als uns dem sicheren Tode in den Wellen preiszugeben? Ist wahrhaft ein wenig sonderbar von Ihm! Ich getraue mir kaum weiter rudern zu lassen; denn ein paar Ruten weiter kommen wir auf Untiefen, Klippen und Sandbänke, und ich, als ein grau gewordener Schiffer, stehe dann weiter für nichts gut! Daher ist es besser, daß wir uns sogar bis gen Morgen hier auf der Höhe halten!«

02] Sagt Thomas: »Möchte aber auch wissen, was Er damit gewollt hat, daß Er uns so plötzlich von Sich wies und förmlich gebot, daß wir vor Ihm herüberfahren sollten!«

03] Sagt Andreas: »Meines Wissens weilt nun längs der wüsten Küste kein Schiff; ich frage: Wie wird Er uns nachkommen? Will Er etwa den Weg zu Land machen, so braucht Er gut vierzehn Stunden, um auf der unteren Seite des Meeres über Sibarah und Kis dahin zu gelangen, wo wir zu landen beabsichtigen; will Er aber über den Oberteil des Meeres dahin gelangen, so braucht Er zwei gute Tagereisen; denn dort ist unser Meer am breitesten und hat starke Einbuchtungen und weitgedehnte Versumpfungen.«

04] Sagt Judas Ischariot: »Ihr wißt alle zusammen nichts! Ich habe es schon lange gemerkt, daß wir ihm lästig geworden sind; aber es hat sich nur keine günstige Gelegenheit dargeboten, uns auf eine gute Art loszuwerden. Und seht, die Gelegenheit hat sich gemacht, und er ist uns und wir ihn los! Nun können wir ihn mit allen Fackeln suchen gehen, und wir werden ihn schwerlich je wieder zu Gesicht bekommen! Ob das von ihm aber - unter uns gesagt - gerade löblich ist, das ist eine andere Frage!«

05] Sagt Johannes der Liebling: »Nein, das tut Er ewig nie! Da kenne ich Ihm zu lange und zu gut! Das würde er nicht einmal als Mensch tun, geschweige als Gottes Sohn, der Er nun wohl ohne allen weiteren Zweifel ist in aller Fülle der Innehabung des göttlichen Geistes! Daß Er das getan, hat sicher - wie alles, was bisher geschehen ist - seinen höchst weisen Grund, und so wird das auch seinen sicher höchst weisen Grund haben! Und ich ahne es lebendig in mir, daß wir uns davon jüngst überzeugen werden!

06] Mein Gott, wenn Er, dem Himmel und Erde gehorchen, uns weghaben wollte, so bedürfte es nur eines leisesten Hauches aus Seinem Munde, und wir alle ständen am andern Ende der Welt, gleichwie es erst etwa vor drei Wochen oder höchstens einem Monate auf dem Hochgebirge von Kis, das wir von hier aus noch sehr gut sehen, auch nur eines Hauches aus Seinem Munde bedurfte, und wir machten eine blitzschnelle Reise durch die Luft und waren in einem Augenblick auch schon bei Ihm auf der Höhe! - Mein lieber Bruder Judas, nur mit solchen gar lächerlich dummen Meinungen von Ihm mußt du mir nicht kommen; denn damit legst du allzeit ein Zeugnis deines Unglaubens ab!«

07] Sagt Nathanael, der auch im Schiffe war: »Ich bin sonst ganz der Meinung des lieben Bruders Johannes; aber nur das meine ich, daß es denn doch bei aller unserer Gewissenssorgfalt etwa doch möglich wäre, daß wir uns irgendwo und irgendwodurch gegen Ihn versündigt haben und Er es uns nicht hat sagen wollen, sondern uns dafür uns selbst überlassen hat, daß wir uns inniger und tiefer beschauen sollten. Er wird dann schon wieder zu uns kommen, wenn wir uns völlig werden gereinigt haben.

08] Freilich habe ich nun mein Gewissen schon ganz entsetzlich durchforscht, kann aber leider nichts finden, was mir als ein Unrecht dünkte. Wahrlich, für mich wäre nun eine bewußte Sünde eine ordentliche Wohltat; denn sie wäre mir ein Licht, an dem ich erkennen würde, daß ich diese Verweisung vom Herrn aus verdient habe, und eine aufrichtige Reue wäre ein Balsam für mein Herz! Aber so suche ich mit allem Eifer eine Sünde an mir und kann keine finden, um derentwillen es sich der Mühe lohnte, in Sack und Asche Buße zu tun! Wahrlich, jetzt beneide ich einen Sünder! Es sei ferne, daß ich darum ein Sünder werden möchte; aber so ich nun einer wäre, wäre es mir leichter ums Herz! Oh, wie süß muß es sein, vor Gott und den Menschen ein rechter Büßer zu sein! Aber wie kann ein stets gerechter Mensch, ohne sich vor Gott lächerlich zu machen, das Gewand der strengsten Buße anziehen?«

09] Sagt Bartholomäus: »Aber was du doch für sonderbare Ideen oftmals hast! Wem könnte es denn je einfallen, einen Sünder als glücklicher anzupreisen denn einen Gerechten?«

10] Sagt Johannes: »Hat nicht ganz unrecht! Freilich wird hier nur ein Sünder aus Schwäche und manchmal unüberlegter Leidenschaft, nicht aber ein abgefeimter Knecht der Hölle verstanden; und da möchte unser Bruder Nathanael eben nicht ganz unrecht haben!«

11] Sagt Jakobus: »Ja, ja Brüder! Unser Nathanael ist ein Mann, dem wir, was die tiefe und feine Weisheit betrifft, alle zusammen nicht das Wasser reichen können; denn er versteht es so recht aus der Tiefe herauszuholen! Er ist immer der Stille und Wortkarge; aber wenn er spricht, da muß man ihn hören! Denn seine Worte sind stets inhaltschwer!«

12] Sagt Nathanael: »Aber Bruder Jakobus, lobe mich doch nicht immer, wenn ich dann und wann etwas sage! Der Herr weiß es ja am besten, was an mir und meiner schwachen Weisheit ist; denn wäre etwas daran, da wäre ich auch schon lange dir gleich ein Bote geworden, so aber bin ich noch immer nur ein Schüler, weil es der Herr wohl wissen wird, was mir noch abgeht. Ich habe wohl einen poetischen, aber darum noch lange keinen prophetischen Geist! Da siehe dir den jungen Bruder Johannes an, der ist ein Prophet schon von der Wiege an; das weiß der Herr und hat ihn darum zu Seinem Geheimschreiber gemacht!«

13] Sagt Johannes: »Ah, warum nicht gar! Was wäre denn hernach der Bruder Matthäus?«

14] Sagt Nathanael: »Der ist des Herrn Offenschreiber - und nur du Sein Geheimschreiber!«

15] Sagt Johannes: »Mag wohl sein! Und wenn es so ist, so will es der Herr also, und wir müssen es nehmen, wie es uns der Herr gibt!«

16] Brummt Judas Ischariot darein: »Wird euch fortan wahrscheinlich nichts mehr geben! Der Stundensand ist bereits viermal abgelaufen, während wir hier noch immer zwischen Luft und Wasser schweben, was soviel sagen will: als zwischen Leben und Tod; und ich entdecke noch immer kein Fahrzeug, das uns nachführe!«

17] Sagt Johannes: »Das macht ja auch nichts; denn Er hat es uns ja nicht zeitbestimmlich gesagt, wann Er nachkommen werde!«

18] Sagt Judas: »Dafür wird er wahrlich seinen wohlweisen Grund haben! Das verstehen wir!«

19] Sagt Johannes: »Freund, sage du mir einmal denn doch ganz aufrichtig, ob du denn nach allem dem, was du doch mit deinen höchst eigenen Augen gesehen und mit deinen höchst eigenen Ohren gehört und sicher mit allen deinen Sinnen gefühlt und empfunden hast, noch nicht glaubst, daß unser Herr Jesus, so gewiß ich Johannes heiße, wahrhaft Gott ist und Ihm alle Gewalt, in den endlosen Himmeln und auf dieser Erde zu schaffen, zu schalten und zu walten, vollkommen eigen ist! Ich bitte dich, daß du mir ein aufrichtiges Wort redest!«

19] Sagt Johannes: »Freund, sage du mir einmal denn doch ganz aufrichtig, ob du denn nach allem dem, was du doch mit deinen höchst eigenen Augen gesehen und mit deinen höchst eigenen Ohren gehört und sicher mit allen deinen Sinnen gefühlt und empfunden hast, noch nicht glaubst, daß unser Herr Jesus, so gewiß ich Johannes heiße, wahrhaft Gott ist und Ihm alle Gewalt, in den endlosen Himmeln und auf dieser Erde zu schaffen, zu schalten und zu walten, vollkommen eigen ist! Ich bitte dich, daß du mir ein aufrichtiges Wort redest!«


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