Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 78


Josoes schlauer Plan.

01] Sagt Josoe, freudig lächelnd: »Herr, ich meine, diese Geschichte wird sich ganz einfach machen lassen! Ich komme vom Oheim Jairus geleitet ins Haus meiner sicher noch immer um mich trauernden Eltern. Diese werden ganz verwundert große Augen machen, daß sie in mir einen Knaben erblicken, der ihrem Josoe so ähnlich sieht wie ein Auge dem andern; dann mag Jairus sagen, daß ich ein Findling sei und sogar den Namen des Verstorbenen führe, und meine Eltern werden mich ohne weiteres an Kindes Statt aufnehmen und mich lieben mehr denn ihren Josoe. Nach und nach können sie dann durch allerlei rare Wendungen in die volle Wahrheit eingeleitet werden, und sie werden am Ende denn doch glauben müssen, daß ich ihr wirklicher Sohn Josoe bin. In einer Zeit aber, die Du, o Herr, bestimmen kannst, können sie dann denn auch in die vollste Wahrheit geführt werden. - Ist es also recht, o Herr?«

02] Sage Ich: »Die Sache ist gar nicht übel ausgedacht, Mein lieber Josoe; aber nur ein Umstand kommt dabei vor, und zwar der, daß da eine offenbare Lüge vorkommt, und eine jede Lüge ist vom Übel und erzeugt wieder Übel. Siehe, ein Findling bist du denn doch offenbar nicht; wie wirst du den >Findling< hernach vor deinen Eltern und Gott rechtfertigen?«

03] Sagt der Knabe: »Herr, wenn Du lächelst, so ist das sicher ein gutes Zeichen, und ich bin schon gerechtfertigt vor Dir, so wie einst der Jakob mit seinen in Lammfelle gewickelten Händen vor seinem blinden Vater Isaak! Siehe Herr, das war denn doch mehr Lüge denn bei mir, so ich als ein Findling meinen Eltern vorgeführt werde, und doch war vor Gott Jakobs Erstgeburtssegen als gerecht angenommen! Wenn aber Gott damals einen doch offenbarsten Betrug, der eine tatsächliche Lüge ist, mit gnädigen und segnenden Augen ansehen konnte, so wird Ihn ja doch der nunmalige Findling Josoe nicht anwidern, zudem er doch ein allerwahrster Findling ist wie kein zweiter auf der ganzen weiten Gotteserde! Ich meine, Du mein Gott und mein Herr, es dürfte für diese Erde wohl nichts so sehr verloren sein als einer, der gestorben ist; und so dürfte es auch nichts im vollwahrsten Sinne Gefundeneres geben als einen - -, Herr, Du verstehst mich, wen ich hier meine!«

04] Sage Ich: »Gut hast du es gemacht! Ich wußte es ja, daß du einen rechten Grund finden wirst; aber nun möchte Ich denn von dir auch noch hören, wie du dich deinen Eltern durch allerlei rare Wendungen am Ende als der wirkliche Sohn Josoe aufführen wirst.«

05] Sagt Josoe: »O Herr, das ist doch eine überaus leichte Sache! Wenn ich einmal im Hause bin, so werde ich, was mir ein leichtes ist, mich gerade so benehmen, wie ich mich früher benommen habe; ich werde nach und nach um dies und jenes fragen, wie ich es früher getan habe, werde auch meine Spielereien hervorsuchen und damit die bekannten Verfügungen treffen, was meinen Eltern offenbar auffallen wird und sie am Ende werden sagen müssen: >Das ist unser Josoe, der vielleicht vom Borus im Grabe durch seine geheimen Mittel erweckt und mit der Zeit bis her vollends geheilt worden ist!< Und ich lasse sie einstweilen bei der Meinung. Kommt dann die rechte Zeit, so sollen sie die Wahrheit schon erfahren, und ich meine, daß die Sache sich also ganz gut machen wird.«

06] Sage Ich: »Aber da kommt schon wieder eine Lüge vor! Siehe, jemanden geflissentlich im Irrtum belassen, heißt ebensoviel wie jemand anlügen! Wie wirst du dich denn da reinwaschen?«

07] Sagt Josoe: »Herr, solange Du lächelst, wenn Du prüfest, ist es immer und ewig ein gutes Zeichen; ich meine aber so, daß die Lüge auch von einer sehr unterschiedlich zweifachen Art ist. Jemandem geflissentlich aus bösem Willen eine Lüge als eine verbürgte Wahrheit auftischen, ist und bleibt eine satanische Bosheit! Aber eine Scheinlüge, durch die man die nackte Wahrheit nur so lange umhüllt, als eben die nackte Wahrheit für den Menschen, den sie betrifft, noch unerträglich wäre, ja ihm offenbar mehr schaden als nützen würde, kann nicht vom Übel sein, weil sie dem edlen, guten und wohlwollendsten Herzen und Willen entstammt!

08] Es müßte in dieser Hinsicht dann ja auch jedes Gleichnis, hinter dem doch die erhabenste Wahrheit verborgen sein kann, eine barste Lüge sein. Und doch haben die weisesten Väter und Propheten zumeist in lauter Gleichnissen gesprochen! Und daß hier Borus als der allgemein bekannte, berühmte Arzt eben als Arzt eigenschaftlich Deine Stelle vertritt, ist im Grunde denn doch auch nichts anderes, als wie zu den Zeiten Abrahams die drei zum Erzvater gekommenen Engel die Stelle Jehovas vertreten haben, und gar nichts anderes als die mir immer recht hart vorkommende Lüge des Joseph in Ägypten vor seinen Getreide suchenden Brüdern! Aber Gott hatte es Selbst also gewollt und rechnete dem Joseph solch sein Benehmen gegen seine Brüder sicher nicht zur Sünde. Und so meine ich, daß solch eine Scheinlüge bloß nur eine Klugheit aus den Himmeln ist, während die wirkliche Lüge in die Reiche der ärgsten höllischen Verschmitztheit gehört!«

09] Sage Ich: »So komme her, du Mein liebster Josoe, und laß dich küssen; denn du bist ja schon als ein noch zarter Knabe weiser denn ein alter Schriftgelehrter!«

10] Mit diesen Worten eilt Josoe sogleich um den ganzen Tisch, umarmt Mich und küsset Mich klein ab und sagt darauf in völlig ausgelassener, aber dabei dennoch sehr weiser Heiterkeit: »Da sehet her alle ihr alten himmlischen Geister, Mächte und Kräfte, und verhüllet euer Angesicht! Denn das, was hier geschah, habet ihr noch nie erlebt! Der ewige heilige Vater hier vor uns, im Sohne Jesus völlig gegenwärtig, läßt Sich fleischlich liebkosen von einem Seiner Geschöpfe!

11] So zieht Der, der ewig war, das zeitlich Seiende an Sich, koset es und macht es dadurch Ihm gleich ewig! O Du wahrer, alleiniger Vater aller Menschen, wie süß doch schmecket Deine Liebe!«


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