Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 74


Streit zwischen Judas Ischariot und Thomas

01] Mit diesem Bescheide begnügen sich bis auf den Judas alle Jünger und loben Meine Güte und Weisheit und die Macht Gottes, die durch Mich waltet; Judas aber schmollte und sagte ziemlich laut vor sich hin: »Über Pharisäer, die den Fremden das Allerheiligste geheim ums teure Geld sehen lassen, eifert Er bis auf den Schwefelregen vom Himmel; aber so Er den Fremden Sein Heiligtum zeigt und uns einheimische Kinder ausschließt, das ist dann ganz recht und der göttlichen Ordnung völlig gemäß! Hat jemand aus uns schon so etwas erlebt? Wenn es die zu Jerusalem tun, so ist es gefehlt beim Himmel und bei der Erde; aber wenn Er für sich nahe dasselbe tut, so ist das recht und vollkommen nach der Ordnung Melchisedeks! Man kann dagegen freilich nichts tun und unternehmen; aber ärgern muß man sich denn doch!«

02] Sagt Thomas, als der noch immer auf Judas Ischariot scharf absehende Jünger: »Nun, ist dir endlich einmal schon wieder etwas nicht recht? Mich wundert es schon sehr, daß du mit dem Herrn darum nicht schon lange einen Hader begonnen hast, daß Er die Sonne so weit von der Erde gestellt hat und du deine Töpfe in ihrer sicher überheißen Nähe nicht billiger hartbrennen kannst als durch das gewöhnliche Holzfeuer!

03] Schau, wie gut wäre es, gleich Vögeln fliegen zu können! Ja, es hat sogar mich schon mehrere Male an den Achseln gejuckt, und es kam mir vor, als müßte ich mit einer Schar lustig dahinschwebender Kraniche ziehen; ich versuchte zu hüpfen und zu springen, aber der schwere Leib wollte durchaus nicht sich auch nur eine Elle über die Erde erheben!

04] Ich stellte mich aber damit bald wieder zufrieden und dachte mir: Wenn es Gott gewollt hätte, daß die Menschen gleich den Vögeln sollten fliegen können, so hätte Er ihnen ebensogut wie den Vögeln taugliche Flügel gegeben; aber Gott sah es, daß solch eine Eigenschaft dem Menschen mehr schaden als nützen würde und gab ihm daher lieber ein Paar gute und starke Füße, mit denen er sich ganz gut von einem Orte zum andern tragen kann. Auch gab Er ihm nebst den zwei starken Füßen ein Paar sehr brauchbare Hände und den über alle Sterne hinausreichenden Verstand, mittels dessen er an der Stelle eines tauglichen Flügelpaares tausend andere Bequemlichkeiten sich verschaffen kann, die ihm offenbar mehr Vergnügen bereiten können, als den Vögeln ihre Flügel; denn es steht sehr dahin, ob die Vögel ihre Flügel so zu schätzen verstehen wie der Mensch seine Füße, seine Hände und seinen Verstand!

05] Sieh, der Mensch kann auch im Wasser nur sehr schlecht fortkommen, denn er hat keine Flossen und keine Schwimmhaut zwischen seinen Zehen und Fingern; aber sein von Gott ihm verliehener Verstand lehrte ihn Schiffe bauen, mittels welchen er nun weitere Reisen im Wasser machen kann als ein Fisch, dem ein Wassertümpel ein Wohnhaus ist, von dem er sich nie gar zu weit entfernt. Und wir können mit vollster Gewißheit annehmen, daß unsere späten Nachkommen in der Schiffsbaukunst noch äußerst große Fortschritte machen werden. Wer weiß es, ob es nicht noch irgendeinem Weisen abermal gelingen wird, vermittels eines künstlichen Flügelpaares sich, den alten Indiern gleich, in die freie Luft zu erheben!«

06] Hier unterbricht Judas den Thomas und sagt etwas ärgerlich: »Habe ich dich denn je als meinen Hofmeister gedungen, daß du bei jeder Gelegenheit mir Predigten machst? Behalte du deine Weisheit für dich und deine Kinder und laß mich in der Ruhe, sonst wirst du mich nötigen, dir einmal ganz scharf über deinen Mund zu fahren! Denn darauf verstehe ich mich ganz gut, wenn ich's will. Ich habe dir bei allen deinen, den meinen ganz gleichen freien Reden und Handlungen noch nie ein ungeschaffenes (ungeschliffenes) Wort gegeben und weiß es daher wahrlich nicht, was du an mir immer zu schnitzen und zu hobeln hast! Kehre du nur fleißig vor deiner Hausflur, für die meinige werde schon ich sorgen! Ist mir etwas nicht recht, so ist es für mich allein und braucht's für dich ja nicht auch nicht recht zu sein; ich gehe dich nichts an, und das von jetzt an für immer! - Verstehst du solches?

07] Denke nur nach Kis zurück, wie der Herr die strittige Sache zwischen mir und dir abgemacht hat; das genüge dir und mir, und Weiteres haben wir beide mit und unter uns nicht mehr zu tun! Wenn ich dich um etwas fragen werde, so kannst du mir auf die Frage eine gute Antwort geben, - vorausgesetzt, daß du einer solchen fähig bist! Aber du wirst es am spätesten erleben, daß ich dir solch eine Ehre antun werde!«

08] Sagt Thomas: »Aber sage mir, Bruder Judas, was Arges und Beleidigendes habe ich zu dir denn nun gesagt, darum du über mich gar so aufgebracht bist? Ist es denn etwa unwahr, daß du nur zu oft, meines guten Wissens, mit Gott dem Herrn gehadert hast, daß Er die Sonne so weit von der Erde gestellt, und daß Er dir keine Flügel zum Fliegen gemacht hat gleich all den stummen Vögeln unter dem Himmel?«

09] Sagt Thomas nach einer Weile weiter, weil ihm Judas Ischariot keine Widerrede geben wollte: »Wenn du mir gram sein willst, so sei mir gram ohne Grund und Ursache! Im Angesichte des Herrn zeigt ein solches höchst unbrüderliches Benehmen sich nicht am löblichsten! Ein Gemüt wie das deine gehört auch durchaus nicht unter die Zahl der Jünger des Herrn, und du tätest tausendmal besser, so du heimzögest zu deiner Töpfemacherei, als daß du hier für nichts und wider nichts die Gesellschaft Gottes belästigst und verunreinigst mit deinem höchst gottesordnungswiderlichen Gemüte. Hast du denn schon ganz der Bergrede des Herrn bei Sichar in Samaria vergessen, wo der Herr gebietet, sogar die Feinde zu lieben, die uns Fluchenden zu segnen und Gutes zu erweisen denen, die uns Böses tun?

10] Willst du aber das Wort Gottes nicht befolgen und dich nicht bei jeder Gelegenheit üben in der Selbstverleugnung, so frage dich in Gottesnamen selbst, wozu du unsere Gesellschaft mit deiner Gegenwart belästigest!

11] Du redest mit keinem von uns auch nur ein Wort tagelang; und fragt dich jemand um etwas, so gibst du ihm entweder gar keine Antwort, oder du fährst ihn so roh und grob als nur immer möglich an, so daß er dir zum zweiten Male sicher nimmer mit einer Frage kommt. Ist denn das ein Benehmen für einen Jünger des Herrn? Pfui, schäme dich, und werde ein anderer Mensch, - ansonst packe dich zum Plunder!

12] Wahrlich, es reut mich schon mehr, als wenn ich einen Raubmord begangen hätte, daß eben ich dich zu dieser Gesellschaft brachte! Ich will den Herrn auf den Knien bitten, daß Er dich mit Seiner allmächtigen Gewalt von uns entfernt, wenn du mit Güte nicht flottzumachen sein solltest!«

13] Sagt endlich Judas mit sichtlich verbissenem Zorn, aber lächelnder Miene: »Weder du noch der Herr könnet mir schaffen (mich heißen), ob ich gehen oder bleiben soll! Denn ich bin so gut wie jeder andere aus euch ein ganz freier Mensch und kann tun, was ich will! Sieh, wüßte ich, daß ich dir weniger ein Dorn im Auge wäre, als ich es dir sicher bin, so hätte ich eure Gesellschaft schon lange verlassen und mir eine andere gesucht; aber um dich so recht nach Herzenslust zu ärgern, bleibe ich und will dir zu einem Probiersteine dienen, an dem du deine Geduld, Langmut und Feindesliebe auf die gleichfort schönste Probe stellen kannst, und will von dir die angewandte Bergpredigt Jesu erlernen und sie dann selbst ausüben! - Hast mich verstanden, du weiser Thomas?«

14] Sagt Thomas, zu Mir sich wendend: »Herr, ich und wir alle bitten Dich um Entfernung dieses räudigen Schafes! Denn neben ihm ist keine brüderliche Existenz denkbar, und wir können Deine heilige Lehre unmöglich ins Werk setzen; denn er ist und bleibt gleichfortig ein Aufhetzer und Verräter! Warum soll er denn hier unter uns sein, so er von Deiner heiligen Lehre nicht nur nichts ins Werk setzen will, sondern uns nur allzeit belächelt, so wir nach Deinen Worten zu leben und zu handeln uns die Mühe geben?«


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