Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 62


Das Denken im Herzen.

01] Sagt Cyrenius: »Herr, es geht bei mir mit dem Denken im Herzen durchaus nicht, weil ich schon von meiner Jugend an gewöhnt wurde, im Kopfe zu denken; mir scheint es nahe unmöglich, im Herzen denken zu können! Wie soll man es denn anfangen, um im Herzen denken zu können?«

02] Sage Ich: »Das ist ja ganz leicht und ganz natürlich! Alles, was du dir nur immer denken kannst und magst nach deinem Gefühle im großen Gehirne, kommt zuvor aus dem Herzen; denn jeder noch so geringe Gedanke muß ja doch zuvor irgendeine Anregung haben, durch die er als notwendig hervorgerufen wird. Wenn der Gedanke erst im Herzen irgendeines Bedürfnisses halber angeregt und erzeugt ward, so steigt er dann erst auf in das Gehirn des Kopfes zur Beschauung der Seele, auf daß diese darauf die Glieder des Körpers in die geeignete Bewegung setze, damit der innere Gedanke sogestaltig zum Worte oder zur Tat werde; aber daß je ein Mensch pur im Kopfe denken könnte, wäre die platteste Unmöglichkeit! Denn ein Gedanke ist eine rein geistige Schöpfung und kann darum nirgends entstehen denn allein im Geiste des Menschen, der im Herzen der Seele wohnt und von da aus den ganzen Menschen belebt. Wie möglich aber könnte sich je eine Schöpfung aus irgendeiner noch so subtilen (feinen) Materie entwickeln, da alle Materie, somit auch das Gehirn des Menschen, nichts als eine purste Materie ist und somit nie Schöpfer, sondern nur Geschaffenes sein kann?! - Verstehst du nun wohl solches und fühlst es vielleicht gar schon, daß kein Mensch etwas im Kopfe zu denken vermag?«

03] Sagt Cyrenius: »Herr, ja ich fühle das nun ganz lebendig! Aber wie geht das denn zu? Es kommt mir jetzt wahrlich so vor, daß ich von jeher bloß nur im Herzen gedacht habe! Merkwürdig! Wie ist denn das? Ja, ich fühle förmliche Worte im Herzen, und das als ausgesprochene Worte, und es kommt mir nun gar nicht mehr vor, daß es möglich wäre, im Kopfe einen Gedanken zu fassen!«

04] Sage Ich: »Das ist die ganz natürliche Folge deines stets mehr und mehr geweckt werdenden Geistes im Herzen, der da ist die Liebe zu Mir und durch Mich zu allen Menschen.

05] Bei Menschen aber, bei denen solche Liebe noch nicht erwacht ist, bilden sich die Gedanken zwar auch im Herzen, werden aber im selben, weil es zu materiell ist, nicht wahrgenommen, sondern erst im Gehirne, wo die Gedanken des Herzens, als schon mehr materiell wegen des Antriebes zur Handlung, sich bildlich gestalten und sich mit den Bildern, die von der Außenwelt durch die äußersten Leibessinne sich in die Gehirntäfelchen eingeprägt haben, amalgamieren (vermischen) und sogestaltig vor den Augen der Seele selbst materiell und schlecht werden und sodann auch als notwendiger Grund der schlechten Handlungen der Menschen angesehen werden müssen.

06] Darum muß ein jeder Mensch zuvor im Herzen und daselbst im Geiste wiedergeboren werden, ansonst er ins Gottesreich nicht eingehen kann!«

07] Sagt Cyrenius zum nebenstehenden Petrus: »Verstehst du das wohl von der Wiedergeburt des Geistes im Herzen, und was und wo so ganz eigentlich das Reich Gottes ist, von dem Er und die beiden Engel in einem fort reden und solches als Künftiges für unsern Glauben verheißen?«

08] Sagt Petrus: »Allerdings verstehe ich solches, und so ich's nicht verstünde, bliebe ich nicht hier, sondern würde daheim für mein Haus sorgen. Forsche du, hoher Herr, aber nur in deinem Eigenherzen, da wirst du in Kürze mehr finden, als was ich dir in hundert Jahren erörtern könnte!

09] Siehe uns an, die wir Seine ersten Jünger und Zeugen waren, ob wir viel mit Ihm äußerlich reden! Und siehe, dennoch reden wir mehr mit Ihm denn du und viele andere durchs äußere Mundwort; denn wir reden mit Ihm rein nur im Herzen und fragen Ihn um tausenderlei, und Er antwortet uns in klaren, wohlausgeprägten Gedanken, und so gewinnen wir doppelt. Denn eine Antwort des Herrn in des Menschen Herzen ist gewisserart schon sein Lebensanteil, während das äußere Wort erst durch die fortgesetzte Tat wegen der Übung der Seele zum Lebensanteil werden muß.

10] Und so kannst du, hoher Herr, denn in der bewußten Satanssache ja auch in deinem Herzen fragen, und der Herr wird dir dann schon die rechte Antwort in dein eigenes Herz so ganz still und geheim legen, daß sie der vielohrige Satan unmöglich wird zu vernehmen imstande sein! Und auf die gleiche Weise kannst du den Herrn auch wegen der Wiedergeburt des Geistes im Herzen und wegen des Reiches Gottes fragen, und es wird dir alsbald die klarste Antwort zuteil werden!«

11] Sagt Cyrenius: »Ja, nun ist es mir klar, warum ihr - was mich schon einige Male sehr gewundert hat - mit dem Herrn fast nie ein Wort redet! Nun, ich werde es versuchen. Wenn der Herr euch also geheim gnädig ist, da wird Er es wohl auch mir sein können! Denn daß ich Ihn über alle Maßen liebe, beweist, daß ich mein großes und schweres Regierungsgeschäft unterdessen gewisserart an den Nagel hänge und mich bei Ihm aufhalte und meine Seele stärke mit jeglichem Worte aus Seinem heiligsten Munde!

12] Ich glaube auch, daß ich aus purer Liebe zu Ihm mehr tue und mehr getan habe denn ihr alle; denn ich kannte Ihn schon als zartes Kind und habe im fremden Heidenlande gesorgt für Ihn, für Seine Eltern und Brüder! Und während ihr nur eure Fischernetze Ihm geopfert habt, bin ich, so Er es annehmen möchte, sogleich bereit, alle meine Weltwürden niederzulegen und Ihm dann als Geringster unter euch allen getreuest zu folgen und jeden Augenblick mein Leben für Ihn und euch alle in die Schanze zu schlagen, wie ich es schon ein paar Male getan habe, abgesehen von dem, was deshalb gar leicht von Rom aus über mich hätte kommen können!

13] Wenn ich aber solches alles tue aus purer Liebe zu Ihm, so wird Er mich ja doch wohl auch einer Gnade für wert halten, die Er euch in so reichem Maße zukommen läßt!?«

14] Sage Ich: »Hast sie ja schon, Mein teuerster Freund und Bruder! Was du aber hast, das brauchst du ja nicht mehr zu suchen und dich nicht mehr zu ereifern, als ob du es noch nicht hättest! Sei daher nun nur ruhig und versuche es einmal in deinem Herzen, Mich um was immer zu fragen, und Ich werde dir die Antwort klar, deutlich, verständig und wohlvernehmlich in dein Mich wahrlich über alles liebendes Herz legen!«


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