Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 35


Pharisäer erkennen, dass der 37. Psalm Davids sie und Jesus als Gegensätze beschreibt. Ihre Strategie gegen Jesus. Robans weiser Rat.

01] Als sie in ihre Wohnung kommen, da greifen sie sogleich nach Davids Psalter und schlagen gerade auf den ersten Wurf den 37. Psalm auf, und der Älteste fängt an, ihn zu lesen also:

    02] »'Erzürne dich nicht über die Bösen, sei nicht neidisch über die Übeltäter; denn wie das Gras werden sie bald abgehauen, und wie das grüne Kraut werden sie verwelken. Hoffe auf den Herrn und tue Gutes; bleibe im Lande und nähre dich redlich! Habe deine Lust am Herr; Er wird dir geben, was dein Herz wünschet: Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf Ihn! Er wird alles wohl machen und wird deine Gerechtigkeit hervorbringen wie ein Licht, und dein Recht wie den Mittag.

    03] Sei stille vor dem Herrn und warte auf Ihn; erzürne nicht über den, dem sein Mutwille glücklich vor sich geht! Stehe ab vom Zorn, und laß den Grimm; ja erzürne dich nicht, daß du dann auch übel tuest! Denn die Bösen werden ausgerottet; die aber des Herrn harren, werden das Land erben.

    04] Es ist noch um ein kleines, so ist der Gottlose nimmer; und wenn du nach seiner Stätte sehen wirst, wird er weg sein. Aber die Elenden werden das Land erben und Lust haben in großem Frieden. Der Gottlose droht dem Gerechten und beißt seine Zähne zusammen über ihn. Aber der Herr lacht über den Gottlosen; denn Er sieht es, daß sein Tag kommt. Die Gottlosen ziehen das Schwert aus und spannen ihren Bogen, daß sie fällen den Elenden und Armen und schlachten die Frommen; aber ihr Schwert wird in ihr eigenes Herz dringen, und ihr Bogen wird zerbrechen.

    05] Das wenige, das ein Gerechter hat, ist besser denn das große Gut vieler Gottlosen. Denn der Gottlosen Arm wird zerbrechen; aber der Herr wird erhalten den Gerechten. Der Herr kennt die Tage der Gerechten und Frommen, und ihr Gut wird ewiglich bleiben; sie werden nicht zuschanden in der bösen Zeit, und in der Teuerung werden sie genug haben. Denn die Gottlosen werden umkommen, und die Feinde des Herrn, wenn sie gleich sind wie eine köstlich grünende Aue, werden sie doch vergehen, wie da vergehet der Rauch. Der Gottlose borgt und bezahlt nicht; der Gerechte aber ist barmherzig und milde.'«

06] Nach diesem Verse erhebt sich ein Pharisäer und sagt zum lesenden Ältesten: »Was liesest du da für ein dummes Zeug?! Merkst du es denn nicht, daß dies alles auf der schlechten Seite uns angeht und auf der guten Seite niemand andern als den Sohn des Zimmermanns? Das ist ein ganz verdammtes Zeugnis wider uns, und du liesest die Sache so leicht und heiter fort wie irgendeine Lobschrift des Hohenpriesters aus Jerusalem an uns!«

07] Sagt der Älteste: »Freund, es schadet uns gar nicht, wenn wir dadurch vor uns selbst ein wenig heller beleuchtet werden, als wir beleuchtet sind! Es ist besser, wir erkennen uns vorher unter uns, als daß wir um eine kurze Zeit später vor der ganzen Welt als Volksbetrüger nackt dastehen sollen, verachtet und verlassen von jedermann! Denn es hängt denn doch am Ende nur allein von Gott ab, wie lange wir in unserer gegenwärtigen Art und Weise als unentdeckt bestehen sollen, und ich lese darum den sehr merkwürdigen Psalm weiter!«

08] Sagen mehrere: »Hast recht, tue das!«

09] Und der Älteste liest also weiter:

    10] »'Denn Seine Gesegneten erben das Land; aber Seine Verfluchten werden ausgerottet werden!'«

11] Hier fragt der Pharisäer ganz hastig wieder: »Wer sind die Gesegneten und wer die Verfluchten?«

12] Sagt der Älteste: »Daß wir die Gesegneten nicht sind, das ist nun bei der stets zunehmenden Verfolgung der Römer wider uns wohl schon mit den Händen zu greifen! Denn wären wir die Gesegneten, so würde uns Gott nicht solch eine nie erhörte Plage in unser gesegnetes Land gesetzt haben! Alles andere kannst du dir leicht selbst enträtseln. - Ich aber lese nun weiter:

    13] 'Von dem Herrn wird solches Mannes Gang gefördert, und Er hat Lust an seinem Wege. Fällt er, so wird er nicht weggeworfen; denn der Herr hält ihn bei der Hand. Ich bin jung gewesen und bin alt geworden; aber ich habe noch nie den Gerechten verlassen oder seinen Samen nach Brot gehen gesehen. Denn der Gerechte ist allzeit barmherzig und leihet gern dem Armen; darum wird sein Same gesegnet sein.

    14] Laß ab vom Bösen und tue Gutes! Bleibe gerecht immerdar; denn der Herr hat das Recht lieb und verläßt Seine Heiligen nie. Ewiglich werden sie bewahrt; aber der Gottlosen Same wird ausgerottet werden. Allein die Gerechten erben das Land und bleiben ewiglich darinnen.

    15] Der Mund des Gerechten redet die Weisheit, und seine Zunge lehret das Recht; das Gesetz Gottes ist in seinem Herzen, und seine Füße gleiten nicht. Der Gottlose aber lauert stets auf den Gerechten und sucht ihn zu töten. Aber der Herr läßt ihn nicht in des Gottlosen Händen, und verdammt ihn nicht, wenn er vom Gottlosen verurteilt wird.

    16] Harre auf den Herrn und halte Seinen Weg, so wird Er dich erhöhen, daß du das Land erbest; und du wirst es dann sehen, daß die Gottlosen ausgerottet werden!

    17] Ich habe einen Gottlosen gesehen, der war sehr trotzig, breitete sich aus und grünte wie ein Lorbeerbaum. Als man aber vorüberging, siehe, da war er schon dahin; und als ich nach ihm fragte, war er nirgends zu finden!

    18] Darum bleibe fromm und halte dich recht; denn solch einem wird es zuletzt gut gehen! Die Übertreter des Gesetzes Gottes aber werden vertilgt werden miteinander, und die Gottlosen werden zuletzt ausgerottet! Der Herr allein aber hilft den Gerechten in jeglicher Not und ist ihre alleinige Kraft und Stärke. Der Herr wird ihnen beistehen und wird sie erretten. Er Selbst wird sie von den Gottlosen erretten und wird ihnen helfen; denn sie trauen auf Ihn.'«

19] Als der Älteste nun mit dem Psalm zu Ende war, fällt ihn der Pharisäer ganz zornig an und schreit: »Du alter Esel, merkst du es denn nicht, daß wir durch diesen Psalm als die Gottlosen bezeichnet werden, und die, die es mit Jesus halten, als die Gerechten? Merkst du nicht, daß wir ausgerottet werden, und sie bleiben im Lande? Trachten nicht eben wir, ihn als den Gerechten zu töten, während Gott ihn erhält? Das ist ein schöner Psalm für uns!«

20] Sagt der Älteste: »Ich habe ihn nicht geschrieben! Er steht im Buche; und so wir bleiben, wie wir sind, so werden wir ihn uns auch tatsächlich gefallen lassen müssen! Verstehst du solches und die Macht Gottes?!«

21] Sagt ein anderer: »Diese Sache verstehe ich besser als ihr alle! Unser Freund Roban hat müssen diesen Psalm lesen; das hat des Zimmermanns Sohn mit seiner, uns allen freilich höchst unbegreiflichen Zaubermacht bewirkt! Denn so er die ganze Familie, bei der wir soeben vergebens unser goldenes und silbernes Heil suchten, mit einem Worte zu heilen imstande ist, so ist er ebensogut auch imstande, uns zu nötigen, nur solche Psalmen zu lesen, die alleroffenbarst ebensogut wider uns, als dereinst wider die Feinde Davids, Zeugnis geben.

22] Zudem soll der alte Joseph wirklich von David in guter Linie ein Abkömmling sein, und man nennt nun Jesus, weil auch Josephs zweites Weib, Maria, aus demselben Stamme sei, einen 'Sohn Davids', aus welchem Grunde der alte Joseph, der stets ein schlauer Fuchs war, auch höchstwahrscheinlich ganz geheim alle möglichen Künste mag seinen Sohn haben lernen lassen, auf daß dieser mit seinen Zaubereien die abergläubischen Römer und Griechen breitschlüge, sich dann als ein Sohn Jupiters oder Apollos vorstelle und die Römer ihn sonach unfehlbar zu ihrem Kaiser ausrufen und erheben müßten! Und wenn die in Rom residierenden Herren so blind sind wie diese, die hier über Asien zu befehlen haben, die Jesus schon sozusagen in seinem Sacke hat, so kann es ihm auch gar nicht fehlen, daß er in jüngster Zeit den Römern Gesetze vorschreiben wird, - und wir sind dann alle versorgt!«

23] Sagt ein anderer: »Solch einem Unternehmen wird sich etwa durch ein Geheimschreiben an den Kaiser wohl ein Riegel vorschieben lassen!«

24] Sagt der erste: »Du wirst dem schwer einen Riegel vorschieben, der mit seinem zauberischen Sehvermögen alles erschaut, was du noch so verborgen denkst! Wer sonst als er hat uns auf dem Heimwege mit dem Donnerknall erschreckt, weil er sicher vernommen hatte, was wir untereinander geredet haben wider ihn?! Und wer sonst als er hat uns den scharf wider uns zeugenden Psalm lesen lassen? Und warum? Weil er sicher gewußt hat, was wir wider ihn beschließen wollten! Gehe hin, setze dich an den Schreibtisch, und versuche es mit einem Geheimschreiben an den Kaiser - und ich stehe dir dafür, daß du entweder nicht imstande sein wirst, auch nur ein Wort niederzuschreiben, oder du wirst wider dich ein gräßliches Zeugnis zu zeichnen genötigt werden durch seine unbegreifliche, geheime Zaubermacht!

25] Zudem ist selbst unser Oberster Jairus für ihn nun mit Leib und Seele eingenommen, da er ihm zwei Male die Tochter erweckt hat vom Tode, und unterstützt ihn mit allem, was dieser nur wünscht - und wir vermögen darum auch nichts in Jerusalem wider ihn auszurichten. Kurz und gut, wir sind nun von allen Seiten vernagelt und gebunden und können uns gegen ihn nicht rühren. Am besten dünkt es mich noch, zum bösen Spiele eine gute Miene zu machen oder uns vollends zu seinen Jüngern zu bekennen - sonst können wir nichts für uns Ersprießliches wider ihn tun, da wir nicht einmal also etwas zu denken vermögen, daß er es nicht auf der Stelle in die durchdringendste Erfahrung brächte.«

26] Sagt der alte Roban: »Der Meinung bin ich auch! Es steht uns wirklich nur der einzige Weg offen: daß wir uns entweder ganz indifferent (gleichgültig) verhalten, oder wir alle schlagen uns zu seiner Lehre und tun, was er uns ratet oder gebietet; denn wider diesen Stachel läßt sich vorderhand gar nicht löcken!«

27] Sagen alle: »Wir wollen uns ganz indifferent halten, das wird das beste sein; denn da verfeinden wir uns weder mit Rom noch mit Jerusalem, und darin besteht nun alle Klugheit, nach der wir unser Leben einzurichten haben.«

28] Nachdem begeben sich alle zur Ruhe, und ein jeder denkt sich seinen Teil heimlich, was er für sich tun solle.


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