Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 01, Kapitel 151


Jesu Besteigung des Morgenkopfs und Besuch der Alpwirtschaft des Kisjonah.

01] Die Vorgesetzten zu Kapernaum aber beriefen andere und sandten sie Mir nach. Aber auch diese hatten viel mit Sturm zu kämpfen; denn es war schon die Zeit des Herbstes, eigentlich des Vorherbstes, was da die Hundstage sind, nahe, und in solcher Zeit waren stets Stürme in Galiläa und um so mehr am Meere dieses Landes. Und sie kamen erst am fünften Tage an dem Orte, da Ich Mich noch aufhielt, an und begehrten mit Mir zu reden. Ich aber ließ sie nicht vor, denn Ich wußte es, was sie wollten, sondern ließ ihnen andeuten, dass Ich Mich hier noch länger aufhalten und von da aus die benachbarten Orte besuchen werde, - und sie möchten sich ruhig verhalten, ansonst es ihnen gar übel bekommen möchte!

02] Es war aber gerade der Nachsabbat, was nun der Sonntag ist, und dazu ein äußerst reiner und schöner Tag, und Kisjonah kam zu Mir und machte Mir und allen Anwesenden den Antrag, den nächstliegenden, sehr hohen Berg zu besteigen.

03] Es war dies ein Berg, der noch keinen Namen hatte. Denn es war damals die Erdkunde noch sehr in der Kindheit, und so hatten die meisten Berge, Täler, Ebenen, Seen, Bäche und kleineren Flüsse keine allgemeinen eigenen Namen, sondern bloß nur, wie sie dann und wann von ihren nachbarlich wohnenden Menschen benamset wurden; am schwersten ging es aber immer mit den Namen der Berge.

04] Berge, die nicht einzeln wie ein Tabor, ein Libanon, ein Ararat und ein Sinai dastanden, sondern zu einer großen und weit ausgedehnten Gebirgskette gehörten, hatten gewöhnlich keine eigenen Namen, außer teilweise einen örtlichen und zeitweiligen, und nicht selten nach irgend einem reichen Gebirgsbesitzer, der da seine Herden unterhielt; kam mit der Zeit ein anderer Besitzer, so bekam so ein Berg auch einen andern Namen, und so war denn auch dieser Berg, weil er ein Eigentum des Zöllners war und eigentlich schon nach Griechenland (das heißt politisch als römische Provinz) gehörte, nach dessen Besitzer benamset.

05] Es war darum auch dieser Ort, als an der Grenze zwischen Galiläa und Griechenland liegend, ein Hauptmautpunkt (Maut = Zoll) weil von da ein ziemlich wohlgebahnter Saumweg aus Galiläa übers Gebirge nach Griechenland führte, den viele Tausende von allerlei Kaufleuten durchzogen und auf Kamelen, Saumrossen und Eseln ihre mannigfachen Waren fortschafften.

06] Als die neu angekommenen Pharisäer vernahmen, dass wir den hohen Berg besteigen wollten, so baten sie den Kisjonah, ob sie bei der Gesellschaft sein dürften. Kisjonah sagte: »So ihr guten Willens sein wollt oder könnt, so ist der Berg, der von hier gen Griechenland hin bei zwanzig Stunden Weges in der Länge und bei fünf Stunden Weges in der Breite völlig mein Eigentum ist, raumhältig zur Genüge, um auch euch aufzunehmen. Aber als böswillige Spione der Priesterschaft von Kapernaum und Jerusalem könnte ich, als ein Grieche und nun glühendster Anhänger der heiligen und nach meiner Überzeugung allein wahren Lehre dieses göttlichsten Meisters aller Meister, euch durchaus nicht brauchen und müßte durch jedes mir zu Gebote stehende Mittel mich vor eurer Gesellschaft verwahren! Fragt euer Herz! Ist das rein, so habt ihr freien Paß; ist es unrein, so mögt ihr alsbald wieder dahin ziehen, von wannen ihr gekommen seid!«

07] Sagen die Pharisäer: »Wir sind rein und haben kein Falsch in unseren Herzen. Wir sind Bekenner Mosis und sind Juden, so wie auch Jesus ein Jude ist und das Gesetz Mosis nimmer verderben kann. Es geht aber von allen Seiten her ein gewaltiger Ruf von seinen Taten und Lehren, und es muß uns darum sehr daran gelegen sein, ob seine Lehren und Taten den Moses nicht auflösen. Bestätigen sie Moses und die Propheten, so werden auch wir sie annehmen; tun sie das Gegenteil, so versteht es sich wohl von selbst, dass wir dagegen sein müssen!«

08] Sagt der Zöllner: »Wie ihr nun hier geredet habt, so redeten eure Vorfahren alle auch zu den Propheten und haben sie nachher als Gottesleugner gesteinigt, und mir sind sehr wenige bekannt, die nicht gesteinigt worden wären. Und doch zieht ihr bei jeder Gelegenheit die Propheten an und rühmet euch ihrer! Eure Vorfahren aber waren gerade das, was ihr seid, und ihr seid alle um kein Haar besser, als da waren eure Vorfahren, die die Propheten steinigten. Daher traue ich euch gegenüber diesem heiligen Propheten aller Propheten auch nicht.

09] Wohl nennt ihr euch Bekenner Mosis; aber in eurem Tun seid ihr dem Moses ferner als diese Erde vom Himmel! Prüft euch darum, ob ihr würdig seid, mit uns zu besteigen diesen meinen Berg!«

10] Sage Ich zu Kisjonah: »Laß sie mitziehen! So es ihnen zuviel sein wird, werden sie wohl umkehren; denn von denen hat noch nie einer einen Berg bestiegen! Vielleicht reinigt dieses hohen Berges reinste Luft ihre Herzen in etwas.«

11] Kisjonah stellte sich damit zufrieden, und wir traten mit allem möglichen versehen den Weg aufwärts an.

12] Und die fünf Töchter fehlten nicht und waren wie die Küchlein um Mich, befragten Mich um gar verschiedene Dinge der Urschöpfung und übers Werden solcher Berge, und Ich erklärte ihnen alles nach dem Grade ihrer Fassungskraft. Auch die vielen Jünger und eine Menge Volks, das uns begleitete, horchten, wo sie nur konnten, Meinen Besprechungen zu und ergötzten sich höchlichst daran.

13] Nathanael aber, der am meisten von Meiner Göttlichkeit durchdrungen war, redete von Zeit zu Zeit mit dem Berge und sagte: »O Berg! Fühlest du, wer Der ist, der nun Seine Füße auf dich setzt?« Und sooft Nathanael solch eine große Frage an den Berg stellte, erbebte der Berg so, dass es alle wahrnahmen.

14] Die Pharisäer aber gerieten in eine große Furcht darob und fingen an, das Volk zu bereden, dass es sich nicht weiter hinauf wagen solle. Es könnte das von alters her ein heiliger Berg sein, den kein Unwürdiger betreten dürfe, ansonst der Berg zu beben und zu toben anfinge und wegen des einen Unwürdigen alle verderbe!

15] Das Volk aber sagte: »Da kehrt nur ihr allein um; denn unsertwegen hat der Berg, den wir schon oft bestiegen haben, noch nie gebebt!«

16] Da fingen die Pharisäer an übers Volk zu murren. Und der Berg erbebte wieder während des Murrens der Pharisäer, und diese kehrten darauf schnell um und liefen, was sie laufen konnten, vom Berge wieder in die Ebene hinab, und wir waren auf diese Weise auf einmal die lästigen Begleiter los.

17] Wir setzten dann unsere Reise ganz ruhig weiter fort und erreichten bis gegen Abend die weit gedehnten Alpenwirtschaften des Kisjonah, allwo wir auch übernachteten. Erst am zweiten Tage machten wir wegen der Müdigkeit der Weiber uns an die Besteigung der höchsten Spitze dieses Berges, von der aus man eine ungemein schöne und weite Aussicht über ganz Judäa, Samaria, Galiläa und einen großen Teil Griechenlands (wohl die Provinz Phönizien gemeint) hatte.



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