Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 01, Kapitel 146


Bekehrung des Zöllners Kisjonah. Ärger der Pharisäer und Erzjuden über Jesus und die Töchter Kisjonahs.

01] Als Ich solche Rede beendet hatte, trat aus der Volksmenge ein Zöllner zu Mir, dessen Herz schon lange für Mich glühte, obschon es sich mancher Sünden bewußt war. Dieser fiel vor Mir auf sein Angesicht und sprach:

02] »O Herr! Hier im Staube liegt einer vor Dir, der wohl ein großer Sünder ist, Dich aber dennoch über alle Maßen zu lieben wagt. Siehe, Herr, es ist schon hohe Mittagszeit; gern möchte ich Dich und alle Deine Jünger zu Tische bitten, so ich wert wäre, dass Du eingehen möchtest unters Dach meines Hauses! Ich und mein Haus sind zu unrein und sündhaft für Dich; aber in meiner Speiseküche sind bereitet reine Speisen und Getränke. O erweise mir armem Sünder die Gnade, dass ich die Speisen durch reine Hände für Dich hierher schaffen darf!«

03] Sage Ich: »Kisjonah! Stehe auf, Ich werde mit dir ziehen in dein Haus und werde bei dir Mittag halten! Deinem Hause widerfahre ein großes Heil, nicht deiner Sünden wegen, sondern deiner wahren Liebe und Demut wegen, darum dir auch alle Sünden also verziehen sind, als hättest du nie gesündigt!«

04] Darauf erhob sich der Zöllner Kisjonah, und Ich ging mit ihm samt vielen Jüngern in sein Haus. Über hundert an der Zahl fanden daselbst eine reichliche Bewirtung, und es fehlte nicht am besten Weine.

05] Es war aber außer Meinen Jüngern noch eine große Menge Volkes aus allen Orten Galiläas und auch Judäas daselbst versammelt, das Mich bis ans Haus des Kisjonah geleitete; und Kisjonah ließ ihm, weil es im Hause keinen Platz haben konnte, im Freien Brot und Wein reichen darum, dass es bei Mir war.

06] Natürlich fehlte es bei solchen Gelegenheiten nie an Pharisäern, die von Kapernaum aus Mir überallhin folgten. Da Mich nun diese abermals recht heiter und fröhlich essen und trinken sahen, und wie Ich auch bei Tische den reuigen Zöllnern - was, von den Juden aus betrachtet, soviel ist als Stocksündern - Meine Hände in aller Freundlichkeit reichte und sie gar Meine lieben Freunde nannte, da war es schon wieder aus bei den Pharisäern und andern Erzjuden.

07] Besonders aber ärgerte es die Pharisäer und die Erzjuden, als Ich nach Tische mit den Zöllnern Arm in Arm in einem schönen großen Garten, der am See lag, lustwandeln ging und Mich auch gegen die fünf sehr artigen Töchter des Kisjonah so recht herzlich gut und freundlich benahm, weil sie wirklich mit der innigsten Liebe zu Mir erfüllt waren. Ich nannte sie wohl auch gar liebfreundlich »Meine lieben Bräute«, was die Pharisäer gar entsetzlich sündhaft dünkte!

08] Als Ich gar erst gen Abend die Einladung annahm, über die Nacht dort zu verbleiben, und Ich dem Kisjonah endlich freiwillig zusagte, dass Ich wenigstens drei Tage hindurch und vielleicht noch länger bei ihm verweilen werde, da war es ganz und gar aus bei den Pharisäern und Erzjuden, »So-«, sagten sie, »mit solchem Gesindel, mit solchen Erzsündern und Zöllnern gibt er sich ab, ißt und trinkt mit ihnen Freundschaft, berauscht sich förmlich und wandelt dann als ein feiner Mann mit den sündhaftesten Töchtern der Erzsünder, tut ihnen schön und predigt am Ende mit gar süßen und zarten Worten solchen Erzhuren das Evangelium Gottes, anstatt dass er uns geböte, diese Scheusale zu ergreifen und zu verbrennen! Das wäre uns ein schöner Messias! Jetzt, wo ihn die fünf üppigen Huren für sich eingenommen haben, will er gar, Gott weiß wie lange, da verbleiben.

09] Gehen wir weiter! Was sollen wir ferner noch bei ihm? Wir wissen nun vollkommen, was an ihm ist. Eine geraume Zeit sind wir nun schon um ihn; hat ihn jemand von uns schon beten sehen? Wer sah ihn je fasten? Den Sabbat achtet er nicht, die größten Erzketzer und Heiden, Griechen und Römer, Zöllner, Erzsünder und üppige, geschmeidige Huren sind seine Freunde und Freude, und dann ein gutes Essen und viele Becher des besten Weines!

10] Mit einem Wort, er ist nichts anderes als: erstens ein ausgepichter Magier aus der Schule des Pythagoras und versteht damit zu wirken! Dazu ist er ein Wohlredner, was ein jeder Magier sein muß, um seine Kunst leichter an den Mann zu bringen. Er nimmt zwar dafür kein Geld an; aber ist denn das gar so was Lobenswertes? O das tun alle Magier im ersten Jahre, damit sie desto eher zur Berühmtheit gelangen; haben sie diese, dann haben oft Könige nicht Schätze genug, um solche Künstler zu befriedigen!

11] Wozu aber benötigte dieser auch des Geldes? Zu essen und zu trinken bekommt er umsonst, soviel er nur immer will, - und sonst braucht er nichts! Dazu ist er zweitens ein Fresser und Vollsäufer und ein Sündergeselle und hat sogestaltig ein Leben nach Wunsch. Und drittens braucht er auch keinen Gott und Dessen Gesetz; denn er dünkt sich, dass er gleich selbst ein Gott sei oder wenigstens ein Sohn Desselben, den unser Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs mit der uns nur zu bekannten Maria von Nazareth soll gezeugt haben. Wer von uns ist wohl so dumm, dass er solchen neugebackenen, echt heidnischen Magierschwank nicht merke auf den ersten Augenblick?!

12] Kurz, wir wissen nun genug, und so ist es hohe Zeit, dass wir uns entfernen von ihm; sonst tut er uns noch was an, und wir sind ohne Rettung des Teufels! - Da, seht nur hin, wie er mit den fünf Töchtern dieses verhaßtesten Zöllners schöntut, und wie ihn diese förmlich anbeten! Ich wette tausend Pfund auf einen Stater, dass dieser Prophet und Heiland, so er heute nach Jerusalem kommt, nur zu bald mit der Königin aller Huren, mit der weltberühmten Maria von Magdalon, die intimste Bekanntschaft machen und die süßeste Freundschaft schließen wird, - vielleicht auch mit der Maria und Martha von Bethanien, die nach der Maria von Magdalon von den Großen Jerusalems die meisten Besuche haben sollen!«

13] Sagt ein anderer, der etwas bessere Augen hat, zum ersten Redner, der ein Pharisäer ist: »Du hast zwar durchaus nicht ganz unrecht; aber so du gedenkst der nahe ähnlichen Szene im Hause des Zöllners Matthäus, so haben wir auch dort also geurteilt, sind aber dann von seiner Weisheit dennoch ungeheuer breitgeschlagen worden und konnten ihm auf tausend nicht eins erwidern! Wie, so er hier gegen uns wieder laut würde?! Würdest du wohl für uns alle die Verantwortung übernehmen?«

14] Sagt der erste: »Was du weißt, das weiß ich auch; denn ich habe alles wie du erfahren. Er wird Ausflüchte in schwerster Menge finden; dazu ist er ein Redner und ein Hauptmagier. Aber unser Verstand muß uns da zurechtweisen; und der Verstand weist uns nun zurecht und sagt: 'Geht eher, als bis ihr ganz des Teufels werdet!' Und wir wollen solchem Rate des Verstandes hoffentlich doch Folge leisten!? Oder sollen wir im Ernste des Teufels werden wollen? Nein, bei Gott! Das sei ewig ferne von uns allen; denn wir haben Abraham zum Vater, und dessen Vater ist Gott, und so wollen wir uns nicht gleich den Heiden von diesem Magier übertölpeln lassen!«

15] Sagt wieder der zweite: »Aber seine Lehre ist rein und der Natur des Menschen völlig angemessen, und es schaut doch nirgends etwas Teuflisches heraus! Ganz bin ich da deiner Meinung nicht, indem uns Moses selbst im Grunde doch dasselbe lehrte als dieser Nazaräer.

16] Gott lieben über alles und den nächsten Bruder wie sich selbst, das Böse nicht mit Bösem vergelten, sogar den Feinden Gutes tun und die segnen, die uns fluchen, dabei demütig und voll Sanftmut sein, - da schaut wahrlich durchaus keine Teufelei heraus!«

17] Sagt der erste: »Für dich freilich nicht, weil du schon des Teufels bist! Weißt du denn nicht, dass der Teufel eben dann am gefährlichsten ist, wenn er im Lichtgewande eines Engels auftritt?!«

18] Sagt der zweite: »Wenn du solche Altweibersagen zur Richtschnur deines Lebens nimmst, dann ist mit dir auch kein Wort mehr zu reden! Wo steht denn der Ochse oder Esel, der je einen Satan im Gewande eines Gottesengels gesehen und gesprochen hat? Wahrlich, hier tust du samt allen deinen Kopfhängern diesem Manne unrecht!

19] Wir wissen nichts Arges von ihm, wohl aber viel Gutes und nie erhört Wunderbares. Warum sollen wir ihn dann sogleich richten, so wir es sehen, dass er auch mit Sündern wie mit Gerechten umgeht und mit ihnen viel Geduld und eine große liebevolle Nachsicht hat?«



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