Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 1, Kapitel 41


Weitere Kritik des Oberpriesters wegen Jesu harter Bergpredigt-Lehre. Gleichnis vom verschlossenen Wasserkrug. Jesu Geduld mit dem ernsthaften Wahrheitssucher. Verweisung an Nathanael.

01] Sagt der Oberpriester: »Ja, ja, Du sollst auch darin recht haben, und ich will und kann es vorderhand auch nicht bekämpfen, ob, wie und was für Geistiges sich innerhalb Deiner aufgestellten Lehrbilder birgt; aber das mußt Du mir denn doch gelten lassen, daß, so zum Beispiel ich jemandem eine Lehre gebe, von der ich wünsche, dass sie von ihm als meinem Jünger verstanden und ausgeübt werden solle, ich die Lehre doch notwendig also stellen muß, dass sie von meinem Jünger ihrem wahren Geiste nach verstanden werde. Weiß ich nun, dass mein Jünger meine Lehre dem Geiste der inneren Wahrheit nach vollends aufgefaßt hat, so kann ich dann an meinen Jünger auch vollrechtlich die Forderung stellen, dass er ein Täter meiner Lehre werde.

02] So ich aber jemandem eine Lehre gebe in solchen Bildern, die an und für sich unmöglich zu beachten sind, und so mich dann der Jünger fragte und sagte: 'Was soll das? Wie soll ich mir das Leben nehmen, um das Leben zu gewinnen? Wie soll ich mich töten und dann als ein Toter aus dem Tode ein neues, ja ein ewiges Leben nehmen?', - da werde ich zu ihm sagen: 'Sieh, Freund, dieses mußt du so und so verstehen und nehmen! Denn sieh, zwischen dem dir gegebenen Lehrbild und der in ihm enthaltenen Wahrheit besteht diese und diese geistige Entsprechung; und dieser Entsprechung, aber nicht dem äußern Bilde zufolge mußt du dein Leben einrichten!'

03] Siehe Meister, dann wird es der Jünger verstehen, und ich kann, wie schon früher bemerkt, dann vollrechtlich von ihm verlangen, dass er nach dem Geiste der Wahrheit meiner Lehre tätig werde! Kann ich aber das auch verlangen, ohne ein Narr zu sein, dass er mein hartes Lehrbild zur Tat erhebe? Und forderte ich das im Ernste von meinem Jünger, da müßte ich doch vor allen denkenden Menschen mich also ausnehmen als wie einer, der in einem wohlverschlossenen Kruge Wasser trüge; ein Durstiger aber käme zu ihm und bäte ihn, dass er ihm gäbe zu trinken, der Wasserträger aber reichte ihm wohl sogleich den verschlossenen Krug und spräche: 'Da hast du den Krug, - trinke!'; der versuchte aber nun zu trinken, fände aber keine Öffnung und fragte den Träger: 'Wie kann ich daraus trinken? Ist doch der Krug von allen Seiten verschlossen!'; der Träger aber zu ihm sagte: 'So du blind bist und die Öffnung nicht finden magst, da verschlinge den ganzen Krug, und du wirst also schon auch das Wasser mitverschlingen!'

04] Sage mir, Du sonst lieber und weiser Meister, was wohl müßte der Durstige solch einem Wasserträger sagen?! Ich meine, dass der Durstige hier wohl das vollste Recht hätte, solch einen Wasserträger einen Narren zu schelten.

05] Ich will Dich darob aber geradewegs keinen Narren schelten; aber so Du sagst, dass wir den Geist Deiner Lehre ob unserer geistigen Blind- und Taubheit nicht sehen und fassen können, so ist Deine Lehre dennoch gleich dem Wasser im verschlossenen Kruge, den der Durstige im Ernste samt dem Wasser verschlingen solle, ein Verlangen, das nur ein einem Tollhause entlaufener Prophet aufstellen könnte! - Nimm Du nun die Sache wie Du willst! Solange Du Deiner Lehre, die in manchen Einzelsätzen viel Gutes und Wahres enthält, keine genügende Erklärung beifügest, bleibe ich und viele heller Denkende bei diesem gemachten Ausspruche! Denn das wirst Du nie erleben, dass wir nun sogleich Deiner Lehre wegen werden anfangen, uns Hände und Füße abzuhauen und die Augen auszureißen! - Auch werden wir arbeiten wie zuvor und verdienen im Schweiße unseres Angesichtes unser Brot, und der sich arglistigerweise an uns vergreifen wird, der wird der gerechten Züchtigung nicht entgehen!

06] Also werden wir auch dem Diebe, der uns einen Rock stiehlt, den Mantel nicht gratis hinzugeben, sondern den Dieb ergreifen und ins Gefängnis werfen, allwo ihm eine hinreichende Zeit belassen werden soll, seine schlechte Tat zu bereuen und sein Leben zu bessern! Wenn Du ein wahrhaft aus Gott hervorgegangener Weiser bist, so mußt Du auch von der heiligen Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Mosaischen Gesetzes, das Gott Selbst unter Blitz und Donner den Israeliten in der Wüste verkündet hat, durchdrungen sein! Willst Du aber mit Deiner Lehre das Gesetz brechen, dann magst Du zusehen, wie Du dabei mit Jehova auskommen wirst!«

07] Sage Ich: »Ich aber bin der Meinung, dass es dem Gesetzgeber freistehe, das Gesetz zu belassen und es selbst dem Geiste und der Wahrheit nach zu erfüllen, oder es aber auch ganz aufzuheben unter gewissen Bedingungen!«

08] Sagt der Oberpriester: »Das klingt sehr sonderbar aus Deinem Munde nun! Heute morgen hätte ich solch ein Wort aus Deinem Munde geehrt, denn da kam es mir wahrlich stark vor, dass Du im Ernste der Verheißene wärest! Aber nach dieser Deiner nun an uns ergangenen Lehre bist Du in meinen Augen zu einem Tollhäusler geworden, dem es beliebt, uns seine fixen Ideen als eine Weisheit des verheißenen Messias aufzutischen. Darum rede nun lieber erklärend über Deine harte Lehre, die ohne genügende Erklärung wohl kein Mensch je fassen und danach tätig werden kann!«

09] Sage Ich: »So rede denn, was dich so sehr beirrt in Meiner Lehre, und Ich will es dir lösen!«

10] Spricht der Oberpriester: »Ich habe es Dir zwar wohl schon etliche Male gesagt; aber damit Du siehst, dass ich gewiß sehr billig und mäßig bin, so sage ich Dir nun, dass ich alle anderen Punkte Deiner Lehre als gute und weise Stücke zum Danachhandeln annehme, aber das Augenausreißen und Hand- und Fußabhauen kann ich doch unmöglich annehmen (Matthäus.05,29-30)! Bedenke doch nur Selbst, ob es wohl in der Möglichkeit liege, sich ein Auge auszureißen! Wird derjenige, der sich selbst eine Hand oder einen Fuß abhaut, nicht alsbald sich verbluten und sterben?! Und so er tot ist, welche Früchte der Besserung wird er dann bringen können?!

11] Sieh, das ist der unpraktischeste Punkt Deiner Lehre, der unmöglich je vernünftigerweise befolgt werden kann! Und sollten sich wirklich je irgend Narren vorfinden, die solche Lehre an sich ausübten, so werden sie darob sicher nicht besser werden; denn so dabei jemand mit dem Leben davonkommt, so wird er Gott nicht loben des Elends wegen, in das ihn solche Gottes sein sollende Lehre gestürzt hat. Stirbt er aber, was am sichersten anzunehmen ist, so frage ich mit David: 'Herr, wer wird Dich im Tode loben und wer Dich preisen im Grabe?!' Also diesen Punkt wenigstens erkläre uns deutlicher, alles andere wollen wir als eine freilich wohl auch auf die höchste Spitze getriebene - Humanitätslehre annehmen!«

12] Sage Ich: »Nun gut; dein Begehren ist billig, und Ich sage es dir: Unter allen Priestern nach Samuel bist du der weiseste, da du eines guten Herzens bist, Meine Lehre im Grunde nicht verwirfst, sondern sie nur beleuchtet haben willst; und Ich will dir darum auch ein Licht geben! Aber nicht aus Meinem Munde, sondern aus dem Munde eines Meiner Jünger soll dir Licht werden! Wende dich daher an einen Meiner Jünger, auf dass dir daraus klar wird, dass Meine Lehre schon jetzt ohne Meine Erklärung den Menschen klar geworden!«



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