Jakob Lorber: 'Bischof Martin - Die Entwicklung einer Seele im Jenseits'


165. Kapitel: Johannes im Zwiegespräch mit dem Sonnenweisen. Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf.

Originaltext 1. Auflage 1896 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text u. Versnummerierung nach 3. Auflage 1960 Lorber-Verlag

01] Spricht darauf Johannes: „Lieber Freund! Ich habe den Sinn deiner Rede genau erwogen und fand, daß er in sich selbst betrachtet ganz richtig ist; nur muß ich dir dabei das bemerken, daß du hier die beiden Extreme zu schroff behandelt hast, und hast eine zu scharfe Grenzlinie gezogen.

02] Es ist allerdings wahr, daß der Schöpfer nie Geschöpf, und das Geschöpf nie der Schöpfer werden kann; aber nichts destoweniger ist dabei der Schöpfer in irgend einem Nachtheile, und eben so wenig in irgend einem besonderen Vortheile gegen das Geschöpf.

03] Denn fürs erste hat Er zur Hervorbringung des Geschöpfes durchaus keine andere Materie, als Sich Selbst, d. h. Er muß das Geschöpf aus derselben Substanz bilden, als aus welcher Er selbsten bestehet von Ewigkeit; fürs zweite aber muß Er dann dieses Geschöpf alsogestaltig auch fortan aus Sich selbst erhalten, während das Geschöpf seinem Schöpfer gegenüber nichts zu thun hat, als blos nur zu sein.

04] Und so es also ist, wie es der Schöpfer eigentlich haben will, nämlich in der fürs Geschöpf bestimmten Ordnung, so kann das Geschöpf ebenfalls in die Vollkommenheit seines Schöpfers eingehen, es kann die Kindschaft Gottes erlangen, und dann mit Ihm sozusagen in einem und demselben Hause wohnen, und alle Seine Rechte gebrauchen und genießen! und ich meine, daß sich dann in diesem Falle der Schöpfer wie das Geschöpf gegenseitig sehr wenig werden zu Gute zu halten haben!

05] So lange Schöpfer und Geschöpf zur Folge der ihm ertheilten moralischen Willensfreiheit eben im Wollen und Handeln sich einander gegenüberstehen, so lange freilich ist dein aufgestellter Grundsatz richtig; denn die Priorität des Schöpfers kann da unmöglich je in einen Zweifel gezogen werden, weil sie wirklich eine unwidersprechliche Nothwendigkeit ist.

06] Aber so das Geschöpf durch Erkenntniß und thätigen Willen des geoffenbarten Willens des Schöpfers die Scheidewand selbst zerstört, dadurch den Schöpfer in sich selbst aufnimmt, und auf die Weise vollends Eins wird mit Ihm, da fragt sich dann:

07] Wo ist der Schöpfer, als ewig Einer und derselbe, mehr Schöpfer, in Sich, oder im Geschöpfe? Was ist hier älter, das Geschöpf als identisches Wesen mit und in dem Schöpfer, oder der Schöpfer als identisches Wesen im Geschöpfe?! Denn Er Selbst spricht: Ihr seid in Mir und Ich in euch!

08] In diesem Falle, der wahr und unleugbar ist, glaube und meine ich, aus der Fülle meiner hellsten Anschauung, hast du lieber Freund deine Saiten etwas zu stark angezogen, und wirst daher schon müssen mit dir etwas handeln lassen! Was meinst du in dieser Hinsicht?"

09] Spricht der Weise: „Lieber Freund! ich sehe, daß du ungeheuer weise bist, und es läßt sich deinen aufgestellten Grundsätzen gegenüber nichts einwenden; aber nur meine ich, daß das produktive Wesen dem Schöpfer gleichfort eigen bleibt, ob Er für Sich ganz isolirt dastehet, oder ob Er Seiner ausfließenden Wirkung zufolge sein Geschöpf wie ein Gefäß mit Sich Selbst erfüllt; es versteht sich von selbst, nach dem Maaße der dem Geschöpfe ertheilten Aufnahmefähigkeit!

10] Denn daß das Geschöpf nie die ganze unendliche Fülle der Urgottheit wird in sich aufzunehmen im Stande sein, darüber dürfte wohl kein Zweifel sein?! Ich meine, die Beantwortung dieser Frage liegt schon im Begriffe Unendlichkeit, die nur wieder von derselben Unendlichkeit, nie aber von einer aus ihr genommenen Endlichkeit ausgenommen werden kann!

11] Siehe, wir sehen von dieser unserer Welt eine Sonne, deren Größe der Größe unserer Welt, nach unseren Berechnungen, viele tausendmal tausend Male überlegen sein wird; aber so ich gar oft beobachtet habe, wie selbst die kleinsten Thautröpfchen das Bild jener großen Welt in sich zwar gestaltlich, wie für das Volumen ihres Wesens hinreichend effektiv, also vollkommen aufnehmen, so unterliegt es sicher auch keinem Zweifel, daß wir Geschöpfe auf eine ähnliche Weise den Schöpfer in uns wohl aufzunehmen vermögen, insoweit Er von uns zu unserer Vollendung aufgenommen werden kann.

12] Aber wie weit bleibt da das Sonnenbild im Thautropfen von der wirklichen Sonne zurück, und wie weit erst das Geschöpf mit seinem Schöpferbilde hinter dem wirklichen Schöpfer!? Ich glaube, es dürfte sehr schwer eine Zahl zu ermitteln sein, durch die man angeben könnte, wie viele solcher Thautröpfchen dazu erforderlich wären, um nur das wahre Volumen jener Sonne darzustellen, die sich in ihnen wohl Eonen male abbildet?!

13] Und doch stehen sich hier nur zwei begrenzte Dinge gegeneinander! Wie aber wäre dann erst da eine alles ausgleichende Bestimmung möglich, wo sich die ewige Unendlichkeit und eine sicher kaum beachtbare zeitliche und räumliche Begrenztheit begegnen!?

14] Es ist übrigens nicht in Abrede zu stellen, daß das schöpferische Wesen im Geschöpfe identisch ist mit dem Schöpfer, wie auch umgekehrt; aber ich frage: in welcher Proportion?! Und diese Proportion muß doch auch in eine sehr große Beachtung gezogen werden, weil aus ihr nur zu klar hervorgeht, daß zwischen Schöpfer und Geschöpf trotz aller natürlichen und moralischen Identisirung dennoch eine solche Kluft für ewig stehen bleiben muß, weil sie weder von einer noch von der andern Partei je völlig überschritten werden kann!

15] Und so bleibe ich insoweit bei meinem Grundsatze stehen, insoweit die beiden Gegensätze nie vollkommen in Eins zusammenfallen können! Will mich aber dadurch dennoch nicht gegen eine tiefere Belehrung verwahren, im Gegentheile, es wird mir jede tiefere Belehrung in dieser Sache im höchsten Grade willkommen sein; daher ich mich auch sehr freue, dich darüber weiter und sicher tiefer zu vernehmen!"

01] Spricht darauf Johannes: »Lieber Freund, ich habe den Sinn deiner Rede genau erwogen und fand, daß er in sich betrachtet ganz richtig ist. Nur muß ich dabei bemerken, daß du hier die beiden Extreme zu schroff behandelt und eine zu scharfe Grenzlinie gezogen hast.

02] Es ist allerdings wahr, daß der Schöpfer nie Geschöpf und das Geschöpf nie Schöpfer werden kann. Nichtsdestoweniger ist dabei der Schöpfer im Nachteil und ebensowenig in einem besonderen Vorteil gegen das Geschöpf.

03] Denn fürs erste hat Er zur Hervorbringung des Geschöpfes durchaus keine andere Materie als Sich Selbst. Er muß das Geschöpf aus derselben Substanz bilden, aus welcher Er Selbst besteht von Ewigkeit. Sodann aber muß Er dieses Geschöpf sogestaltig auch fortan aus Sich Selbst erhalten, während das Geschöpf seinem Schöpfer gegenüber nichts zu tun hat, als bloß nur zu sein.

04] Und so das Geschöpf also ist, wie es der Schöpfer haben will - nämlich in der fürs Geschöpf bestimmten Ordnung -, kann das Geschöpf ebenfalls in die Vollkommenheit seines Schöpfers eingehen. Es kann die Kindschaft Gottes erlangen und dann mit Ihm sozusagen in demselben Hause wohnen und alle Seine Rechte gebrauchen und genießen. Ich meine, daß sich in diesem Fall der Schöpfer wie das Geschöpf gegenseitig sehr wenig werden zugute zu halten haben.

05] Solange Schöpfer und Geschöpf zufolge der ihm erteilten moralischen Willensfreiheit eben im Wollen und Handeln einander gegenüberstehen, so lange freilich ist dein aufgesteliter Grundsatz richtig. Denn die Priorität des Schöpfers kann da unmöglich je in Zweifel gezogen werden, weil sie eine unwidersprechliche Notwendigkeit ist.

06] Aber so das Geschöpf durch Erkenntnis und tätiges Wollen des geoffenbarten Schöpfer-Willens die Scheidewand selbst zerstört, dadurch den Schöpfer in sich selbst aufnimmt und damit völlig eins wird mit Ihm, da fragt es sich dann:

07] Wo ist der Schöpfer als ewig Einer und Derselbe mehr Schöpfer: in Sich oder im Geschöpf? Was ist hier älter: das Geschöpf als identisches Wesen mit und in dem Schöpfer - oder der Schöpfer als identisches Wesen im Geschöpfe? Denn Er Selbst spricht: 'Ihr seid in Mir und Ich in euch!'

08] In diesem Falle, der wahr und unleugbar ist, meine ich aus der Fülle meiner hellsten Anschauung, hast du, lieber Freund, deine Saiten etwas zu stark angezogen und wirst daher schon müssen mit dir etwas handeln lassen! - Was meinst du in dieser Hinsicht?«

09] Spricht der Weise: »Lieber Freund, ich sehe, daß du ungeheuer weise bist. Es läßt sich deinen aufgestellten Grundsätzen nichts einwenden. Nur meine ich, daß das produktive Wesen dem Schöpfer gleichfort eigen bleibt: ob Er für Sich isoliert dasteht, oder ob Er Seiner ausfließenden Wirkung zufolge Sein Geschöpf wie ein Gefäß mit Sich Selbst erfüllt, natürlich nach dem Maße der dem Geschöpf erteilten Aufnahmefähigkeit.


10] Daß das Geschöpf nie die ganze unendliche Fülle der Urgottheit wird in sich aufzunehmen imstande sein, darüber dürfte wohl kein Zweifel sein! Ich meine, die Beantwortung dieser Frage liegt schon im Begriffe 'Unendlichkeit', die nur wieder von derselben Unendlichkeit, nie aber von einer aus ihr genommenen Endlichkeit aufgenommen werden kann.

11] Siehe, wir sehen von unserer Welt eine Sonne, deren Größe nach unseren Berechnungen der Größe unserer Welt viele tausendmal tausend Male überlegen sein wird. Aber so ich gar oft beobachtet habe, wie selbst die kleinsten Tautröpfchen das Bild jener großen Welt gestaltlich für das Volumen ihres Wesens vollkommen aufnehmen, so unterliegt es keinem Zweifel, daß wir Geschöpfe auf ähnliche Weise den Schöpfer in uns wohl aufnehmen, soweit Er eben von uns zu unserer Vollendung aufgenommen werden kann.


12] Wie weit aber bleibt das Sonnenbild im Tautropfen vor der wirklichen Sonne zurück, und wie weit erst das Geschöpf mit seinem Schöpferbilde hinter dem wirklichen Schöpfer! Ich glaube, es dürfte schwer eine Zahl zu ermitteln sein, wie viele solcher Tautröpfchen erforderlich wären, um nur das wahre Volumen jener Sonne darzustellen, die sich in ihnen wohl äonenmal abbildet!

13] Und doch stehen sich hier nur zwei begrenzte Dinge gegeneinander! Wie aber wäre da erst eine alles ausgleichende Bestimmung möglich, wo sich die ewige Unendlichkeit und eine sicher kaum beachtbare zeitliche und räumliche Begrenztheit begegnen!

14] Es ist übrigens nicht in Abrede zu stellen, daß das schöpferische Wesen im Geschöpfe identisch ist mit dem Schöpfer, wie auch umgekehrt; aber ich frage: in welchem Verhältnis? Und diese Proportion muß doch auch in große Beachtung gezogen werden, weil aus ihr nur zu klar hervorgeht, daß zwischen Schöpfer und Geschöpf trotz aller natürlichen und moralischen Gleichheit dennoch eine solche Kluft für ewig stehen bleiben muß, weil sie weder von einer noch von der andern Seite je völlig überschritten werden kann.

15] Und so bleibe ich insoweit bei meinem Grundsatze stehen, daß die beiden Gegensätze nie vollkommen in eins zusammenfallen können. Ich will mich aber dennoch nicht gegen eine tiefere Belehrung verwahren. Im Gegenteil: es wird mir jede tiefere Belehrung in dieser Sache höchst willkommen sein, daher ich mich auch sehr freue, dich darüber weiter und tiefer zu vernehmen!«

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