Jakob Lorber: 'Bischof Martin - Die Entwicklung einer Seele im Jenseits'


104. Kapitel: Aussöhnung zwischen der Chinesin und Martin. Vom Beleidigen und Vergeben im chinesischen Geiste.

Originaltext 1. Auflage 1896 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text u. Versnummerierung nach 3. Auflage 1960 Lorber-Verlag

01] Chanchah tritt nun vor den B. M. hin, lächelt ihn gar liebfreundlich an, und spricht mit einer gar überaus liebfreundlichen und dabei wahrhaft jungfräulich zart bebenden Stimme ihn also an: „Liebster Freund! siehe, du hast dich ehedem ganz stillschweigend von mir entfernt, als ich dir meine sicher sehr zu entschuldigende Muthmaßung über deine Wesenheit vorhielt, da du mir keine Antwort gabst auf meine Frage; ich schließe daraus, daß dich solche meine Muthmaßung sicher sehr mächtig beleidigt hat?! Ist das der Fall, so vergebe es mir, nachdem du mich zuvor nach deinem Wohlgefallen zu Genüge wirst gezüchtiget haben, und sei mir dann nur wieder gut; denn ich gebe dir die heiligste Versicherung, daß ich dich darauf um gar nichts fragen, und dich noch weniger je mit einem Blicke oder Worte beleidigen werde!

02] Meines Landes Glaube und Sitten, für das ich nicht kann, aber sind ja von der Art, daß man die in ihrem Verstande etwas einfachen Menschen für Thiere hält! Ich habe hier eine solche Entdeckung an deinem Verstande zu machen geglaubt, und hielt dich demnach auch für ein Thier. Ich aber habe mich nun dagegen überzeugt, daß du das beiweitem nicht bist, als für was ich dich thörichter Maßen hielt!

03] Ich bereuete sogleich meinen Irrthum, und wollte dir zu den Füßen fallen; aber, da ich sahe, wie du mit diesem deinem Bruder sicher etwas Wichtiges zu reden hattest, und ich dich nimmer stören wollte, so wartete ich, bis du dich selbst von diesem deinem Bruder würdest entfernen können!? Da nun aber der von mir sehnlichst erwünschte Moment eingetroffen ist, so thue ich nun, was ich lange schon hätte thun sollen! ich falle dir nun zu deinen himmlischen Füßen, und bitte dich um eine gerechte Züchtigung, und darauf um die Vergebung aller meiner Schuld zu dir und an dir, du herrlicher Großbürger aller Himmel!" Mit diesen Worten fällt sie dem Martin zu den Füßen;

04] Martin aber, ganz gerührt von solch einer alleranmuthigsten Bittstellerin, spricht: „O du rein himmlische Chanchah, ich bitte dich, stehe auf, stehe nur gleich auf! was fällt dir denn ein! Ich, dich, du Himmlische, züchtigen!? Ich? der ich dich vor lauter Liebe gerade aufessen, oder ganz in mein Leben hinein verdrücken möchte! Glaubst denn du, ich sei etwa auch so ein unbarmherziger Chinese?! O, davor behüte mich ewig der große, heilige, wahrhaftigste Lama! O, stehe nur schnell auf; denn also kann ich dich keine Minute lang sehen, du meine himmlische Chanchah!"

05] Die Chanchah stehet nun schnell wieder auf, und spricht: „O du lieber Freund! in deinem Lande müssen doch viel bessere Menschen sein, als in dem großen Reiche, in dem ich zur Erde geboren ward!? denn siehe, bei uns geht es mit dem Vergeben einer angethanen Beleidigung eben nicht so leicht, wie du es mir so übergut gezeiget hast!

06] So man bei uns Jemanden beleidiget hat, da heißt es dann, sich vor ihm auf's Angesicht niederwerfen, und den Beleidigten dadurch um die Vergebung der Beleidigung anflehen, daß man ihn zuerst um eine gerechte Züchtigung, ja bei schweren Beleidigungen sogar um den Tod bittet, und darauf erst um die Nachlassung der Schuld! denn sie sagen und glauben dort Alle: Eine Beleidigung kann man nur wieder durch eine körperliche Gegenbeleidigung vollkommen gut machen; und ist dadurch die Beleidigung ausgeglichen, sodann erst kann der Beleidiger seinen beleidigten Züchtiger bitten, ihm auch im Herzen zu vergeben.

07] Siehe, also sieht es bei uns aus! daher darf es dir aber auch nicht zu wunderlich vorkommen, so du an mir vielleicht noch so Manches entdecken wirst, was da mit deines Landes Sitten nicht im Einklange stehen wird; denn bei uns sind die Gesetze sehr alt und unendlich streng, und wehe dem, der es da wagen würde, diese uralten Gesetze auch nur im geringsten mildernder auszulegen, indem das noch ganz unverändert dieselben Gesetze wären, die der Lama Selbsten dem ersten Menschenpaare aus den Himmeln ertheilet habe!

08] Aber weißt du, liebster Freund, so bei euch hier diese Gesetze gar so sanft und liebevoll sind, da brauche ich mich, nachdem ich wahrscheinlich ewig nichts mehr werde mit den Gesetzen meines Landes zu thun haben, auch sicher nimmer darnach zu richten; sondern ich werde mich nach euren Gesetzen richten, und ich werde da sicher nie fehlen! Was meinst du in dieser Hinsicht?"

01] Chanchah tritt nun vor Bischof Martin hin, lächelt ihn liebfreundlich an und spricht mit einer gar überaus freundlichen und dabei wahrhaft jungfräulich zart bebenden Stimme: »Liebster Freund, du hast dich ehedem ganz stillschweigend von mir entfernt, als ich dir meine sicher sehr zu entschuldigende Mutmaßung über deine Wesenheit vorhielt, da du mir keine Antwort gabst auf meine Frage. Ich schließe daraus, daß dich meine Mutmaßung sicher mächtig beleidigt hat? Ist das der Fall, so vergib mir, nachdem du mich zuvor nach deinem Wohlgefallen zur Genüge wirst gezüchtigt haben. Sei mir dann nur wieder gut, denn ich gebe dir die heiligste Versicherung, daß ich dich darauf um gar nichts fragen und dich noch weniger je mit einem Blick oder Wort beleidigen werde.

02] Meines Landes Glaube und Sitten, für die ich nicht kann, sind von der Art, daß man die in ihrem Verstande etwas einfachen Menschen für Tiere hält. Ich habe hier eine solche Entdeckung an deinem Verstande zu machen geglaubt und hielt dich demnach auch für ein Tier. Ich aber habe mich nun dagegen überzeugt, daß du das bei weitem nicht bist, für was ich dich törichtermaßen hielt.

03] Ich bereute sogleich meinen Irrtum und wollte dir zu Füßen fallen. Aber da ich sah, wie du mit deinem Bruder sicher etwas Wichtiges zu reden hattest und ich dich nicht stören wollte, so wartete ich, bis du dich selbst von diesem Bruder würdest entfernen. Da nun aber der von mir sehnlichst erwünschte Moment eingetroffen ist, so tue ich nun, was ich lange schon hätte tun sollen: ich falle dir zu deinen himmlischen Füßen und bitte dich um eine gerechte Züchtigung und darauf um Vergebung aller meiner Schuld an dir, du herrlicher Großbürger aller Himmel!« Mit diesen Worten fällt sie dem Martin zu den Füßen.


04] Martin aber, ganz gerührt von der anmutigsten Bittstellerin, spricht: »O du rein himmlische Chanchah, ich bitte dich, stehe nur gleich auf! Was fällt dir denn ein! Ich - dich - du Himmlische - züchtigen? Ich, der ich dich vor lauter Liebe gerade aufessen oder ganz in mein Leben hinein verdrücken möchte! Glaubst denn du, ich sei etwa auch so ein unbarmherziger Chinese? Oh, davor behüte mich ewig der große, heilige, wahrhaftigste Lama! Stehe nur schnell auf, denn so kann ich dich keine Minute lang sehen, du meine himmlische Chanchah!«


05] Chanchah steht nun schnell wieder auf und spricht: »O du lieber Freund, in deinem Lande müssen doch viel bessere Menschen sein als in dem großen Reiche, in dem ich zur Erde geboren ward. Denn siehe, bei uns geht es mit dem Vergeben einer angetanen Beleidigung eben nicht so leicht, wie du es mir so übergut gezeigt hast.


06] So man bei uns jemanden beleidigt hat, heißt es dann, sich vor ihm aufs Angesicht niederwerfen und den Beleidigten dadurch um die Vergebung der Beleidigung anflehen, daß man ihn zuerst um eine gerechte Züchtigung, ja bei schweren Beleidigungen sogar um den Tod bittet und darauf erst um die Nachlassung der Schuld. Denn sie sagen und glauben dort alle: Eine Beleidigung kann man nur durch eine körperliche Gegenbeleidigung vollkommen wieder gutmachen. Ist dadurch die Beleidigung ausgeglichen, dann erst kann der Beleidiger seinen beleidigten Züchtiger bitten, ihm auch im Herzen zu vergeben.

07] Siehe, also sieht es bei uns aus! Daher darf es dir auch nicht zu wunderlich vorkommen, so du an mir vielleicht noch so manches entdecken wirst, was mit deines Landes Sitten nicht im Einklang stehen wird. Denn bei uns sind die Gesetze sehr alt und unendlich streng. Wehe dem, der es da wagen würde, diese uralten Gesetze auch nur im geringsten mildernder auszulegen, indem das noch ganz unverändert dieselben Gesetze wären, die der Lama Selbst dem ersten Menschenpaare aus den Himmeln erteilt habe.

08] Aber weißt du, liebster Freund, bei euch hier sind die Gesetze sanft und liebevoll. Da brauche ich mich, nachdem ich wahrscheinlich ewig nichts mehr werde mit den Gesetzen meines Landes zu tun haben, auch sicher nimmer darnach zu halten haben. Ich werde mich daher nach euren Gesetzen richten und werde da sicher nie fehlen! Was meinst du in dieser Hinsicht?«

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